Frank Frei
Sonnenklar
25. April 2019 — Eingesandter Artikel
Es war vor sieben Jahren, ich hatte drei Tage frei und absolut nichts vor. Das heisst was. Die Sonnenstrahlen des ersten richtigen Frühlingsmorgens des Jahres reckten sich gerade über das Dach des Nachbarhauses und ich sass am Frühstückstisch, den ersten Zeitungsbund neben mir. Absolute Idylle – nur eines störte: meine stumpfen Fensterscheiben. Vergeblich bemühte sich die Sonne, die beiden Dreckschichten zu durchdringen. Die CO2-schwarze aussen ebenso vergeblich wie die nikotingelbe innen. Was nützt mir ein knackiger Frühlingsmorgen, der nicht durch meine Fenster dringt? Also entschloss ich mich, zu Putzlappen und Fensterklar zu greifen und da ich, wie gesagt, nichts Wichtigeres vor hatte, putzte ich sie gleich alle, meine Fenster. Danach setzte ich mich wieder zu Kaffee und Frühstück, die Sonne schien nun hell und klar auf meinen zweiten Zeitungsbund. Und auf eine Staubschicht auf dem Küchenregal, die, ich hätte es beschwören können, vor einer Stunde noch nicht existierte. Also kurz den Staublappen geschwungen, aber vorsichtig, man will ja nichts aufwirbeln. Prima, wie das alte Holz wieder warm leuchtete – ungefähr so auffällig, wie der fettige Saucenstriemen an der Küchenwand. Ich mochte mich nicht erinnern, wann ich wem zuletzt eine derart fettige Sauce zugemutet hatte. Aber es gibt ja Scheuerpulver, was soll´s? Es soll jedenfalls nicht mit jenem Chromstahl in Berührung kommen, dessen Stumpfheit mir nun ebenfalls säuerlich anklagend ins Gesicht stach. Also nächster Griff in den Putzschrank. Den hätte ich unterdessen auch im Schlaf gefunden. Was erstaunt, denn noch vor knapp zwei Stunden hatte ich das Fensterklar im Keller gesucht.
Nachdem auch sämtliche Pfannen, Geschirrschränke, Lampenschirme, Bilderrahmen und selbst die Lichtschalter von prähistorischem Schmutz befreit waren, unternahm ich noch eine Polarexpedition durch mein Eisfach und kratzte danach die kläglichen Überreste eines vergessenen Fertigmenüs aus dem Backofen. Das pelzige kleine Tier, das ich hinter dem Küchenschrank entdeckte, entpuppte sich nach vorsichtigem Anstupfen als Dörrpflaume, welche in vergessener Zeit einmal die lieblich bereitgelegte Beilage eines Kaninchenragouts hätte werden sollen. Dass der Übergang vom frisch gewienerten Küchenboden zum Wohnzimmer nun plötzlich wie die Grenze zwischen erster und dritter Welt daherkam, war natürlich nicht tolerierbar und eine UNO-Vollversammlung in meinem Hirn entschloss sich zu weiterem, entschlossenem Vorgehen.
Und so ging dann meine Reise durch verschiedenste Ablagerungsschichten meines Lebens weiter. Dass ich dabei auf Zeitzeugen ganz sonderlicher Art stiess, liegt wohl in der Natur solcher Akte, und hätte ich Zeugen für meine Akribie gehabt, ich hätte mich problemlos um die Stelle als leitender Archäologe bewerben können. Eine solche war nämlich in der Zeitung inseriert, die ich in meinem Briefkasten – letzte Station meiner Putzwut – vorfand. Das Datum war um drei Tage gealtert. Um drei ursprünglich unverplante Freitage. Wen wundert´s, dass meine Fenster in den letzten sieben Jahren vergessen haben, wie sich Fensterklar anfühlt?
Frank Frei
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