Gewerbe
Von Höngg aus den Biomarkt verändern?
Am 30. August öffnet in Höngg der schweizweit erste Alnatura - Migros Biomarkt. Götz Rehn und Jörg Blunschi äusserten sich in einem Gespräch zu den Hintergründen und Zukunftsvisionen.
12. Juli 2012 — Fredy Haffner
Als erstes löscht er im Sitzungszimmer im siebten Stock der Zentrale der Migros Zürich das Licht, das überflüssigerweise brennt. Dann interessiert er sich für die Geschichte des «Hönggers» und erst dann ist er zum Interview bereit: Götz Rehn, Gründer von Alnatura Deutschland, hochpräsent und überzeugter Anthroposoph.
Neben ihm sitzt Jörg Blunschi, seit 2010 Geschäftsleiter der Genossenschaft Migros Zürich, und lehnt sich entspannt zurück ohne die Konzentration des passionierten Fliegenfischers vermissen zu lassen, der er tatsächlich ist. Da haben sich, soviel wird im Gespräch, das der «Höngger» mit den beiden führen durfte schnell klar, zwei gefunden, die in ihrer Verschiedenheit Eins sind.
«Höngger»: Alnatura und Migros arbeiten zusammen. Welche Geschäftsform verbindet die beiden Firmen?
Blunschi: «Die schönste Art, die Partnerschaft. Rechtlich unabhängig, trägt jeder seinen Teil zu einem guten Gelingen bei. Migros betreibt den Laden in Höngg, aber der Inhalt ist 100 Prozent Bio wie in den deutschen Alnatura Läden.»
Rehn: «Zudem verbindet uns die kulturelle Ebene. Ich erinnere an Duttweiler, der den Konsumenten gute Qualität zu einem fairen Preis bieten wollte. Alnatura will das heute im Biobereich
Wie kam es, dass gerade Höngg als Testmarkt für das neue Alnatura Migros-Konzept ausgewählt wurde?
Blunschi: Als wir uns entschieden, mit Alnatura zusammen zu arbeiten, prüften wir das Wirtschaftsgebiet der Migros Zürich. Der Raster umfasste Kaufkraft, soziodemografische Merkmale und vieles mehr. So kamen wir auf zehn Gebiete, was auch innerhalb der Migros Zürich der Zielsetzung an Alnatura-Läden entspricht. Höngg war auf dieser Liste. Und das Lokal – die ehemalige Migros – war frei und sehr nahe an der gewünschten Grösse, also liessen wir uns diese Chance nicht entgehen.
Canto verde am Meierhofplatz blickt der Eröffnung skeptisch entgegen. Wiederholt sich die Geschichte Duttweilers, dem man vorhielt, er sei für das «Lädelisterben» verantwortlich?
Blunschi: «Nein, denn das Schönste wäre für mich, wenn der canto verde, der seine Sache gut macht, weiter funktionieren würde. Und ich glaube auch, dass das so sein wird, weil er kreativ ist und Kunden hat, die ihm die Treue halten.
Doch die Welt verändert sich, und bei Alnatura stehen Sinn, Genuss ¬– und im weitesten Sinn auch Bequemlichkeit – im Einklang. Mit dieser Dimension soll es uns gelingen, Kunden anzusprechen, die bislang nie in einen Bioladen gingen. Es soll auch das Bewusstsein für Bio verändert werden: Schlussendlich wäre es schön, wenn wir alle zusammen den Bioanteil am Gesamtkonsum erweitern könnten.
Rehn: Dem kann ich nur beipflichten. Und der Markt wird auch von uns profitieren, weil wir eine grössere Verdichtung haben. Bio ist aus seiner Nische raus, nun ist es an der Wirtschaft, mehr Angebote zu schaffen.
Und es geht ja nicht gegen die kleineren Läden, sondern es geht darum, noch mehr Menschen zu Bio zu bringen, etwas Sinnvolles für Mensch und Erde zu tun. Wir müssen weg vom Quantitativen hin zum Qualitativen Wachstum, sonst werden wir die Weltbevölkerung nie ernähren können. Leider kommen wir zu wenig schnell vorwärts in diesem Bestreben.
