Kirchen
Silja Walter zum neunzigsten Geburtstag
Am 23. April feiert Silja Walter ihren 90. Geburtstag. Aus diesem Anlass entstand folgendes Interview. Die Fragen dazu formulierte der Schweizer Botschafter in Tel Aviv, Walter Haffner, der seit seiner Jugendzeit ein grosser Verehrer des dichterischen Werks der Jubilarin ist. Das Interview führte sein jüngerer Bruder, Fredy Haffner
16. April 2009 — Fredy Haffner
Silja Walter wurde am 23. April 1919 in Rickenbach bei Olten geboren. Sie ist die Tochter des Verlegers Otto Walter und die Schwester des Schriftstellers Otto F. Walter. Nach dem Besuch des Lehrerseminars und einem Literaturstudium veröffentlichte sie 1944 ihre ersten Gedichte. 1948 trat sie ins Benediktinerinnenkloster Fahr ein, wo sie bis heute als Ordensschwester Hedwig lebt. Ihre dichterische Begabung steht im Dienst ihres gottgeweihten Lebens, gibt Zeugnis für ihre gelebte Gottsuche und wurde mehrfach mit namhaften Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Preis der Schweizerischen Schillerstiftung, dem Literaturpreis der Stadt Zürich und dem Kunstpreis des Kantons Solothurn.
Auf dem Weg zum Interview
Es ist wie man es sich gemeinhin vorstellt: Man steht vor der Klosterpforte, zieht am Glockenstrang, vernimmt eilende Schritte und dann öffnet die Schwester Pförtnerin die Guckklappe der alten Türe, man bringt sein Anliegen vor, wird hereingebeten und hinauf zum Arbeitszimmer von Schwester Hedwig geführt. Sie ist noch nicht dort und so wartet man auf dem Flur, betrachtet die Bilder und Inschriften, während Schwester Hedwig gerufen wird. Und dann tritt sie aus der Türe mit der Überschrift „Clausura“ – 90 Jahre und voller Elan. Wache Augen Mustern freundlich den weltlichen Gast, sie lässt den Vortritt, nimmt den Mantel ab und bittet zu Tisch im schlichten Arbeitszimmer das nur zwei Worte auszustrahlen scheint: Literatur und Glaube. Oder umgekehrt, doch das ist unbedeutend – und vielleicht das selbe.
In Sehnsucht wortlos sein
Notizen und Fragen zu Silja Walter zum Thema „Zeit“
„Höngger“: 90 Jahre sind eine unheimlich lange Zeit. Und doch kann ich mir vorstellen, dass sie in Ihrer Wahrnehmung sehr schnell vergangen sind. Am Schluss sind es ja nichts anderes als einzelne Tage, aus denen sich die Jahre, auch 90 Jahre, zusammensetzen.
„Der Tag kommt schon
Über den Hügel gelaufen
Schon wieder“
(…)
„Ich hol Dir den Tag
In einer Kanne
Frisch von der Trotte
Du trinkst ihn am besten
Vor Aufgang
Der Sonne“
heisst es in einem ihrer Gedichte („Ite missa est“). Sind die 90 Jahre schnell vergangen für Sie?
Schwester Hedwig: «Ja. Im Psalm heisst es „der Mensch ist ein Hauch“ und ich denke: genau, der Mensch ist ein Hauch. Jetzt sehe ich es so, es ist wirklich ein Hauch, es vergeht einfach, es war. Ich sage das nicht mit Depression, ich stelle einfach fest, das ist so und das muss so sein. Denn wir sind ja mit der Zeit gemacht, wir tragen den Keim einer Zeitlosigkeit, von Ewigkeit, von etwas das hinter der Zeit ist, in uns. Es gibt ja den Satz „Zeit ist Geld“ – es gibt auch den Satz „Zeit ist Gott“ – ER ist im Jetzt. Jetzt. Und ich glaube, je mehr man im Kloster in diese Nähe dieser Ewigkeit kommt, die ich im Glaube Gott nenne, und die ich als existentiell erlebe im Alltag, im Dasein, in der Sehnsucht, im Spüren, im Erleiden, dass dieses Existentielle einem immer mehr in Beschlag nimmt, einen so besetzt im Alter, dass alles sehr einfach wird. Dass man alles was vergangen ist ohne nach „Hinten“ oder nach „vorne“ zu schauen los lässt, denn im Jetzt leigt das von dem man spürt: da werde ich ankommen wenn, sagen wir, der biologische Ablauf fertig ist.»
