Spektakuläre Funde im Rütihof

Anlässlich des internationalen Museumstags am Sonntag, 22. Mai, lud das Ortsmuseum Höngg in seine Ausstellung «Spuren der Zivilisation in Höngg» ein. Ein Vortrag über die aktuellen Grabungen im Rütihof lieferte spannende Einblicke in die Arbeit der Archäologen.

Das eindrückliche Grabungsfeld im Rütihof-Grossried.
Daniel Möckli erklärt interessierten Besucherinnen und Besuchern die Arbeit der Archäologen.
Detailarbeiten bei den aktuellen Grabungen.
Die gefundene Pfeilspitze im Grössenvergleich.
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Seit November 2015 sind auf dem Areal im Rütihof, auf dem der Bau des umstrittenen «Ringlings» geplant ist, Archäologen der Stadt Zürich mit Ausgrabungen beschäftigt, und das Interesse daran, welche «Schätze» hier wohl gefunden werden, ist nicht nur bei den Grabenden, sondern auch bei den Anwohnern gross. Mit seiner im März eröffneten Ausstellung «Spuren der Zivilisation in Höngg» trägt das Ortsmuseum diesem Umstand Rechnung und gewährt neugierigen Hönggerinnen und Hönggern einen Einblick in die Arbeit der Archäologen und deren Ergebnisse.

Spuren der Vergangenheit in Höngg

In der Ausstellung finden sich neben äusserst interessanten Arbeiten von Höngger Schülerinnen und Schülern, die ihre eigenen Visionen darüber entwickelt haben, wie es in Höngg wohl im Jahr 3000 aussehen könnte und welche Überbleibsel unserer Kultur dann wohl gefunden werden würden, auch Informationen über die älteren Fundstellen in Höngg wie beispielsweise die Hügelgräber beim Heizenholz, die aus der Hallstattzeit um 800 vor Christus stammen. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt jedoch bei der Dokumentation der aktuellen Grabungen im «Grossried», wie das Areal im Rütihof offiziell heisst.

Spannende und unterhaltsame Ausführungen

Für den Museumstag hatten die Verantwortlichen des Ortsmuseums nun extra den stellvertretenden Grabungsleiter, Daniel Möckli, eingeladen, um den Besucherinnen und Besuchern die neuesten Informationen zum Grabungsgeschehen aus erster Hand liefern zu können. In seinen Ausführungen erklärte er zunächst, worin die Arbeit von Archäologen generell besteht, und räumte dabei gleich mit ein paar gängigen Klischees auf: «Archäologen werden in den Medien zumeist so dargestellt, dass sie den Erdboden pinseln, um zu ihren Fundstücken zu gelangen.» Die Realität sei davon natürlich meilenweit entfernt, eine Grabung beginne in der Regel zunächst mit einem Bagger, um grössere Erdschichten abtragen zu können, und werde dann immer weiter verfeinert. Hauptwerkzeug der Archäologen sei nicht der Pinsel, sondern eher eine Maurerkelle. Die archäologische Arbeit, so erklärte Möckli in seinen sehr kurzweiligen und unterhaltsamen Ausführungen, gleiche der «Tätigkeit eines Polizeikommissars, der an einen Tatort gerufen wird und den Täter eruieren muss». So versuchten die Archäologen an ihrem «Tatort» zu verstehen, wie die Menschen gelebt haben könnten, deren Spuren gefunden wurden. Gegraben werde überall dort, wo etwa durch Bauarbeiten mögliche Zeitzeugen vergangener Tage zu verschwinden drohen.

Bauvorhaben in «archäologischer Zone»

Genau aus diesem Grund sei man nun im Rütihof mit Grabungsarbeiten beschäftigt. Weil in der Nähe ja in der Vergangenheit bereits bedeutende Funde gemacht werden konnten, ist der Rütihof als «archäologische Zone» klassifiziert, was bedeutet, dass, falls − wie jetzt beim «Ringling» − ein Bauvorhaben geplant ist, auf jeden Fall vor Baubeginn eine archäologische Grabung stattfinden muss. Anders als viele Hönggerinnen und Höngger jedoch dächten und sich teilweise gar wünschten, so führte Möckli humorvoll aus, seien die Grabungen weder dazu da, den Bau zu beschleunigen noch ihn zu verzögern, sondern lediglich ein Hinweis darauf, dass hier irgendwann in naher oder etwas fernerer Zukunft gebaut werden wird.
Mittels Sondierungen habe man daher im November 2014 ermittelt, ob auf dem Gelände etwas von Interesse zu finden sei, und auf der Nordhälfte des Areals eine Schicht mit Keramikstücken und Holzkohle gefunden. Seit November 2015 wird daher, voraussichtlich noch bis Ende Juli 2016, auf dem Areal in verschiedenen Feldern jeweils bis zu zwei Meter tief in die Erde bis zur Moränenschicht der eiszeitlichen Gletscher gegraben. Unterhalb dieser Schicht finden sich keine archäologisch relevanten Gegenstände mehr.