Wie schnell wollen Sie denn vorwärts? Ist Höngg für Sie das Tor zur Schweiz?
Rehn: Wir nehmen uns so viel vor wie die Kunden ermöglichen. Die Nachhaltigkeit bezieht sich ja auch auf einen Impuls zur Substitution: weniger konventionelle, dafür mehr Bio-Nahrungsmittel. Letztlich bewirkt dies eine Veränderung der Ernährungsweise und der vorgelagerten Landwirtschaft. Wenn es uns gelingt, die Bevölkerung von den Vorteilen zu überzeugen, freut es uns natürlich, damit viel Sinnvolles in die Welt zu bringen.
Die Schweiz hat einen hohen Marktanteil an Bioprodukten. Sie weist europaweit, zusammen mit Österreich und Dänemark, den höchsten Pro-Kopf-Umsatz vor. Dennoch hat es schwer, wer sich komplett Bio ernähren will. Diese Hürde wollen wir zukunftsorientiert überwinden.
… eine Bio-Zukunft, welche die Migros in der Startphase verschlafen hat, Herr Blunschi. Nun hat man mit Alnatura einen erfahrenen Partner in die Schweiz geholt. Warum hat die Migros nicht selbst agiert?
Blunschi: «Die Migros hat den Bio-Trend ursprünglich verschlafen. Das brauchen wir nicht zu verschweigen. Nun, man hätte sich auch zurücklehnen und sich mit dem trotzdem stattfindenden Wachstum zufrieden geben können. Doch als die Geschäftsleitung der Migros Zürich sich nach ganz allgemeinen Wachstumsmöglichkeiten umsah, kam man schnell auf den Biobereich. Die erste Arbeitshypothese lautete: Gehen wir ein Risiko ein und machen den ersten Migros-Bio-Supermarkt mit ausschliesslich Bioprodukten. Dann schauten wir unser eigenes Sortiment an und stellten fest: Da fehlt uns viel – von der Vielfalt über das Know-how bis zu den Beziehungen. Für diesen Weg brauchen wir einen starken Partner und da mussten wir uns nicht lange umschauen.
Rehn: Dem Prinzip der Kooperation gehört die Zukunft. Man arbeitet dort zusammen, wo man sich gegenseitig inspirieren kann. Wirtschaft ist doch letztlich immer ein Miteinander: Zusammenarbeiten, für den «Arbeitgeber» Kunden. Immer alles selbst machen zu wollen, ist auf die Dauer nicht effizient.
Gemäss Ankündigung Anfang Jahr wird das Angebot mit Schwerpunkt Lebensmittel und Naturkosmetik geführt. Non-food-Artikel fehlen. Warum dieser Ausschluss?
Blunschi: Wir mussten wegen der Fläche Kompromisse eingehen und bei der Frische wollten wir keine Abstriche machen. Also klammerten wir Textilien aus, obwohl wir das an sich gerne hätten, gerade im Bereich Babykleidung.
Nun werden auf 460 Quadratmetern gegen 5‘000 Produkte angeboten. Im Bereich «Frische» wird man zahlreiche Produkte von Bio-Bauern aus der Region vorfinden. Wie weit fassen Sie den Begriff «Region»?
Blunschi: Höngg hat leider keinen Biobauern. Das Gemüse kommt aus der Region, zum Beispiel von Stephan Müller aus Steinmaur und Milchprodukte von der Sennerei Bachtel. Und frische Suppen werden von «Suppe und Pedale» aus Zürich per Fahrrad angeliefert, um nur drei Beispiele zu nennen.
Rehn: Es können sich auch andere Anbieter bei uns melden. Da ist sicher noch viel Entwicklungspotential vorhanden. Die Vielfalt, das Individuelle, das Veredelte, da hat es gerade im regionalen Bereich noch Luft nach oben.
Blunschi: Viele Produkte im neuen Biomarkt werden von regionalen Bauern sein, dazu kommen Produkte von Migros-Bio, von Alnatura sowie von nationalen und internationalen Marken. Wenn ich bei Alnatura-Migros einkaufe, dann habe ich Bio und nur Bio.
