Fernwärme
Wie aus Abwasser Wärme wird
Wird der Objektkredit für einen Energieverbund Altstetten am 10. Februar angenommen, erhalten Teile von Höngg und Altstetten künftig die Möglichkeit, Fernwärme zu beziehen. Wie das funktioniert, erfuhr der «Höngger» auf einem Rundgang des ewz.
22. Januar 2019 — Patricia Senn
Im Eingangsbereich des ERZ Klärwerk Werdhölzli hängt eine Luftaufnahme der gesamten Anlage, darauf sind prominent die vier riesigen Klärbecken zu sehen. Auf diesem Stück Land direkt an der Limmat wird das Abwasser der ganzen Stadt gereinigt. In einem im Verhältnis kleineren Gebäude wird der dabei zurückbleibende Klärschlamm verbrannt, aber nicht nur der der Stadt, sondern auch der des ganzen Kantons. Angesichts der Massen an Wasser, die hier durchfliessen – jeden Tag sind es zwischen 150’000 und 500’000 Kubikmeter – wirkt die Anlage schon fast wieder dezent. Wenn die Stadtzürcher Stimmberechtigten am 10. Februar ja zum Objektkredit für einen Energieverbund Altstetten sagen, wird auf diesem Areal neu auch Fernwärme produziert. Wie und wo das genau geschehen wird, erklärt Projektleiter Pascal Leumann auf einem Rundgang.
Selbst kaltes Wasser liefert Wärme
Der Weg führt vorbei am Parkplatz der Schausteller und an Schrebergärten bis ans westlichste Ende des Werdhölzli Areals. Hier wurde vor kurzem eine neue Verfahrensstufe zur Elimination von Mikroverunreinigungen in Betrieb genommen. Nachdem das Abwasser die ganze Kläranlage durchlaufen hat, werden in dieser Anlage in einem letzten Schritt beispielsweise Medikamentenrückstände entfernt, bevor das Wasser wieder in den Fluss gelangt. Gleich daneben hat das ewz das Abwärmenutzungsgebäude (AWN-Gebäude) in einer Vorinvestition erstellt. In der Halle hallt es wie in einem Wasserreservoir. «Selbst in der kältesten Jahreszeit beträgt die Temperatur des gereinigten Abwassers etwa zwölf Grad», sagt Leumann. «Im Wärmetauscher wird dem Wasser Energie in Form von Wärme entzogen, etwa zehn Grad Celcius. Ein Teil des gereinigten Abwassers wird vom Auslaufkanal zum AWN-Gebäude geleitet, dort wird dem gereinigten Abwasser über den Wärmetauscher Wärme entzogen und das gereinigte Abwasser wieder zurück in den Auslaufkanal des Klärwerks geleitet. Der Auslaufkanal wird dann in die Limmat geleitet. Die so gewonnene Energie gelangt nun über einen mit Wasser betriebenen Zwischenkreis, das sogenannte Anergieleitungsnetz, in die Energiezentrale, wo es mit einer Wärmepumpe auf 60 bis 70 Grad erhitzt wird. Dazu benötigt man Strom. Das Verhältnis von Strom zu gewonnener Energie liegt bei eins zu vier, das bedeutet, mit einem Teil Strom können vier Teile Nutzwärme produziert werden. In die Energiezentrale, die den Hönggerberg versorgen wird, wird ausserdem eine Leitung gelegt, die rund 70 Grad heisse Rest-Abwärme aus der Klärschlammverwertungsanlage sowie zusätzliche Abwärme mit rund 50 Grad aus der Abgaskondensation derselben Anlage zuführt.
Die so produzierte Wärme wird über ein ebenfalls geschlossenes Fernwärmenetz zu den Kund*innen gebracht. Diese heizen ihre Gebäude damit oder füllen wahlweise auch ihren Heisswasservorrat. Das abgekühlte Wasser fliesst wieder zurück in die Energiezentrale, wo es erneut aufgewärmt wird, und so weiter. Parallel dazu wird ein Fernkältenetz im Dienstleistungsgebiet zwischen der Bahnlinie und der Autobahn ausgebaut. Kunden, die ihre Büros kühlen wollen, können die Klimakälte beim ewz bestellen.
Von der Limmat hoch zum Rütihof
Vom Klärwerk führen die Fernwärmeleitungen unter der Limmat hindurch bis zum Pflegezentrum Bombach. Die Pläne sind noch nicht definitiv, aber es kann gesagt werden, dass die Leitungen, wenn immer möglich, den Strassen entlang gelegt werden. So führen die stark isolierten Rohre der Hauptleitung auf dem provisorischen Plan die Frankentalstrasse hinauf, unter einem Feld hindurch, der Riedhofstrasse entlang und links über einen Feldweg zum Rütihof hinauf. «Die Bauarbeiten werden in enger Koordination mit dem Tiefbauamt der Stadt Zürich (TAZ) durchgeführt», sagt Marie Oswald, Pressesprecherin des ewz. «Ziel ist, den Leitungsbau mit anderen Bauplänen zu koordinieren, um das Baustellenaufkommen einzugrenzen». Das werde nicht in 100 Prozent der Fälle möglich sein, aber man versuche sich, so gut wie möglich abzustimmen. Diese Koordination könnte in Höngg vergleichsweise einfach ablaufen, wohingegen in Altstetten mit der sich im Bau befindenden Limmattalbahn und anderen gleichzeitig zu realisierenden Projekten einige Herausforderungen auf die Ämter zukommen dürften.