Und ist es ihnen selber gelungen, „den Tag jeweils vor Aufgang der Sonne zu trinken“?
«Das war natürlich sehr poetisch gemeint. Aber was ich vorhin als eigentlichen Geheimniskern der Zeit bezeichnet habe, das ist für mich ja schon bereits das Ewige. Aus dem Glauben, aus dem Schauen, aus der Betrachtung, aus der Meditation: der Kern ist immer da und am Morgen, im Erwachen, weiss man: ich erwache nicht nur in alltägliche Abläufe hinein, sondern da ist etwas, ja, das trinkt man schon, wie von selbst. So wie bei einer Liebesgeschichte, wenn die Braut erwacht denkt sie an den Bräutigam und umgekehrt. Es ist wie eine Adaption, ein zusammen gehören, etwas, das vielleicht auch in und aus dieser Zeit, von der man glaubt sie sei lang, gewachsen und geworden ist, sich entwickelt hat.
Aber das hätte ich ihnen vor vierzig, ja vielleicht nicht einmal vor dreissig Jahren so noch nicht sagen können. Dieses „Verstehen“ hat sich, ohne es zeitlich genau definieren zu können, so entwickelt, zu dem was ich jetzt zu sagen habe. Früher nicht. Das war jetzt vielleicht nicht ganz ihre Frage, aber nehmen sie das einfach mit, wenn sie möchten.»
Sie haben die Themen Gott und Glaube bereits angesprochen. Gott, oder der feste Glaube an ihn, ist ihnen, wenn man ihre Texte liest, nicht immer so einfach gefallen, wie man sich das als Aussenstehender vielleicht von einer im Kloster lebenden Glaubensschwester vorstellt.
In ihrem Gedicht „Zerstreuung II“ beschreiben Sie Gott als den, der überall um Sie herum Gegenden herstellt, als würde er sich dahinter verstecken, und Sie bitten ihn, diese Gegenden für einmal in den Fluss zu werfen, und Sie offen anzusehen.
In einem anderen Gedicht mit dem Titel „Credo“ heisst es:
„Ich glaube an Gott
Aber ich weiss nicht
Glaubst
Du Geliebter
Ich glaube an Dich
Sprechen wir nicht mehr
Davon“
Oder in „Mädchengebet“:
„Da Du mich trägst und ich Dich trag‘,
trag ich die Welt bei Nacht und Tag
ins Sonnenlicht hinein“
Dieses gegenseitige getragen sein, das auch eine Art gegenseitiger Abhängigkeit ist, erinnert stark, wie so vieles in ihrer Lyrik, an Rainer Maria Rilke, und seine Zwiesprache mit Gott „Was wirst Du tun Gott, wenn ich sterbe? Ich bin dein Gefäss, wenn ich zerscherbe?“. War Rilke ein wichtiger Einfluss für Sie?
«Das ist genau die Frage die mir immer gestellt wird und nun kann ich Ihnen offen sagen: Nein. Wir hatten im Lehrerseminar im Deutschunterricht etwas von Rilke behandelt. Ich weiss nicht mehr genau was, es war etwas von einem Fähnrich (Rainer Maria Rilkes Novelle «Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke», Anm.d.Red.), und das hat mich derart überwältigt, mich in den Griff genommen, dass ich mir sagte: Nie mehr Rilke! Der macht mich nur kaputt – und ich habe von da an nie mehr etwas von ihm gelesen. Ich hatte Angst vor ihm. Rilke ist so gewaltigt, dass das, was da bei mir passiert ist mit meinen ersten Gedichten, das erstickt, wenn ich Rilke lese! Ich aber brauche meine Ruhe, ich brauche meine Freiheit. Nein, ich habe mich nicht von Rilke inspirieren lassen, auf keinen Fall.»
Und nach einer kleinen Pause fügt Silja Walter an:
«Was mich dann aber eigentlich seltsam dünkt: Eichendorf, Möhrike, Storm, die Romantiker die in der Bibliothek meines Vaters standen, die waren dafür so, so offen, die haben mich nicht bedrängt. Die gaben mir das Gefühl: da bin selber drinnen, da muss ich mich gar nicht umsehen, das habe ich schon alles. Der Rhythmus, die Bilder, die Landschaften, dieses schlichte Drinnensein das da beschrieben wurde – und bei Rilke war alles so raffiniert sprachlich geglückt! Er ist ein hervorragender Meister, aber er hat mir irgendwie eine Gewalt angetan, die mir die lieben kleinen Romantiker – das heisst es sind ja keine kleine Romantiker sondern grosse Deutsche Dichter – die haben mich sein lassen wer ich bin. Wenn das hierhin passt, ich weiss ja nicht?»
