Institutionen
«Verstofflichte» Gedanken im «Tertianum»
Im Tertianum Im Brühl stellt die Künstlerin Margrit «Ritzi» Heinzelmann ihre Stoff-Bilder aus. Quilts und Patchwork-Arbeiten kennt man, ihre handgenähte Textilkunst mit dargestellten Landschaften, Menschen und Gebäuden trifft man hingegen selten an.
14. März 2013 — Redaktion Höngger
Die kürzlich 86-jährig gewordene Damenschneiderin, welche zusammen mit ihrem Mann im Tertianum Im Brühl wohnt, wollte schon immer mit Stoff zu tun haben: «Meine Mutter war Schneiderin, und wenn sie arbeitete, so sass ich daneben auf einem Schemel und nähte ebenfalls – so war ich zufrieden.» Es war fast logisch, dass sie Damenschneiderin wurde und zwanzig Jahre lang, von 1958 bis 1978, unter dem Namen Couture Ritzi ein eigenes Schneideratelier in Wiedikon führte. Ritzi ist eine Kombination aus ihrem Vornamen Margrit und ihrem Mädchennamen Ziegler – und so nennen ihre Bekannten sie Ritzi und die Künstlerin signierte ihre Bilder mit diesem Kürzel.
Schon mehrmals in Höngg ausgestellt
Im «Tertianum» zeigt sie einen Teil ihrer vielen Stoff-Bilder. Insgesamt sind in den letzten Jahren über zweihundert Kunstwerke entstanden. «Seit 1960 wohnen mein Mann und ich in Höngg, und ab dem Jahr 1980 durfte ich einige Male ausstellen – so etwa im Ortsmuseum und bei Goldschmied Gloor.» Wer nun meint, sie habe einfach Reststoffe aus ihrem Atelier verwendet, der irrt sich: «Gemalt habe ich schon immer, aber Stoffbilder stellte ich erst intensiv nach der Schliessung meines Ateliers her. Ich wollte die Stoffe aus den Musterbüchern brauchen, doch rasch merkte ich, dass dies nicht ging.» Die Stoffe passten von Farbe oder Textur nicht, hatte Ritzi Heinzelmann doch genaue Vorstellungen von dem, was entstehen sollte. «Ich kaufte Organza-Seidenstoffe, Baumwoll- und Wollstoffe direkt bei den Fabrikanten – so hatte ich das Passende.»
Reise-Eindrücke «zu Stoff gebracht»
Die Motive, die so unterschiedlich wie die Gedankengänge von Ritzi Heinzelmann sind, nähte sie in aufwendiger Handarbeit schichtenweise über- und nebeneinander, so dass Landschaften, Menschen, Gebäude und Stimmungen entstanden. Das Ehepaar reiste viel, und in den Jahren sind viele Eindrücke zusammengekommen. Bemerkenswert ist ihr Jeansbild des Escher-Wyss-Platzes mit dem bekannten orangen Brunnen, der heute nicht mehr steht. Auf dem Bild holen vier Geister «aus Afrika oder einem anderen armen Land» Wasser aus dem Brunnen und tragen es in Gefässen auf ihren Köpfen weg – sie trügen den Überfluss aus der Wohlstandsgesellschaft, so die Künstlerin zum Bild aus dem Jahr 1982. Das erste Bild von 1975 zeigt die Westminster Abbey in London und ist riesig – was praktisch beim Zügeln sei: Manche Bilder von Ritzi Heinzelmann lassen sich rollen, denn sie haben nur zwei Stäbe zur Fixierung oben und unten eingearbeitet. Heute ist der Grossteil der Bilder jedoch eingerahmt und unter Glas. Witzig auch der «Mode Zirkus», der darstellt, wie einem die Mode buchstäblich auf der Nase herumtanzt. «Ich wollte zeigen, dass manche Leute den neuesten Modetrends fast schon hörig sind und sich mit dem Unvorteilhaftesten kleiden, nur weil es gerade angesagt ist.»
Bis morgens um zwei Uhr Bilder genäht
Ihre Bilder sind von A bis Z Handarbeit. Grundlage ist ein Stoff, meist Baumwolle, auf dem sie die einzelnen Stoffstücke festnähte. «Jedes Stichlein habe ich von Hand genäht, ausser ich wollte eine dicke Linie, die ich dann mit der Nähmaschine gesetzt habe», erzählt sie. Stundenlang schnitt sie Stoffe akribisch genau aus, setzte sich den Fingerhut auf und hielt die Stoffe mit kleinen Stichen an Ort und Stelle. Diese Art der Bilderherstellung sei für sie auch Entspannung gewesen: «Ich war dann ganz an einem anderen Ort und wurde erst durch das Glöcklein, welches mein Mann zum Nachtessen klingeln liess, in die Realität zurückgeholt.» Nicht selten sass sie bis morgens um zwei Uhr an ihrem Arbeitstisch oder bei grossflächigen Bildern am Boden und nähte Stich um Stich – wie es ein Maler Strich um Strich tut. Seit fünf Jahren hat sie kein neues Bild mehr in Angriff genommen, da chronische Rückenschmerzen die Haltung beim Nähen verunmöglichen. «Dies erfüllte mich schon mit Wehmut, doch ich kümmere mich nun vermehrt um unsere Fotoalben, in welchen ich unser Leben festhalte – sie sind ein bisschen wie Tagebücher für meinen Mann und mich, und ich kann weiterhin kreativ sein. Denn das brauche ich einfach!».
0 Kommentare