Quartierleben
«Wir wissen nicht, ob wir hier weiter wohnen können.»
In Höngg wehren sich verschiedene Anwohnervereinigungen gegen den Bau von UMTS-Antennen (siehe Kasten) im Wohngebiet. Der «Höngger» hat zwei Direktbetroffene, die an vorderster Front gegen die Anlagen kämpfen, besucht.
21. Oktober 2010 — Marcus Weiss
Steil ist der Zugang zum Doppelhaus, in dem sich Stefano Di Piazza mit seiner Familie den Traum von den eigenen vier Wänden verwirklicht hat. Beim Aufstieg über den gewundenen Pfad taucht man richtiggehend ein in eine Idylle aus sattgrünen Vorgärten, in bunten Herbstfarben leuchtenden Bäumen und lauschigen Winkeln. Kein Autolärm trübt die Ruhe, Vogelgezwitscher rundet den Eindruck vom ungestörten Ort hoch über der Hektik der rastlosen Grossstadt ab. Hier an der Höngger Rebbergstrasse lässt es sich gut leben, dies wäre zweifellos der Eindruck des unvoreingenommenen Gastes, der die Geschichte vom Antennenprojekt in unmittelbarer Nachbarschaft nicht kennt. Jenes an sich nicht aussergewöhnliche Bauvorhaben raubt dem Hausbesitzer jedoch je länger je mehr den Schlaf. Nicht dass die unwillkommene Anlage bereits stehen und dem Anwohner ihre in zahllosen Internetforen und Medienberichten – wegen nicht schlüssig erforschter Auswirkungen auf den Organismus – heftig diskutierte Strahlungsenergie ins Haus senden würde, nein, vielmehr hinterlässt der zermürbende Kampf gegen Mobilfunkbetreiber, Behörden und geltende Gesetze ihre Spuren. «Wir haben vor acht Jahren dieses Haus gekauft und viel investiert, da wäre es für uns eine persönliche Katastrophe, wenn wir jetzt alles hin schmeissen und die Liegenschaft wieder veräussern müssten», erklärt Stefano Di Piazza, während er den Besuch ins Wohnzimmer an die breite Fensterfront führt. Der weite Blick über die Stadt nimmt sofort gefangen, doch Di Piazza hat momentan wortwörtlich anderes im Blick: «Sehen Sie das Baugespann dort drüben, auf diesem Flachdach soll die Antenne montiert werden», sagt er mit leicht bebender Stimme und deutet auf ein unscheinbares weisses Gebäude auf der anderen Strassenseite, seiner Einschätzung nach weniger als zwanzig Meter entfernt.
Antenne prominent im Blickfeld
Durch die Hanglage des Terrains ist der festgelegte Antennenstandort tatsächlich gerade auf Augenhöhe der Di Piazzas. «Das Schlimme ist, dass wir die Anlage schlicht nicht ignorieren können, so prominent wird sie sich direkt vor unseren Augen präsentieren», fährt der Hausherr fort und erzählt von seinen beiden Kindern, zweijährig ist das eine, gerade einmal acht Monate zählt das andere. Dass er da keine Experimente wagen will bezüglich der Risiken einer permanenten Funkstrahlung aus nächster Nähe, dies leuchtet ein. Zusammen mit einer Gruppe von Nachbarn kämpft Di Piazza nun seit 2007 gegen die Aufstellung der GSM/UMTS-Antenne an diesem sensiblen Standort, in diesen Tagen wird ein Urteil des Bundesgerichts erwartet. Fällt dieses für die Antennengegner negativ aus, wird das Bauprojekt wohl Ende Jahr umgesetzt, und den Anwohnern bliebe nur noch ein zivilrechtliches Vorgehen wegen Wertverminderung ihrer Liegenschaften.
Elektrosensible haben Angst
Ebenfalls mitten im Wohnquartier Hönggs, an der Strasse Am Wasser, befindet sich das Baugespann für eine weitere kombinierte GSM/UMTS-Anlage. Anwohner Martin Zahnd, der vor kurzem zusammen mit Michael Vetter eine Petition gegen das Bauprojekt eingereicht hat, führt uns dem Schulweg seiner achtjährigen Tochter entlang von der Wohnung der Familie zum Schulhaus Am Wasser. Auch hier soll die Antenne auf einem bestehenden Mehrfamilienhaus platziert werden. Da sie in verschiedene Richtungen strahlen wird, wäre die Tochter der Zahnds sowohl in der Schule als auch zu Hause der Funkbelastung ausgesetzt. Hinzu kommt, dass Martin Zahnd selbst sensibel auf Elektrosmog reagiert und in der Vergangenheit bereits mit diversen körperlichen Symptomen, die er auf die elektromagnetische Strahlung nicht ausreichend abgeschirmter Gerätschaften zurückführt, zu kämpfen hatte. «Falls meine Beschwerden nun aufgrund der Sendeanlage zurückkehren, dann weiss ich nicht, ob wir weiter hier leben können», sagt der Familienvater, der die Wohnung seit 20 Jahren sein Zuhause nennt, mit besorgter Miene. Momentan steht der Baurechtsentscheid des Stadtrats aus. Gibt das Gremium grünes Licht für die Antenne, möchte die Anwohnergruppe mit einer Einsprache reagieren. Eine direkte Kommunikation mit den Bauherren oder den Besitzern der «Trägerliegenschaften» ist für die Betroffenen sowohl hier als auch an der Rebbergstrasse offenbar weitgehend unmöglich.
GSM steht für «Global System for Mobile Communications» und UMTS für «Universal Mobile Telecommunications System». Auf die rechtliche Situation, technische Hintergründe sowie die Haltung der Mobilfunkgesellschaften zu den Antennenprojekten wird der «Höngger» in einem weiteren Artikel in einer der nächsten Ausgaben eingehen. Es soll darin auch ausgelotet werden, welche zusätzlichen Mobilfunk-Bauvorhaben in nächster Zeit aufgrund der neuen LTE-Technologie (Long Term Evolution) zu erwarten sind.
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