Das passt sehr wohl, ich werde am Schluss einfach das Problem haben, dass es im „Höngger“ leider nur begrenzt Platz hat für all Ihre wunderbaren Antworten…
«Da muss ich Ihnen jetzt etwas sagen: dieses Interview werden wir im Archiv aufbewahren und es wäre schön, wenn sie uns dafür eine ungekürzte Fassung niederschreiben könnten, einfach das was Ihnen lieb ist, was bei Ihnen ankommt, und danach können Sie kürzen.»
Es wird mir ein Vergnügen sein, Schwester Hedwig…
«…Es ist so schön, jetzt mit Ihnen zu reden, es wäre schade, wenn das nicht festgehalten würde. Denn was sie sagen, das weckt bei mir Sachen, die ich gar nicht erwartet hatte, das ist etwas Schöpferisches! Aber entschuldigen Sie, ich war wohl doch noch nicht fertig mit ihrer Frage nach meiner Beziehung zu Gott. Sie haben Gedichte zitiert, das erste war zu den Gegenden, die er erstellt?
Das war eigentlich nicht so gemeint, dass er Gegenden macht, sondern die sind schon da. Es sind die Gegenden, die er einst gemacht hat, die äussere Welt. Und diese äussere Welt will ich in diesem Gedicht weg haben! Das ist Luft, nimm sie weg und schau mich an! Verzeihen sie, wenn ich so laut werde»,
entschuldigt sich Schwester Hedwig verschmitzt.
«Verstehen Sie: „schau mich an“. Direkt! Nicht durch deine Schöpfung. Du, nur du, kein Dazwischen. Das ist die Sehnsucht nach dem Absoluten, Unmittelbaren, wo keine Worte, keine Bilder, keine Bücher, einfach nichts mehr dazwischen ist…»
Nur noch Gott und Sie?
«Ja. Aber ich verstehe das nicht als Zweifel an oder als Kampf um Gott. Schon, es ist ein Kampf, aber es ist ein Kampf um den Geliebten den ich schon kenne, von dem ich weiss: er ist da.
Und auch im zweiten Gedicht das Sie zitierten, dem „Mädchengebet“, da gab es bereits keine Trennung. Da ist es vereint.
Aber es war doch noch ein Gedicht, welches? Ach ja, „Credo“, da freue ich mich, mal wieder über das reden zu können: Das Gedicht „Credo“ verkörpert für mich genau das was ich vorhin sagte. Im eigentlichen Credo aber, den kurzen Glaubensbekenntnissen, stehen Glaubenssätze: Ich glaube an Gott, ich glaube an den Vater Schöpfer, ich glaube an Jesus Christus, ich glaube an den heiligen Geist, an die heilige Geschichte. Das sind wieder solche „Gegenden“, kann man sagen, es sind Bilder – nein: Dogmen – es sind Wahrheiten über Gott welche die Kirche, die der Geist Gottes in der Kirche durch alle Jahrtausende hindurch entwickelt hat. Diese „Gegenden“ sind nun für uns klar. Sie sind die Substanz dessen woran ich glaube, nämlich an die Dreifaltigkeit und an das ewige Leben.
Aber im Credo betet man das so runter: Man betet das bei jeder Messe gemeinsam, man singt es. Und es ist eigentlich eine grosse, an sich eine ganz gewaltige Zusammenfassung dessen warum man überhaupt katholisch ist oder sagen wir mal, christlich – und genau das, dass das jetzt wieder so fixiert ist, das ist für mich eine Last. „Ich glaube an Gott, aber, glaubst du ich glaube nur an dich, Geliebter?“ „Nur“ im sinne von „bloss“. Ich Glaube doch nicht nur, du bist ja schon da! Verstehen sie, das ist eine nähere Nähe als im Glauben. Der Glaube verzichtet auf Schauen und Haben. „Nur Glaube“ ist, und vor allem der Protestant sagt das: leer und nirgends praktisch. Und das ist aus meiner Sicht eine Chance. Man soll den Glauben nicht verbauen mit Festlegungen, mit Wörtern und Gesetzen. In meinem Gedicht „Credo“ bricht irgendwie mein Protest dagegen aus. Das ist kein öffentlicher Protest, aber in meinem Erleben meiner Beziehung zu Gott wurde eben dieses Unmittelbare schon möglich – und dann schmerzt alles, es stört einfach alles was man dazwischen objektiv, liturgisch, festlegt.
