Fokus
«Unter Denkmalschutz» ist kein Zufallsentscheid
Direkt mit ihr zu tun haben nur wenige, doch das Ergebnis der Arbeit der Denkmalpflege geht alle an. Und man hat es, bewusst oder unbewusst, oft vor Augen: Nebst Häusern werden auch Gärten, Brunnen und andere baugeschichtliche Zeugen geschützt. Doch wer entscheidet und nach welchen Regeln?
25. März 2019 — Fredy Haffner
Ein Missverständnis sei gleich geklärt: Denkmalschutz ist nicht gleich Heimatschutz (siehe Infobox). Dieser Verwechslung unterlag – zugegeben – auch die Redaktion des «Hönggers» und verhaspelte sich manchmal in der Begriffswahl, als sie dieses Fokusthema zu bearbeiten begann. Doch das ist nur eines von diversen Missverständnissen – um nicht zu sagen «Vorurteilen» – welche sich um die Denkmalpflege ranken.
Warum werden Gebäude überhaupt geschützt? Eine 2012 vom Amt für Städtebau herausgegebene Broschüre hält fest, dass Gebäude «Informationen speichern: Sie erinnern an die städtebauliche, politische, kulturelle, soziale oder wirtschaftliche Vergangenheit und prägen damit die Identität der Stadt und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner».
Schön geschrieben, doch was bedeutet dies in der Praxis? Der «Höngger» traf sich mit Stefan Gasser, Bereichsleiter Archäologie und Denkmalpflege des Stadtzürcher Amtes für Städtebau, um diese Frage zu klären. Gasser zeigt sich als Mann, der seine Arbeit auch im Kontext zu übergeordneten Fragen sieht, wenn er sagt: «In einer Zeit, wo in Zürich so viel gebaut wird, müssen wir uns Gedanken machen, was die Identität von Zürich baulich ausmacht. Die Schonung des Kulturlandes und die Verdichtung in der Stadt sind sehr wichtig, das soll aber mit Sorgfalt und mit Weitblick gemacht werden».
Gesetzlich geregelter Auftrag
Das kantonale Planungs- und Baugesetz (PBG) verpflichtet in Paragraph 203 die Stadt, ein Denkmalinventar zu führen, in dem alle Objekte bezeichnet werden, die möglicherweise schutzwürdig sind. «Schutzobjekte», heisst es dort, «sind Ortskerne, Quartiere, Strassen und Plätze, Gebäudegruppen, Gebäude und Teile sowie Zugehör von solchen, die als wichtige Zeugen einer politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder baukünstlerischen Epoche erhaltungswürdig sind oder die Landschaften oder Siedlungen wesentlich mitprägen, samt der für ihre Wirkung wesentlichen Umgebung».
Kompliziert genug, was sich auch in der Auslegung dieses Gesetzestextes zeigt. «Bei einem neu erstellten Gebäude bildet man sich zwar schnell eine Meinung dazu, ob es einem gefällt oder nicht», so Gasser, «aber ob es ein wichtiger baulicher Zeuge ist, kann erst mit einer gewissen zeitlichen Distanz von mindestens einer Generation entschieden werden».
Daher muss das Denkmalinventar regelmässig überarbeitet werden. Dabei schaut man die ganze Stadt an, nimmt dann aber nicht zwingend aus jedem Quartier etwas ins Inventar auf. Letztmals wurden vor sechs Jahren 81 jüngere Bauten, alle zwischen 1960 und 1980 erbaut, inventarisiert.
Eine Inventarergänzung wird von der Fachstelle Inventarisation zuhanden des Gesamtstadtrates vorgeschlagen. Dieser entscheidet dann, ob ein Objekt in das Inventar kommt oder nicht. Dafür, erzählt Gasser, nehme sich der Stadtrat Zeit und schaue sich Objekte auch mal vor Ort an. Obwohl keine Pflicht besteht, ist die Stadt seit einiger Zeit dazu übergegangen, die Hauseigentümerschaft bereits über die Inventarisierung brieflich zu informieren.
Dagegen Einsprache erheben können sie nicht, denn das Denkmalinventar ist nur für Behörden verbindlich und kann deshalb nicht angefochten werden. Und es hat für die Eigentümerschaft auch noch keine unmittelbare Rechtswirkung. Es bedeutet nur, dass bei geplanten baulichen Veränderungen – vom kleinen Eingriff bis hin zum Abriss – auch die Denkmalpflege vorgängig informiert werden muss.
Schutzwürdig, schutzfähig und verhältnismässig?
Erst bei einem konkreten Projekt wird dann geprüft, ob ein Objekt oder Teile davon unter Schutz gestellt werden sollen – oder auch, ob das Objekt aus dem Inventar entlassen werden kann. Beide Entscheide fällt letztlich der Stadtrat. Er lässt sich dabei auch von seiner Denkmalpflegekommission beraten. Diese setzt sich aus sechs stimmberechtigten, verwaltungsexternen Fachleuten und sechs Mitglieder der Verwaltung zusammen, die nur beratende Stimme haben. Präsident ist immer der Vorsteher des Hochbaudepartementes, derzeit André Odermatt, und die Geschäftsführung übt Martina Jenzer, Leiterin Inventarisation Denkmalpflege, aus.
