Stadt
Widerstand gegen Einstellung der Linie 38
Weil wegen Tempo 30 für die Linie 46 ein zusätzliches Fahrzeug benötigt wird und auf der Linie 13 ein weiterer Kurs eingesetzt werden muss, könnte der Bus der Linie 38 aus Kostengründen eingestellt werden. In Höngg regt sich Widerstand. Neben der Lancierung einer Petition wurden im Gemeinderat erste Vorstösse eingereicht, um die Einstellung zu verhindern.
18. März 2021 — Patricia Senn
Wie der «Höngger» Ende Februar online berichtete, steht aufgrund der Umsetzung von Tempo 30 zwischen Rosengartenbrücke und Schwert plötzlich die Einstellung der Buslinie 38 zur Diskussion. Gemäss öffentlichen Protokolls der 13. Sitzung der Regionalen Verkehrskonferenz Zürich von Ende November 2020 verursachen die Folgen der Tempo-30- Strecken auf den Linien 46 und 13 der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) Mehrkosten in der Höhe von jährlich 900 000 Franken. Da die Bus- und Tramlinien durch die Temporeduktion länger unterwegs seien, brauche es mehr Fahrzeuge und Personal, um den Takt aufrechtzuerhalten, so die VBZ. Für deren Finanzierung stünden gegenwärtig jedoch keine Mittel zur Verfügung. Alleine durch den Corona-bedingten Ausfall von Fahrgästen seien dem Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) 2020 Einnahmen in der Höhe von 100 Millionen Franken entgangen. Unter anderem deshalb kann der kantonale Verbund keine zusätzlichen Mittel für Tempo-30-Massnahmen zur Verfügung stellen. Aber auch, weil er die Einführung von Tempo 30 kritisch beurteilt: «Der ZVV ist der Überzeugung, dass die Einführung von Tempo 30 die Attraktivität des ÖV mindert», ist dem oben erwähnten Protokoll zu entnehmen. Damit widerspricht er jedoch dem Beschluss des Kantonsrates betreffend Grundsätze über die mittel- und langfristige Entwicklung von Angebot und Tarif im öffentlichen Personenverkehr. Dort steht, dass «Das Anliegen einer attraktiven Reisezeit und der behinderungsfreien Fahrt der Busse (…) unter Berücksichtigung des Lärmschutzes, der Verkehrssicherheit sowie einer angemessenen Leistungsfähigkeit für die übrigen Verkehrsteilnehmenden mit Nachdruck zu verfolgen [ist].»
Region sei durch Linien 13, 46, 69 und 80 gut erschlossen
Für die VBZ heisst dies: Solange die Finanzierung nicht gesichert ist, kann Tempo 30 nur umgesetzt werden, wenn die Zusatzkosten auf einer anderen Linie kompensiert werden. «Bedingung für die oben erwähnte Umlagerung ist, dass sie lokal gemacht wird», so die VBZ. Der Bus bediene die gleiche Region wie die Linien 13 und 46, werde heute aber nur mässig genutzt. Durchschnittlich befänden sich teils deutlich weniger als zehn Fahrgäste pro Fahrt im Bus, abgesehen von wenigen Fahrten am Nachmittag und Abend in Richtung Schützenhaus Höngg, wo es zirka zehn bis 15 Fahrgäste pro Fahrt seien. Täglich fahren so rund 700 Personen auf der Strecke zwischen Waidspital und Schützenhaus. Am Samstag sei die Nachfrage etwas niedriger, am Sonntag seien in der Regel nicht mehr als fünf Personen im Bus. Die Zahlen beziehen sich auf Jahresdurchschnittswerte 2019. Von Montag bis Freitag werde jeweils rund jede vierte Fahrt automatisch gezählt, am Wochenende teilweise jede zweite Fahrt, womit die Fahrgastzahlen ein sehr genaues Bild der Realität abgeben würden, so die VBZ.
Die Auslastung sei jedoch nicht das alleinige Kriterium. Das gesamte Gebiet sei gemäss Angebotsverordnung auch ohne Linie 38 erschlossen, heisst es im erwähnten Protokoll. Die umliegenden Haltestellen der Linien 13, 46, 69 und 80 würden den Bereich bedienen. Zweifelsohne würden die Fusswege dadurch jedoch länger und gewisse Verbindungen nur mit zusätzlichem Umsteigen möglich.