Spektakuläre Funde mit Seltenheitswert

Darüber aber, so Möckli, seien Fundstücke aus den verschiedensten Zeitaltern zutage gekommen. Neben Holzkohleschichten, die auf Feuerstellen hindeuten, Abdrücken von Pfählen, die zu Gebäuden gehört haben könnten, und einer Steinschicht, deren Bedeutung bis jetzt noch nicht evaluiert werden konnte, seien vor kurzem auch Scherben eines sogenannten «Glockenbechers» gefunden worden. Diese Becher sind typische Grabbeigaben der «Glockenbecherkultur» zwischen Jungsteinzeit und Bronzezeit und somit 4000 bis 4500 Jahre alt. Es handelt sich dabei um seltene Funde, von denen bis anhin auf dem Gebiet des Kantons Zürich erst sehr wenige registriert werden konnten. Auch eine auf dem Areal geborgene Pfeilspitze aus Feuerstein, die Möckli unter den Besuchern herumgehen liess, dürfte rund 5000 Jahre alt sein, womit die beiden Gegenstände mindestens 2000 Jahre älter sein dürften als die Hügelgräber beim Heizenholz. Diese spektakulären Funde sind Beweis dafür, dass sich zu den unterschiedlichsten Zeiten, von der Stein-, über die Eisen- und Römerzeit bis hin zum Frühmittelalter, Menschen im Gebiet Heizenholz–Rütihof–Höngg aufgehalten haben. Gut möglich auch, dass bis zum Ende der Grabungen weitere hochinteressante Funde gemacht werden.
Mit diesen hochspannenden Enthüllungen beendete Möckli seine Führung und entliess die Gäste zu den vom Ortsmuseum vorbereiteten Apérohäppchen mit bester musikalischer Untermalung durch ein Trio des Jazz Circle Höngg.

Seltene Zeugen einer frühen Kultur

Kurz vor Redaktionsschluss traf die Medienmitteilung des Hochbaudepartements mit neuen Erkenntnissen zur ur- und frühgeschichtlichen Besiedlung von Zürich ein. «Auch wenn sich die anfängliche Vermutung, bei den Grabungen im Grossried auf Grabhügel der frühkeltischen Zeit zu stossen, bis jetzt nicht bestätigt hat, kamen überraschende Funde aus mehreren ur- und frühgeschichtlichen Epochen zutage», heisst es dort, und weiter: «Diese Funde und mehrere Radiokarbondatierungen − Messung des Kohlenstoffisotops 14C zur Altersbestimmung − werfen ein neues Licht auf die Besiedlung des Zürcher Stadtgebiets. So zeigen Holzkohlereste, dass die älteste steinzeitliche Besiedlung im Zeitraum 3100 bis 3500 vor Christus erfolgt sein muss. Siedlungen aus dieser sogenannten ‹Horgener Kultur› konnten bislang nur in Form von Pfahlbauten an den Seeufern nachgewiesen werden, wie zum Beispiel im Jahr 2010 bei der Rettungsgrabung ‹Parkhaus Opéra›.
Um einen äusserst seltenen Fund handelt es sich bei einem sogenannten ‹Glockenbecher›, der in einer Grube gefunden wurde. Die Scherben aus der Steinzeit – gemäss Radiokarbondatierung stammen sie aus der Zeit um 2400 v. Chr. – sind Zeugen einer europaweit verbreiteten kulturellen Erscheinung im dritten Jahrtausend vor Christus, die in der Schweiz nur mit wenigen Funden repräsentiert ist. In Zürich konnten Siedlungsreste dieser sogenannten ‹Glockenbecherkultur› bislang nicht gefunden werden, obwohl Analysen von Bodenproben zeigen, dass genau in diesem Zeitraum eine verstärkte Rodung der Wälder sowie eine markante Intensivierung des Getreideanbaus erfolgte, was auf eine intensive Siedlungstätigkeit hinweist.

Auch die Höngger Geschichte muss neu betrachtet werden

Andere Funde weisen auf Siedlungstätigkeiten in der spätkeltischen Zeit (Eisenzeit) im Zeitraum 170 bis 350 vor Christus hin. Überraschend kamen zudem mehrere römische Brandgräber mit Urnen und verbrannten Knochen zum Vorschein, eine im Kanton Zürich äusserst seltene Entdeckung. Nach ersten Einschätzungen datieren diese ins zweite Jahrhundert zurück. Mehrere Grabensysteme bieten Einblick in die frühmittelalterliche Besiedlung von Höngg: Radiokarbondatierungen zeigen, dass das Gelände im siebten bis neunten Jahrhundert besiedelt gewesen ist. Die genaue Funktion der Gräben – etwa als Teil einer Verteidigungsanlage oder als Umzäunung eines landwirtschaftlichen Betriebs – ist noch ungeklärt.»

Tag der offenen Grabung
Aufgrund der zum Vorschein gekommenen Gräber wird die Rettungsgrabung bis Ende Juli verlängert. Am Montag, 30. Mai, von 10 bis 12 Uhr und von 14 bis 16.30 Uhr besteht für die interessierte Bevölkerung die Möglichkeit, den Archäologinnen und Archäologen auf dem Grabungsgelände über die Schulter zu schauen. Bei schlechter Witterung sind Gummistiefel empfohlen.

 

«Spuren der Zivilisation in Höngg»
Ortsmuseum Höngg, Vogtsrain 2, jeden Sonntag 14 bis 16 Uhr, Eintritt frei.

 

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