Das Gremium arbeitet nach klaren Kriterien, geleitet von drei Grundfragen: Ist ein Gebäude schutzwürdig, repräsentiert es also zum Beispiel einen bestimmten Baustil oder eine Zeitepoche? Zweitens wird angeschaut, ob ein Haus auch schutzfähig ist, also ob es baulich überhaupt noch in einem erhaltbaren Zustand ist und seine vorgesehene Nutzung auch für heutige Bedürfnisse erfüllen kann. Und letztlich muss auch noch die Verhältnismässigkeit einer Unterschutzstellung gegeben sein. Auf diesen drei Standbeinen nimmt der Stadtrat eine Güterabwägung vor, in der er alle öffentlichen und privaten Interessen gegeneinander abwägen muss. Er muss also zum Beispiel sowohl auf die ökonomischen Interessen der Eigentümerschaft wie auch auf heute so wichtige ökologischen Anliegen Rücksicht nehmen.
Entscheid und Rekursrecht
Hat, was auch vorkommt, nicht schon die Hauseigentümerschaft den Wunsch nach einer Unterschutzstellung gestellt, entscheidet also der Stadtrat und nicht die Denkmalpflege, ob ein Objekt geschützt oder ob es aus dem Inventar entlassen wird. Beides muss amtlich publiziert werden, und ab diesem Moment haben die Hauseigentümerschaft und die Nachbarschaft ein Rekursrecht. Hinzu kommt im Kanton Zürich das Verbandsbeschwerderecht des Heimatschutzes, von dem dieser bei Inventarentlassungen nicht selten Gebrauch macht. Akzeptiert eine Partei den Entscheid des Baurekursgerichts nicht, so kann sie das Urteil ans Verwaltungsgericht und schliesslich ans Bundesgericht weiterziehen.
Von der Baueingabe bis zur Bauabnahme
Ist eine Liegenschaft im Inventar oder gar unter Schutz, müssen Umbaupläne im Rahmen des normalen Baubewilligungsverfahrens auch der Denkmalpflege vorgelegt werden. Ebenfalls, wenn das Objekt in einer Kernzone liegt (siehe Infobox). Stefan Gasser rät, dies möglichst frühzeitig, also vor der Baueingabe zu tun: «Bei uns arbeiten gut qualifizierte Fachleute, die für Inventar- und Schutzobjekte eine kostenlose Beratung mit wertvollen bautechnischen Tipps anbieten. Wenn alle Aspekte frühzeitig besprochen werden, gibt es fast immer eine gute Gesamtlösung, die für alle stimmt». Den Konsens betont Gasser immer wieder. Dieser werde auch unter den Zuständigen der Denkmalpflege gesucht: Für jeden Stadtkreis ist jemand zuständig, für den Kreis 1 mehrere, und damit man sich in grundsätzlichen Fragen nicht zu weit unterscheide, gelte das Vieraugenprinzip und man treffe sich regelmässig zu Fallbesprechungen.
Bei einem Schutzobjekt überprüft die Denkmalpflege natürlich genau, ob der Schutzumfang eingehalten ist, von der Baueingabe bis zum Abschluss der Arbeiten.
Bei einem Inventarobjekt dagegen prüft sie nur, ob die vorgesehene Baumassnahme den Denkmalwert allenfalls gefährdet. «Wenn das nicht der Fall ist», führt Gasser aus, «kann das Baugesuch direkt von der Bausektion bewilligt werden. Im Alltag ist dies weitaus der häufigste Fall. Nur wenn ein inventarisiertes Gebäude stark verändert oder sogar abgebrochen werden soll, braucht es eine formelle Schutzabklärung und einen Entscheid durch den Stadtrat».
Doch die Denkmalpflege ist ja nicht die einzige involvierte Stelle in einem Baubewilligungsverfahren: Erst aus den Rückmeldungen aller Fachstellen, also auch der Feuerpolizei, des Umwelt- und Gesundheitsamtes sowie des Tiefbauamts erarbeitet das Amt für Baubewilligungen den Bauentscheid, der von der Bausektion, einer Delegation mit drei Stadträten, verfügt wird.
Konfliktpotential unter Behörden
Folglich kommt es, gerade bei denkmalgeschützten Bauten, manchmal zu Interessenskonflikten. Was zum Beispiel, wenn die geschützte alte Holztüre nicht heutigen Brandschutzvorschriften entspricht? «Wir pflegen im Baubewilligungsverfahren einen regelmässigen Austausch mit anderen Fachstellen», erläutert Gasser, «gerade bei Schutzobjekten ist es wichtig, dass spezifische Lösungen gefunden werden. Oft kann mit der Feuerpolizei eine massgeschneiderte Lösung gefunden werden. Selbstverständlich geht die Sicherheit der Menschen immer vor. Oder mit Umwelt- und Gesundheitsschutz (UGZ) muss eine Lösung gefunden werden, weil eine schöne Fassade nicht mit einer Aussenwärmedämmung eingekleidet werden kann. Dann wird allenfalls das Dach besser isoliert, um in der Gesamtrechnung die Ansprüche des UGZ zu erfüllen». Nur in seltenen Fällen, wenn auf Stufe der Fachstellen keine Einigung erzielt wird, müsse die Bausektion Widersprüche bereinigen.