Petition und politische Vorstösse
Zumindest Stadtrat Baumer und Vorsteher der Industriellen Betriebe scheint sich der Bedeutung der Linie 38 für Höngg bewusst zu sein. Immerhin meinte er anlässlich der eingangs erwähnten Verkehrskonferenz: «Sie [die Bus-linie 38] führt zum Friedhof Hönggerberg und wird von vielen älteren Personen genutzt. Auch mit einem geringen Kostendeckungsgrad wird eine Einstellung dieser Linie noch zu Diskussionen führen». Er sollte Recht behalten: Inzwischen hat der Höngger Miro Steiner eine Petition gegen die Einstellung der Buslinie lanciert und wird dabei von zahlreichen Höngger*innen tatkräftig unterstützt. Online und Offline kamen bislang rund 1500 Unterschriften zusammen. «Alle Personen, die wir angesprochen haben, haben sofort unterzeichnet», erzählt eine Unterschriftensammlerin. In Höngg sei die Wichtigkeit dieser Verbindung unumstritten, selbst wenn man selber nicht an der Strecke wohne. Die Schiessplatzgenossenschaft Höngg und der Sportverein Höngg wandten sich in ihren Schreiben direkt an Stadtrat Baumer und betonten, dass die Verbindung für die Vereine, die auf dem Hönggerberg tätig seien, aber auch für Friedhofsbesucher*innen und Spaziergänger*innen essentiell sei. Der Quartierverein Höngg unterstützt die Petition und wird sich ebenfalls schriftlich an Stadtrat Baumer wenden. Er beteiligt sich ausserdem am Fahrplanverfahren. «Es ist ganz einfach: Wenn Tempo 30 umgesetzt werden soll, muss jemand die Kosten dafür übernehmen. Der Bus darf auf keinen Fall eingestellt werden», meint Präsident Alexander Jäger.
Am Mittwoch, 3. März, wurden gleich drei Vorstösse mit Bezug zur Linie 38 von Gemeinderät*innen eingereicht. Monika Bätschmann (Grüne) und Simone Brander (SP) forderten zusammen mit neun Unterzeichnenden den Stadtrat auf zu prüfen, wie die Buslinie aufrechterhalten werden könne und allfällige Mehrkosten bei der Linie 46 dem ZVV in Rechnung gestellt werden könnten. Es könne nicht sein, so die Postulantinnen, dass aufgrund der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben, nämlich die Strassenlärmsanierungen, das ÖV-An-gebot reduziert und eine ganze Quartierbuslinie eingestellt werde. Auch Andreas Egli und Martina Zürcher (beide FDP) setzten sich mit ihrem Postulat für den Erhalt der Linie 38 ein, jedoch mit einer anderen Stossrichtung. Der Stadtrat soll prüfen, wie auf Temporeduktionen auf Achsen des öffentlichen Verkehrs verzichtet werden kann, um eine Verschlechterung der ÖV-Qualität oder gar eine Schliessung von Quartierbuslinien zu verhindern. Sie glauben, dass die Einstellung der Buslinie zu einer Zunahme des motorisierten Individualverkehrs in Höngg führen würde. Simone Brander hat ausserdem gemeinsam mit Markus Knauss von den Grünen eine Schriftliche Anfrage platziert. Unter anderem soll der Stadtrat Auskunft darüber geben, weshalb gerade die Linie 38 von einer Einstellung betroffen sein soll und wann mit einer Umsetzung der bereits festgesetzten Tempo 30 an der Ottenbergstrasse zu rechnen ist. Auch wollen die Politiker*innen wissen, ob der Stadtrat bereit ist, rechtlich gegen den ZVV vorzugehen, sollte sich dieser weiterhin weigern, die Kosten zu übernehmen. Die beiden Postulate wurden am Mittwoch, 17. März, von einer grossen Mehrheit des Gemeinderats für dringlich erklärt und stehen nun für den 14. April auf der Traktandenliste.
