Quartierleben
Von der Limmat-Nixe bis zum Joyce-Kenner
Auch im Jahr 2024 gab es eine Vielzahl an Menschen in Höngg, deren Lebensgeschichten berührt, bewegt und fasziniert haben. Einige von ihnen haben wir näher kennengelernt.
1. Januar 2025 — Dagmar Schräder
Da ist zum Beispiel Fritz Senn. Der 96-jährige Höngger leitet die Zurich James Joyce Foundation. Schon während des Studiums entdeckte er seine Faszination für den irischen Autor James Joyce, der während und zwischen den Weltkriegen einige Jahre in Zürich gelebt hatte. Senn setzte sich intensiv mit Joyce auseinander, diskutierte dessen Werk in Lesegruppen und übernahm schliesslich 1985 die Leitung der neu gegründeten Stiftung. Damit machte er sein Hobby zum Beruf und ist diesem bis heute treu geblieben.
Auch Simone Wick hat sich in den vergangenen Jahren eingehend mit einer Sache beschäftigt, jedoch weniger mit Lesen als vielmehr mit erlesenen Weinen: Sie ist eine von weniger als 250 Personen in der Schweiz, die das Weinakademiker Diploma in der Tasche haben. Damit hat sie sich fundierte Kenntnisse in Produktion, Kundschaft und Verkauf angeeignet – Fähigkeiten, die sie bei ihrem Job gut gebrauchen kann: Sie ist bei Zweifel 1898 als Leiterin Gastronomie und Events tätig.
Und noch eine Person mit einer grossen Leidenschaft hat der «Höngger» getroffen: Gemma ist zwar erst acht Jahre alt, doch sie weiss, was sie will. Ihr Hobby heisst Synchronschwimmen. Seit zwei Jahren ist sie Mitglied der Limmat-Nixen Zürich, dreimal wöchentlich trainiert sie dort. Hartes Training macht ihr nichts aus – das sei besser als einfach nur rumzuträumen, sagt sie.
Auf Reisen
Von einer Person, die vielen in Höngg bekannt war, hiess es in diesem Jahr Abschied nehmen: Dubad Cabulahl war seit 2011 regelmässig vor der Migros anzutreffen, wo er das Magazin «Surprise» verkaufte. Mit seiner zurückhaltenden, gewinnenden Art eroberte er die Herzen vieler Menschen in Höngg. Doch im Sommer machte sich der gebürtige Somalier auf zu einem neuen Lebensabschnitt: In Äthiopien will er sich nun gemeinsam mit seiner Familie eine Existenz aufbauen.
Eine Reise war es auch, welche die Journalistin Jeannine Borer nachhaltig beeindruckte – wobei es weniger die Destination selbst war, sondern vielmehr eine Begegnung unterwegs, die in ihr vieles ausgelöst hat: Sie traf einen Mann, der ihr seine Lebensgeschichte erzählte. Sein Schicksal liess Bohrer nicht mehr los und sie begann, sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Das Ergebnis ist eine fünfteilige Podcast-Serie über einen Vater, der seine Kinder seit 25 Jahren nicht mehr gesehen hat, weil seine Ex-Frau ihm die Töchter entfremdete.
Rückblicke
Einen Blick in die Vergangenheit wagte der «Höngger» im Juli mit Vreni Noli und Hansruedi Frehner, die beide hier aufgewachsen sind. Noli und Frehner erinnern sich gerne an ihre Jugend in Höngg zurück – und stellen fest, dass sich seither so einiges verändert hat – nicht nur zum Guten. Es ist nicht nur die Fülle an kleinen Läden und Restaurants, die sie heute im Quartier vermissen. Insgesamt, so stellen sie fest, habe man sich früher besser gekannt und mehr kommuniziert. «Es wäre schön, wenn man wieder mehr miteinander zu tun hätte», wünscht sich Frehner.
Längst vergangen sind auch die Zeiten, in denen Schaggi Streuli durch die Strassen von Höngg streifte. 125 Jahre wäre Streuli oder Emil Kägi, wie er mit bürgerlichem Namen hiess, in diesem Jahr geworden. Einen grossen Teil seiner Kindheit hat er hier verbracht – und entdeckte in Höngg auch sein schauspielerisches Talent: Bereits als Kind übernahm er bei den selbstgeschriebenen Stücken eines Nachbarn verschiedene Rollen, später schrieb er eigene Stücke, die bei den Festen des Turnvereins zur Aufführung gelangten. Nationale Berühmtheit erlangte er dann 1949 mit seiner Paraderolle «Polizischt Wäckerli». Damals wohnte er zwar schon nicht mehr im Quartier, doch Wäckerli selber war eigentlich auch ein Höngger: Für die Rolle stand ein Turnkollege Pate.
Neue Kapitel aufschlagen
Nicht ganz 125 Jahre, aber doch schon fünf Jahre alt ist die Höngger Buchhandlung Kapitel 10. Andreas Pätzold, der Inhaber, ging damals das Wagnis ein, den weissen Fleck auf der Karte des Buchhandels zu tilgen und in Höngg ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Und das Konzept funktionierte. Mittlerweile ist das Kapitel 10 weit mehr als «nur» eine Buchhandlung. Es hat sich zu einem beliebten Treffpunkt und Café etabliert mit regelmässigen, gut besuchten Veranstaltungen. Und im Herbst schlug Pätzold wortwörtlich noch ein weiteres Kapitel auf: Mit dem «Kapitel 11» öffnet er im Zwei-Wochen-Turnus jeweils bis abends um 23 Uhr – mit Bar und gemütlichem Beisammensein.
Apropos neues Kapitel: Da wäre auch noch Urs Leu, der langjährige Leiter des Gesundheitszentrums für das Alter Bombach. Dieser wird seine Tätigkeit zu Beginn des nächsten Jahres an den Nagel hängen, sich ein wenig früher pensionieren lassen. Es sei nun Zeit für die Familie, sagt Leu, für die Enkelkinder vor allem. Aber auch für den Sport. Und für sein ganz eigenes Hobby: das Lastwagenfahren.
Und last, but not least durfte der «Höngger» dabei sein, als Rosy Etter-Scheim die Ehrung als älteste Zürcherin entgegennehmen durfte. Die 106-Jährige lebt heute im Pflegezentrum Riedhof. Ihr Leben ist von Ausdauer, aber auch von Genuss geprägt. Lebensfreude und Humor, so lässt sie durchblicken, gehören für sie zum Rezept für ein langes Leben.
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