Und bezahlen muss….
Renovationskosten an denkmalgeschützten Bauten oder Teilen davon sind nicht immer billig. Gerade für Private kann das unangenehme Folgen haben. Doch diese können Beiträge für Restaurierungsmassnahmen beantragen, was mitunter auch ein Grund sein kann, sein Haus überhaupt unter Schutz stellen zu lassen, denn diese Gelder können schon bei der Unterschutzstellung in einem verwaltungsrechtlichen Vertrag gesichert werden. Doch Gasser betont: «Denkmalpflegebeiträge gelten nicht als Entschädigung wegen einer Unterschutzstellung. Die Gerichte haben immer wieder gesagt, dass Eigentümerinnen und Eigentümer im Sinne des öffentlichen Interesses gewisse Einschränkungen in Kauf nehmen müssen. Erst bei einer sehr grossen Werteinbusse durch eine Unterschutzstellung, kann die Bauherrschaft eine Entschädigung von der öffentlichen Hand verlangen».
Der Zürcher Denkmalpflege steht ein jährliches Globalbudget zur Verfügung, um sich an Renovationen zu beteiligen. Ein Anspruch auf Kostenbeteiligung besteht aber nicht, ausser es wurde bereits in einem verwaltungsrechtlichen Vertrag zugesichert. Ansonsten wird von Fall zu Fall entschieden, und Gasser erzählt das Beispiel eines Freskos, an dessen Renovation sich die Denkmalpflege beteiligte. Bis zu 50 Prozent können die Beiträge ausmachen, nicht an die Gesamtkosten, aber an einzelne Posten.
Ein Lob an Höngger Bauherrschaften
«Damit Häuser als Denkmäler eine Geschichte erzählen, müssen sie mit Sorgfalt umgebaut werden», lässt Gasser zum Schluss des Gesprächs seinen Gedanken freien Lauf. «Sie dürfen nicht ausgehöhlt werden und sie sollen möglichst in ihrer gesamten Struktur erhalten bleiben. Genauso wichtig ist aber auch, dass sie sinnvoll genutzt werden können. Häuser sind keine Museen, sondern müssen eine Nutzung haben. Nur so beleben sie ein Quartier und nur so kann der bauliche Unterhalt für die Zukunft gesichert werden. Das bedingt oft auch grosse Eingriffe in die Häuser. Wenn diese gut gemacht sind, können sie auch eine Bereicherung für das Baudenkmal sein. Höngg ist jedenfalls ein schönes, ehemaliges Weinbauerndorf mit vielen engagierten Bauherrschaften, die ganz selbstverständlich ihre historischen Häuser unterhalten und damit zum schönen Ortsbild beitragen».
Das Inventar kann im Internet abgerufen werden: www.katasterauskunft.stadt-zuerich.ch
Weitere Artikel zum Thema unter www.hoengger.ch / Archiv / Fokus / Baugeschichte Höngg
Was ist was?
Unter dem verkürzten Begriff «Denkmalpflege» werden jene staatlichen Fachstellen mit Gesetzesauftrag zusammengefasst, welche sich dem Erhalt und der Pflege historischer Gebäude, Siedlungen und Anlagen widmen. Bei der Stadt ist die städtische Denkmalpflege beim Amt für Städtebau im Hochbaudepartement angesiedelt. Sie führt das «Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte von kommunaler Bedeutung» und ist zuständig für die darin enthaltenen Bauten (ca. 7’000 Objekte auf Stadtgebiet). Sie berät und begleitet Bauwillige bei Inventarobjekten und Projekten in Kernzonen und wirkt beim Baubewilligungsverfahren mit.
Die «Kantonale Denkmalpflege» ist zuständig für die überkommunalen Inventarobjekte (ca. 270 Objekte auf Stadtgebiet).
Unter «Heimatschutz» sind die verschiedenen, privatrechtlich organisierten Vereine gemeint, die sich ebenfalls dem Erhalt und der Pflege verschiedenster historischer Kulturgüter widmen.
Unter dem Dach des Schweizer Heimatschutz (SHS) sind 25 kantonale Sektionen organisiert. Eine davon ist der Zürcher Heimatschutz (ZVH) mit seinen beiden Untersektionen in den Städten Winterthur und Zürich. Im Kanton Zürich hat der Heimatschutz das Verbandsbeschwerderecht. Er kann also, wie aktuell im Fall der Siedlung Friesenberg, gegen die Neubaupläne Rekurs einlegen und bis vor Bundesgericht ziehen. Mit dem Verbandsbeschwerderecht auf kantonaler Ebene (nicht in jedem Kanton) und Bundesebene ist dem Heimatschutz ein wirksames Mittel gegeben, auf konkrete Bauvorhaben Einfluss zu nehmen.
(Quelle: Zürcher Heimatschutz ZVH)
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