Kultur
Wie wenn Fussballer Ballett tanzten
Für Berufsmusiker*innen fielen im vergangenen Jahr fast alle Konzerte ins Wasser. Der Höngger Oscar Perez Mendez befand sich mitten in seinen Masterprüfungen, als der Lockdown kam. Doch plötzlich war da eine aussergewöhnliche Idee.
12. Januar 2021 — Patricia Senn
Der gebürtige Südspanier Oscar Perez Mendez hat an der Zürcher Hochschule der Künste gerade seinen «Master of Arts in Music» abgeschlossen. Nach der letzten Prüfung am 8. Januar reiste er umgehend nach Andalusien zu seinen Eltern, die er monatelang nicht gesehen hat. Eigentlich hätte er die Abschlussprüfung bereits im Sommer 2020 absolvieren sollen. «Den Theorieteil konnte ich dank Zoom virtuell abschliessen», erzählt der 24-jährige Musiker. Das praktische Abschluss-Rezital, welches für Juni festgesetzt worden war, musste jedoch aufgrund der Corona-Massnahmen auf Dezember verschoben werden und fand ohne Publikum statt.
Kultur wird als Erstes gestrichen
Dabei hatte das Jahr so vielversprechend begonnen: Anfangs 2020 hatte Oscar ein Probespiel, ein sogenanntes «Trial» als erster Fagottist beim Scottish Chamber Orchestra in Edinburgh gewonnen. Geplant waren weitere Auftritte über das ganze Jahr verteilt. Nachdem diese abgesagt werden mussten, sei er nun auf Abruf. «Da es jedoch nur sehr erschwert möglich ist, nach Schottland zu reisen und die Krise auch dort weiterhin besteht, wird es wohl noch länger dauern, bis Ausländer im Orchester spielen können», bedauert Oscar. Kurz leuchtete ein Hoffnungsschimmer auf, als im September ein Konzert in Basel durchgeführt werden konnte. Doch wenig später wurden die Konzerte im Herbst und Winter bereits wieder abgesagt. Zwar erhielt Oscar dadurch mehr Zeit für seine Masterarbeit und die Vorbereitung auf den Theorieteil der Abschlussprüfungen. Doch als angehender Berufsmusiker stimmt ihn die Krise sehr nachdenklich: «Als Erstes wurden die Konzerte gestrichen. Erst später mussten auch andere Branchen wie Nachtklubs schliessen. Man fragt sich, welchen Stellenwert die Kultur in unserer Gesellschaft überhaupt innehat». Belastend für viele sei aber vor allem, dass die Massnahmen ständig geändert würden und man nicht planen könne. Der junge Fagottist macht sich Sorgen, wie es bei einer nächsten Krise sein wird, wenn man wieder als Erstes die Kultur verbietet. Er hatte das Glück, bislang finanziell gut über die Runden gekommen zu sein: «Am Anfang musste ich meinen Bekanntenkreis um Hilfe bitten. Dank der Mitgliedschaft beim SMV erhielt ich erst Unterstützung für abgesagte Konzerte und danach Nothilfe von Suisseculture. Persönlich war die Situation schwierig, weil er seine Familie nicht mehr sehen konnte. Ausserdem beschäftigt ihn etwas anderes: «Ich stelle fest, dass es den Menschen oft an Empathie fehlt», meint Oscar. Viele verhielten sich seiner Meinung nach egoistisch und denken nicht an die Opfer. «Sie können teilweise ja nicht einmal die Maske richtig tragen!».
Das Fagott virtuoser machen
Doch aus der aufgezwungenen Pause erwuchs ein kreatives Projekt. «Ein Fagott kann im Orchester vielseitig eingesetzt werden», erklärt Oscar. «Als Solist (erstes Fagott) zusammen mit Flöte, Oboe, oder anderen bis hin zur Basis für die Harmonie (zweites, drittes Fagott). Dennoch stellt die Flöte ein virtuoseres Instrument dar, ihr Repertoire ist ansprechender für ein breites Publikum. Manchmal fühlt man sich als Fagottist im Vergleich dazu etwas limitiert». Sein Musikerkollege Oswin, der ebenfalls an der ZHdK studiert hat und zu einer Art Bruder und Ersatzfamilie für Oscar wurde, kam deshalb auf die Idee, Stücke, die für Flöte komponiert wurden, für Fagott zu arrangieren. Für jemanden, der oder die sich in klassischer Musik nicht auskennt, stellt sich vielleicht die Frage, was an dieser Idee so aussergewöhnlich sein soll. Das sei gar nicht so einfach zu beantworten, gibt Oscar zu, versucht aber einen Vergleich: «Ein Flötenkonzert mit dem Fagott zu spielen ist, wie einen Zeppelin anstelle eines Flugzeugs zu fliegen. Oder, wie ein Ballett mit Fussballspielern aufzuführen». Dadurch, dass die Flöte kleiner ist, klingt sie leichter, virtuoser. Dagegen hat das Fagott mehr Kraft im Klang und mehr Präsenz. «Diese Gegensätze zu mischen, bringt eine Veränderung des Klangs, was innovativ ist», ist Oscar überzeugt. «Wir stellten schnell fest, dass es gut klingt und es ausserdem vor uns noch niemand gemacht hat». Also beschlossen die beiden Musiker, fünf Stücke neu für Fagott und Kammerorchester zu arrangieren und auf CD aufzunehmen. Wie das klingt, kann man auf Oscars Webseite nachhören. Um die Produktion zu finanzieren, starteten sie ein Crowdfunding bei wemakeit.com mit dem Titel «Beyond Basson’s repertory», welches noch bis zum 11. Februar läuft.
Entspannen in Höngg
Und wie soll es nun weitergehen, mit dem Masterdiplom in der Tasche? Oscar hofft, dass die geplanten Konzerte im Sommer stattfinden können und wartet geduldig auf die Fortsetzung der Trials in Schottland. Daneben hat er sich bereits für einige Orchesterstellen beworben. «Es wird nicht einfach werden, aber ich freue mich darauf, wieder vor Publikum spielen zu dürfen und hoffe, bald eine fixe Stelle als Fagottist in einem guten Orchester zu bekommen». Bis dahin werde er sicherlich in Höngg wohnen bleiben und sich auf Spaziergängen und beim Joggen auf dem Hönggerberg oder an der Limmat entspannen.
2 Kommentare