Zähes Ringen um den «Ringling»

Der Zwist um die geplante Überbauung der letzten, grossen Parzelle im Rütihof geht weiter. Die erneute Einsprache von 80 Personen der IG Pro Rütihof und einer Gruppe von Liegenschaftsbesitzern und Immobilienfirmen gegen den positiven Bauentscheid verzögert den Baubeginn um weitere Jahre − oder verhindert er ihn gar ganz?

«Die Eingriffe in die Landschaft und das Ortsbild sind gravierend. Sie lassen sich mit den Anforderungen von Artikel 71des Planungs- und Baugesetzes nicht vereinbaren», heisst es in der Rekursschrift, hier veranschaulicht in einer Bildmontage der IG Pro Rütihof, die anhand der Baugespanne erstellt wurde.

85 Seiten dick ist der Rekurs, den der Anwalt der Rekurrenten im Namen der Liegenschaftsbesitzer vor dem Baurekursgericht Zürich eingereicht hat. Er ist eine veritable Breitseite gegen die Stadt Zürich sowie deren Baubewilligungsbehörde und wiederholt wie ein Mantra nach jedem Abschnitt die zentrale Forderung: «Der Bauentscheid 31/13 vom 8. Januar 2013 muss aufgehoben werden», die Baubewilligung sei zu verweigern. Tatsächlich liest sich die Rekursschrift der IG, für die deren Präsident Jean E. Bollier verantwortlich zeichnet, stellenweise wie ein Krimi. Die Ausgangslage ist bekannt: Ringförmig, 650 Meter lang, zwischen 18 und 25 Meter und bis zu sieben Stockwerke plus Dachgeschoss hoch soll der ohne Landwert 107 Millionen Franken teure Bau werden. Neuer Raum für 277 Wohnungen, eine Tiefgarage für 212 Autos, 39 Abstellplätze im Freien, einen Quartierladen, Quartierplatz und mehr soll er bieten. Natürlich wehren sich die Liegenschaftsbesitzer nicht nur aus hehren, sondern auch ganz materiellen Gründen, denn der «Ringling» – so befürchten sie – würde den Wert ihrer Liegenschaften vermindern und eine Vermietung erschweren. Doch es geht der Gegnerschaft um mehr als die blosse Wahrung von Eigeninteressen: Man nehme, so heisst es, auch die Interessen der Mieterschaft wahr, die als Anwohner, Fussgänger, öV- oder sonstige Verkehrsteilnehmer betroffen seien. Überdies sei der Kampf der Gegnerschaft auch einer um die Rechtsgleichheit, die sie mehrfach verletzt sehen. Andere Überbauungen seien jedoch durchaus denkbar, nicht aber der «Ringling», bei dem es zahlreiche Gründe gäbe, um die Baubewilligung aufzuheben.

Die Sache mit dem Quartierplan

Wie ein Grossteil im Rütihof, so ist auch das betreffende Grundstück Kataster 7471 vom Quartierplan «Rütihof» aus dem Jahre 1975 betroffen. Die Stadt Zürich stellt sich auf den Standpunkt, dieser sei durch die neue Bau- und Zonenordnung längst ausgehebelt worden. Ganz anders sehen dies die Rekurrenten: Sie verstehen nicht, warum damals, als sie ihre Grundstücke bebauten, peinlichst genau auf die Einhaltung des Quartierplans mit all seinen Rechten und Pflichten geachtet wurde und nun, da die Stadt ihr eigenes Land im Baurecht abtritt – überdies im Falle der Stiftung für Alterswohnungen quasi an sich selbst –, dieser Quartierplan plötzlich nicht mehr gelten soll. Eine der konkreten Folgen davon: Anstatt einer Bruttogeschossfläche von knappen 23 000 Quadratmetern dürfen nun deren 36 000 gebaut werden. Überdies, so heisst es in der Rekursschrift, sei nie begründet worden, warum der Quartierplan keine Gültigkeit mehr haben solle. Im Gegenteil: Sowohl die jetzigen Baurechtsverträge sowie die Entscheide der Baurekurskommission im 1. Verfahren stützten sich darauf ab. Und ein Quartierplan, öffentlich eingetragen, behalte seine Wirkung, bis er abgeändert oder aufgehoben werde – wer plötzlich die Regeln ändere, gefährde die Rechtsgleichheit.

Befangenheit der Bausektion?

Die Baurechtsverträge vom Juni 2007 verpflichten die Stadt Zürich, sollte das Projekt «Ringling» nicht verwirklicht werden können, die Bauträgerschaft für Wettbewerbs- und Projektkosten in Höhe von bis zu 800 000 Franken zu entschädigen. Allein darin lässt sich eine Befangenheit zumindest vermuten. Doch es wird noch abstruser: 2004/2005 wirkte ein Mitarbeiter des Amtes für Baubewilligungen in der Funktion eines Experten für Baurecht am Studienauftrag mit, aus welchem der «Ringling» als Sieger hervorging. Derselbe Mitarbeiter war aber auch der zuständige Sachbearbeiter für die erste Baubewilligung, die am 23. Juni 2009 erteilt wurde. Zu Recht fragt man sich, wie der Mann wohl als Sachbearbeiter ein Projekt hätte ablehnen können, das er zuvor als Baurechtsexperte selbst befürwortet hatte? Mit den drohenden Entschädigungszahlungen habe die Stadt Sachzwänge geschaffen – sie selbst und ihre Bausektion habe gar nicht anders entscheiden können als zu Gunsten des «Ringlings» und dies sei auch bei der aktuellen Baubewilligung so, monieren die Rekurrenten.