Herr Rehn, «Bio» leidet nach wie vor unter einem «Labelsalat». In der Schweiz ist zumindest die Knospe, das Symbol von Bio-Suisse, gut verankert. Die Konsumenten vertrauen auf die strengen Richtlinien. Sind die «Alnatura»-Richtlinien ähnlich streng?
Rehn: Zu Alnatura geht man in der Gewissheit, dass man bei uns 100 Prozent Bio einkauft. Die EU-Bioverordnung ist die Grundanforderung. Darüber gibt es die Individualisierung wie zum Beispiel den Demeterbund, Biosuisse mit der Knospe, Bioland in Deutschland und eine grosse Vielfalt an regionalen Bio-Gütesiegeln. Ebenso in Frankreich und Italien – wer soll da noch den Überblick behalten? Wir stellen sicher, dass dieser Grundstandard gegeben ist, weil man als Verbraucher sonst verwirrt ist.
Die händlerische Kompetenz ist das, was wir zunächst dauerhaft kommunizieren wollen, um dem Konsumenten die Desorientierung in diesem «Labelsalat», wie Sie es nennen, zu nehmen. In Deutschland haben wir es geschafft, wir sind die nachhaltigste Marke und das nachhaltigste Unternehmen. (Anmerkung der Redaktion: 2011 hat das Unternehmen den Deutschen Nachhaltigkeitspreis erhalten, der die ökologischsten Unternehmen Deutschlands prämiert.)
… und wenn ein Bio-Produzent schummelt, gerät die ganze Branche in Verruf…
Rehn: Ja, das kommt leider vor. Ich sag es so, die Biorichtlinien sind die härtesten die es überhaupt für Lebensmittel gibt. Auf jedem Produkt gibt es klare Hinweise auf die Kontrollstelle, in der Schweiz ist das ebenso. Aber ja, wo Menschen sind, geschehen Fehler. Aber: Wir sind nicht schuld an Umweltverschmutzung auf dieser Erde – im Gegenteil: Es ist ein Unding, dass wir als Biobewegung immer nachweisen müssen, dass Bio umweltfreundlicher ist, denn wir benötigen keine Kunstdünger und Pestizide. Was Pestizidrückstände und Genmanipulationen anbelangt, all diese Umweltbelastungen, je mehr wir davon weltweit zulassen, desto schwieriger wird es, Bio-Ware rein zu halten – da suche ich Verbündete, die uns helfen, die Biolandbaufläche zu vergrössern. Das ist die eigentliche Leistung, die wir erbringen müssen, denn wenn Bio-Äcker plötzlich in der Mehrheit sind, dann erübrigt sich die Gefahr der Verunreinigung von selbst.
Blunschi: Den «Labelsalat» können aber auch wir nicht bereinigen. Es gibt verschiedene Labels wie in anderen Branchen auch, aber sie sind alle Bio. Im Konkreten muss ich mich als Kunde nicht mehr dauernd fragen, was nun all diese Beschriebe auf den Packungen bedeuten. Wir geben dem Kunden Sicherheit; er kann sich einfach darauf verlassen und vertrauen, dass es Bio ist.
Herr Rehn, Sie scheinen überzeugt, dass die Weltbevölkerung mit Bioprodukten zu ernähren ist.
Rehn: Ja natürlich. Der Weltagrarrat hat in seiner letzten grossen Studie ganz klar ausgesagt: Wenn wir überleben wollen, dann nur mit biologischem Landbau. Wir müssen nun Verhältnisse finden, die nachhaltig sind, die sich selbst stützen, die organisch mit der Erde arbeiten und den Menschen ein Einkommen ermöglichen, alles andere wird uns nur weiter ins Elend stürzen.
Scheint es Ihnen nicht manchmal paradox, dass früher – und da muss man gar nicht weit zurückblicken – alles Biolandbau war und heute sträuben sich gerade viele Bauern dagegen, nach Biokriterien zu arbeiten?