Von den Hauptleitungen aus wird die Wärme in die Häuser verteilt. «Das Anschliessen der Häuser dauert voraussichtlich zwei bis drei Wochen», erklärt Leumann. Dies deshalb, weil einige aufwendige Arbeiten zu erledigen sind: Nach dem Ausheben des Grabens werden zwei Leitungen verlegt und verschweisst. Die Schweissnähte werden mit einer Muffe, einer Art Mantel, extra isoliert. In dieser befinden sich zwei Drähte, anhand derer man ein allfälliges Leck schnell lokalisieren kann. Dann wird ein Teil der Schweissnähte geröntgt und der gesamte Leitungsabschnitt mit Luft gefüllt, ähnlich wie bei einem Fahrradpneu, um zu sehen, ob irgendwo noch eine undichte Stelle ist. Erst dann wird der Graben wieder zugeschüttet. Über zwei Löcher in der Wand führen die Leitungen ins Haus, dort wird – immer noch durch das ewz – eine Wärmeübergabestation eingebaut. Es handelt sich um einen Wärmetauscher im Kleinformat. Dort wird das 70 Grad warme Wasser in das geschlossene Heizungssystem des Kunden angeliefert, das abgekühlte Wasser fliesst zurück.
Und wer kommt überhaupt in den Genuss der ökologischen Wärme? «Der von uns festgelegte Perimeter wurde möglichst nah an die Quelle gelegt, um den Energieverlust zu minimieren», sagt Leumann, «ausserdem sind Einfamilienhaus-Quartiere wirtschaftlich schwierig zu erschliessen». Entsprechend führen die Leitungen durch dichter bebaute Quartiere mit Mehrfamilienhäusern und grösseren Gebäuden. 2017 hatte das ewz damit begonnen, Kunden im Gebiet Altstetten Nord und Höngg anzuschreiben und über die Wärmelieferung zu informieren. Unter dem Vorbehalt, dass die Abstimmung auch angenommen wird, wurden erste Verträge abgeschlossen. Bereits im Frühjahr 2018 hatten sich genug potenzielle Kund*innen gefunden, um einen kostendeckenden Betrieb auf 30 Jahre zu gewährleisten. Bis zum 1. Oktober 2020 soll die erste Etappe soweit beendet sein, dass die ersten Gebäude angeschlossen werden können. Im Herbst 2021 sollen die Arbeiten schliesslich abgeschlossen sein, der genaue Zeitpunkt hängt jedoch von der Koordination mit dem Tiefbauamt ab. Weitere lokale Leitungsbauten werden schliesslich nötig sein, um weitere Kunden anzuschliessen.
75 Prozent CO2 neutrale Wärme soll der Energieverbund liefern können, die Spitzenlasten sollen mit fossilen Energieträgern abgedeckt werden. Wäre auch eine Abdeckung der Spitzenlast der Fernwärmeversorgung ohne fossile Energieträger, wie es ein Postulat im April 2018 forderte, denkbar? «Um 100 Prozent erneuerbar zu sein, könnte man theoretisch in diesem Fall nur das gereinigte Abwasser, Holzschnitzel oder Biogas nutzen», meint Leumann, «wirtschaftlich wäre es allerdings nicht und wir müssten auch für die Endkundinnen und -kunden einen viel höheren Preis für die Wärmelieferung verlangen».
Wieso ewz und nicht ERZ?
ERZ, ewz, Energieverbund, Wärme Zürich: Wieso hat eigentlich das ewz den Lead für das Projekt, und nicht Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ), der das Klärwerk angehört und die bereits Fernwärme anbietet? «ERZ bietet über ihre Firma ‹Wärme Zürich› zwar bereits Fernwärme an, diese bezieht sie aber aus der überschüssigen Abwärme der Kehrichtverbrennungsanlagen Hagenholz und Josefstrasse und verteilt sie direkt über ihr Hochdrucknetz», erklärt Pascal Leumann. «Der Unterschied ist, dass der Energieverbund Altstetten auf der Nutzung von gereinigtem Abwasser gründet und mit Wärmepumpen arbeitet. Das ist schlicht nicht das Kerngebiet des ERZ, wohingegen das ewz in diesem Bereich auf rund 20 Jahre Erfahrung zurückgreifen kann». Unter anderem betreibt das ewz seit zehn Jahren den Energieverbund Schlieren. Da die Fernwärme-Anlagen aber auf dem Areal des Klärwerks stehen und auch von vorhandenen Produkten wie Abwärme aus der Klärschlammverwertungsanlage profitieren werden, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Stellen unabdingbar. Inwiefern die Stadt die verschiedenen Anbieter der Übersicht halber einmal unter ein gemeinsames Dach nimmt, ist Bestandteil der politischen Diskussion. Der Stadtrat berät zurzeit darüber, wie eine Dachstrategie aus Eigentümersicht zur Organisation der städtischen Energieversorger aussehen könnte.
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