«Arealüberbauung» – was nun?

Über Höngg hinaus brisant dürfte die Forderung sein, dass endlich die Entscheidungsgrundlagen für Arealüberbauungen einheitlich geregelt werden. Worum geht es? Das Grundstück 7471 liegt in der Zone W3. Erlaubt wären somit drei Vollgeschosse von maximal 11,5 Metern Höhe. Das Instrument der Arealüberbauung erlaubt es den Baubehörden jedoch, grössere Grundstücke mit bis zu sieben Vollgeschossen in einer Höhe von 25 Metern zu überbauen. Ab wann diese Bestimmungen geltend gemacht werden können, hängt mitunter von der Grösse des Grundstückes ab. In Zürich entscheidet die Bausektion des Stadtrates im Verfahren der Baubewilligung über eine entsprechende Aufzonung, was laut Gegnern unzulässig ist und Bundesrecht verletze, welche diesen Entscheid in der Kompetenz der Legislative, also dem Gemeinderat Zürich respektive dem Volk sehe. Gerade solche Arealüberbauungen aber sorgten in der Vergangenheit mehrfach für Unruhe, zumal wenn die erforderliche Mindestfläche durch eine Zusammenlegung mehrerer W3-Grundstücke erreicht wurde. Konflikte mit Nachbarn, die sich allenfalls auf einen Nachbarsbau in W3-Format eingestellt hatten, sind damit vorprogrammiert. Wie aus früheren Rekursen und Gesprächen mit den Rekurrenten ersichtlich wird, werden sie ihre Einsprache wohl alleine deshalb notfalls bis vors Bundesgericht ziehen, um diesen Umstand endlich gerichtlich geklärt zu haben. Gleich verhält es sich wohl mit der Frage, wie denn Artikel 71 des Planungs- und Baugesetzes (PBG) zu Arealüberbauungen umzusetzen sei, in dem es heisst, diese müssten «besonders gut gestaltet sowie zweckmässig ausgestattet und ausgerüstet» sein. Merkmale wie die Beziehung zum Ortsbild, kubische Gliederung und architektonischer Ausdruck der Gebäude und vieles mehr seien bei der Erteilung der Baubewilligung besonders zu beachten. Bereits die erste Baubewilligung vom Juni 2009 habe diese Anforderungen ungenügend geprüft und sich einseitig auf die Bewertungen der Wettbewerbsjury abgestützt, anstatt die Beurteilung durch die Bausektion selbst vorzunehmen, finden die Gegner – und die heutige übernehme das damalige Urteil unbesehen und in schwammigen Begriffen.

Weder Schattendiagramm noch Computermodell

Auf der Grundlage von eingehenden Studien durch Jakob Maurer, emeritierter ETH-Professor für Raumplanung und Rekurrent, gibt es auch bezüglich Schattenwurf, Lärm und Wind erhebliche Zweifel, ob der «Ringling» bautauglich ist. Kaum zu glauben bei einem Bau dieser Grösse, aber offenbar wurde nie ein Schattendiagramm erstellt, welches aufzeigen würde, wie stark die nähere Umgebung und auch der Innenhof des «Ringlings» selbst vom Schattenwurf der 25 Meter hohen Gebäude betroffen wäre. Wie Maurer ausführt, «sind auch dreidimensionale Computermodelle nie zur Beurteilung herbeigezogen worden». Obwohl nirgends im Rütihof und Höngg derartige Dimensionen erreicht würden, die, so heisst es in der Rekursschrift, «noch gewaltiger als diejenigen der Überbauung ‹Grünau› sind, welche durchaus als Negativbeispiel herhalten darf». Das Projekt ordne sich klar nicht in die Umgebung ein, sondern setze einen Kontrapunkt. Interessant: Von zwölf Architekturbüros des damaligen Wettebewerbs erachteten nur zwei einen solchen als richtig, alle anderen bevorzugten es, die architektonische Typologie der Umgebung aufzunehmen. Selbst die Wettbewerbsjury von damals erkannte im «Ringling» eine «singuläre Figur» innerhalb der heterogenen Bebauung im Rütihof, die keinem übergeordneten städtischen Gefüge entspreche. Diametral dazu der Bauentscheid vom 8. Januar dieses Jahres, in dem es heisst, das Projekt nähme mit der Volumetrie Bezug zu den Siedlungen im Umfeld.

Komplexe Fragen, komplexe Urteile

Die Rekursschrift macht noch in verschiedenen weiteren Bereichen Verletzungen von teils übergeordnetem Recht geltend, so zum Beispiel erneut bei der verkehrstechnischen Erschliessung, aber auch was behindertengerechtes Bauen angeht, etwas das bei einem Gebäude mit nicht wenigen Alterswohnungen selbstverständlich sein sollte. Oder etwa bei Lärmschutzvorschriften und selbst bei der nicht vorgesehenen, aber an sich vorgeschriebenen Öffnung des Fürtlibachs. Es liessen sich mehrere «Höngger» mit weiteren Vorwürfen füllen – die nachfolgenden Instanzen erwartet viel Arbeit. Auf die Urteilssprüche darf man in Höngg und darüber hinaus gespannt sein.

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