Rehn: Weil es aufwändiger ist! Der Fehler, den wir Menschen in unserer Bequemlichkeit oft machen, ist, dass wir den Gedanken der Arbeitsteilung – der in der Industrie gut funktioniert und richtig ist – auf die Landwirtschaft übertragen. Ich habe den Wandel zur Agrarindustrie miterlebt: Ein Vetter meines Vaters hatte einen 1700-Hektar-Betrieb. Als ich Kind war, haben dort 300 Menschen gearbeitet. Heute sind es noch drei. Das ist schrecklich. Riesige Maschinen, alles was im Weg stand ist niedergerissen, von der Hecke bis zu den Häusern. Da wird nur nach Subventionen angebaut und auch schon mal die Ernte wieder umgepflügt, wenn man sie nicht verkaufen kann. Das sind Verhältnisse, das geht gar nicht. Und wenn so das Modell der Zukunft aussehen soll, dann brauchen wir nur gesunden Menschenverstand um zu sagen, dass es das nicht sein kann. Wir können nicht gegen die Natur.
Ich ärgere mich immer, wenn dem Biolandbau vorgeworfen wird, er sei nicht Fortschrittlich. Das sind einfach zwei verschiedene Seinsbereiche: Die Wirtschaft ist etwas anderes als die Landkultur. Ich sage bewusst «Landkultur»» und nicht Landwirtschaft, denn «Wirtschaft» passt dort eigentlich gar nicht hin, wenn man so an «Wirtschaft» denkt. Das müsste man auseinanderkriegen. Was wir da schon zerstört haben in den letzten 50 Jahren, das ist dramatisch.
Herr Blunschi, auch die Migros hat das Prinzip der Nachhaltigkeit als zentrales Element in ihrer Strategie verankert. Wie wirkt sich dies konkret aus?
Blunschi: Ich sage immer, Inhalt ist wichtiger als Programm. Zum Beispiel aktuell die Kampagne „Generation M“. Die spielt in verschiedenen Bereichen über Gesundheit, Konsum, aber auch Mitarbeitende, Umwelt und Gesellschaft werden durch viele Initiativen miteinbezogen. Doch ich bin auch manchmal etwas skeptisch. Ich erlebe die Migros immer dort stark, wo sie nicht Ankündigungsminister ist, sondern wo sie mit einer Bescheidenheit einfach umsetzt.
… aber leidet nicht gerade die Nachhaltigkeit darunter, dass sie viel Zeit braucht, bis sie sich nachweisen lässt? Bis sie in den Köpfen der Menschen funktioniert?
Blunschi: Ja, das liegt in der Sache der Natur. Dabei ist es eigentlich der falsche Ansatz, immer zu denken «Ja in 20 Jahren stehen wir da oder dort». Denn wie stark die Hebelwirkung von Massnahmen und Programmen einen Einfluss auf die Nachhaltigkeit hat, das können wir ehrlicherweise nur bedingt sauber einschätzen. Ich versuche lieber, heute im Kleinen viele gute Dinge zu tun.
Rehn: Was die Migros auszeichnet ist, dass man sich an Idealen orientiert. Und daran fehlt es in unserer Gesellschaft heute etwas. Das Thema Nachhaltigkeit ist ein Reparaturbetrieb, der die Mitmenschen immer nur mit negativen Botschaften tyrannisiert. Dabei wäre es so wichtig, sich mal über die positiven Botschaften in einem nachhaltig produzierten Produkt Gedanken zu machen. Was transportiere ich darin an positiven Leistungen? An alternativer Energie? An CO2-Bindung im Humus? Und so weiter – dann können wir auch mehr bewegen.
Mit der Hoffnung auf mehr und übergreifende Bewegung im Biomarkt ging der Interview-Termin nach einer aufschlussreichen und spannenden Stunde zu Ende. Nicht nur in Höngg wird man genau beobachten, was die Eröffnung des ersten Alnatura-Migros Fachgeschäftes im Biomarkt – und vielleicht auch anderswo – verändert. Der «Höngger» bedankt sich für dieses Gespräch.
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