Anschaffung eines Busses auf der Linie 46 wurde vom Stadtrat bewilligt – Finanzierung durch «Umlagerung»
In einem Beschluss vom 11. Februar bewilligte der Stadtrat einen Objektkredit von 1 341 000 Franken für die Beschaffung eines Gelenktrolleybusses auf der Linie 46 sowie betriebsnotwendige Beistellteile. Zur Finanzierung desselben schreibt er: «Die Ausgaben sind nicht im Budget 2021 enthalten. (…) Im Rahmen der Diskussion über das Gesamtkonzept über die Strassenlärmsanierung 3. Etappe ist zu befinden, wie die Mehrkosten finanziert werden. Wird keine Finanzierung gefunden, so werden die VBZ die Mehrkosten intern einsparen müssen. Im Vordergrund steht eine Einstellung der Linie 38.» Dies ist insofern erstaunlich, als bereits vergangenen Herbst zwischen Rosengartenbrücke und Kürbergstrasse, also auf Teilen der Nordstrasse und auf der Ottenbergstrasse, Tempo 30 rechtskräftig verfügt wurde. Sowohl aus dem Konzept «Strassenlärmsanierung durch Geschwindigkeitsreduktion, Zonenkonzept Tempo 30 kommunale Strassen» von 2012, als auch aus dem 2014 publizierten Bericht zum Akustischen Projekt Kreis 10 geht hervor, dass eine Temporeduktion auf der betroffenen Strecke die Anschaffung eines zusätzlichen Fahrzeugs nötig machen würde. Dennoch wurde die Finanzierung eines solchen im Vorfeld nicht thematisiert oder in einem Budget berücksichtigt. Darauf angesprochen, verweisen die VBZ auf die derzeit laufenden innerstädtischen Diskussionen. Die Dienstabteilung Verkehr, die in dieser Sache den Lead hat, meint auf Anfrage, sie dürfe sich zu laufenden politischen Geschäften nicht äussern.
Die geplanten Fahrplanmassnahmen für 2022/2023 wurden am 8. März publiziert. Darin schreiben die VBZ: «Da die Finanzierung der aufgrund der Fahrzeitverlängerung entstehenden Mehrkosten nicht geklärt ist, muss zum heutigen Zeitpunkt als Kompensation die Linie 38 eingestellt und die Linie 46 am Sonntag länger im 15-Minuten-Takt betrieben werden». Im selben Schreiben bittet der Vertreter der VBZ um Verständnis dafür, dass «aufgrund der Coronakrise für zahlreiche andere Projekte keine finanziellen Mittel zur Verfügung stünden», darunter die Entlastungskurse für die Linie 80. Im Rahmen des Fahrplanverfahrens 2022/23 können nun bis zum 29. März Begehren gestellt werden.
Bessere Koordination erwünscht – und versprochen
Bislang hatte die Stadt im Grundsatz dort Tempo-30-Massnahmen erlassen, wo den VBZ keine Mehrkosten entstanden. So gilt seit 2019 rund um den Meierhofplatz bis Zwielplatz und Wieslergasse Tempo 30. Im vergangenen Jahr wurde auf der Linie des 46er-Busses zwischen Stampfenbachplatz und Rosengartenbrücke ebenfalls die Geschwindigkeit auf 30 reduziert. Dabei sei es zwar bereits jetzt zu Fahrzeitverlängerungen gekommen, diese hätten jedoch von der vorhandenen Reservezeit abgefedert werden können. Die auch Wendezeit genannten Minuten am Ende einer Linie dienen einerseits dem Abbau von Verspätungen, anderseits soll das Fahrpersonal eine kurze Pause einlegen können. Ist diese Reservezeit aufgebraucht, werde unabhängig vom Ausmass der benötigten zusätzlichen Zeit ein zusätzliches Fahrzeug fällig. Dies sei nun durch die Verlängerung der Tempo-30-Strecke an der Ottenberg- und Nordstrasse eingetreten.
Die Anwohner*innen Hönggs sind nun auf widersprüchliche Weise betroffen: Den einen will man eine wichtige Buslinie wegnehmen, die es vor allem älteren Personen ermöglicht, selbstständig und mobil zu bleiben. Den anderen eine lang erkämpfte und im vergangenen Jahr in Aussicht gestellte Beruhigung der Strasse, an der sie leben, abspenstig machen. Dies könnte für andere Linien in der Stadt einen Präzedenzfall schaffen: Auch andere Quartierbusse könnten mit dieser Argumentation – entweder kein Tempo 30 oder kein Bus – «weggespart» werden, so dass die Anwohner*innen sich plötzlich mit der unmöglichen Wahl zwischen Lärmbelastung oder Verlust der Mobilität konfrontiert sehen. Das kann nicht die Lösung sein.
Im November 2020 wurde die Lärmschutzstrategie Stadt Zü-rich publiziert, welche sich auf den regionalen und kommunalen Richtplan und «Stadtverkehr 2025» stützt. Darin steht, sie [die Strategie] leiste einen wichtigen Beitrag an die Umwelt- und Gesundheitsziele der Stadt Zürich und sei «mit der städtischen Verkehrs- und Siedlungspolitik koordiniert». Diese Koordination gilt es unbedingt zu verbessern.
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