Man nennt das Kontemplation, Vertiefung. Es kommt aus der Nähe, die Gott mit einem bereits eingegangen ist. Die verträgt einfach nicht, dass man jetzt umschaltet auf den Verstand. Und der Verstand ist es ja, der das sagen muss, dieses „ich glaube an Gott, den heiligen Geist“ und so weiter. Wie gesagt: das ist kein Protest gegen mein Glaubensbekenntnis, dieses Credo ist mein Credo. Aber im Grund, wenn ich es jetzt, im Gedicht, so bete, merke ich: man betet das einfach so runter und dann sage ich: „aber lassen wir das mal, Geliebter…“ und dann geht es weiter…. Sie haben es nicht hier, ganz?
Nein, ich habe nur diesen Auszug hier,
worauf Schwester Hedwig aufsteht, mit einem Griff das Buch aus dem Regal holt als hätte sie es dort genau für diesen Moment bereit gelegt und blättert auf der Suche nach dem gesuchten Gedicht.
«…es muss ja nicht unbedingt sein, aber ich glaube…»
…Sie blättert und sucht noch, verweilt mit den Augen da und dort kurz…
«Hier: “Keine Messgebete“ heisst es in der Kapitelüberschrift, es wurde einst als „kleine Messgebete“ veröffentlicht, aber es sind keine „kleinen Messgebete“, ich bete doch immerhin das Credo, aber es ist nicht das offizielle. Übrigens haben Studenten mal diese Messgebete an einer Hochzeit verwendet – wunderschön war das.
Und dann las Schwester Hedwig, Silja Walter, mit fester Stimme ihr „Credo“ vor:
Ich glaube an Gott
aber ich weiss nicht
glaubst
du Geliebter
ich glaube an dich
sprechen wir nicht mehr
davon
aber wie ist es denn
wer dringt denn
durch meine Latten
herein
lichtflüssiges
Gottesnichts
über die Herdasche her
worinnen ich liege
wer ist denn das
wer anders
Glauben
sprechen wir nicht mehr
davon
gestehe es
mein Erlöser
du nahmst mich
mitsamt meiner Hütte
mit
nachhause.
Amen
«Also: auf einem anderen Weg kommt er zu mir. „Durch die Latten herein“, also ohne Gedanken, ohne Begriff, ohne feste Theologie, sondern einfach als der Geliebte, der zu einem kommt. Fertig.
Und doch: „Lichtflüssiges Gottesnichts“. „Gottesnichts“, denn ich kann dich nicht halten! Immer diese Spannung.
Eine Spannung kann man überhaupt nur erleben, wenn man… wie soll ich es sagen – ich glaube der Theologe hat keine Spannung: Er sieht, so, so und so muss es sein und dann kommt dies und jenes – das ist wie Mathematik, obwohl er das im Glauben macht. Aber der Nichttheologe, der einfach einst ergriffen, erfasst wurde, bei dem ist das anders. Bei mir war das am 15. August 1947. Da wurde ich so erfasst, in den Bergen, morgens um vier Uhr als die Sonne aufging, und ich einfach restlos dastand, mich nicht mehr bewegen konnte, einfach so, dort, am See. Meine Mutter hatte daneben gestanden und fragte mich: „was hast denn du, du standest da wie eine Salzsäule?“ und ich sagte: „ Mutter, ich weiss es nicht, was das gerade war“ – neun Tage später wusste ich: ich muss ins Kloster.
Und dieses erfasst sein hörte nicht mehr auf. Sie wissen vielleicht, dass in den nächsten Tagen meine Biographie erscheint? Meine ganze Geschichte, von Anfang an: wie ich ins Kloster kam und was ich erlebte in diesen 60 Jahren. Dort habe ich das beschrieben, dass das, was jetzt da ist, im Grund von jenem Erlebnis. Was im „Keine Messgebete“ steht, ist die Beschreibung dieses Geschenks.
Aber ich sage ihnen offen: das ist nicht einmalig, das hat nicht nur Schwester Hedwig, nein: das ist das Grundgeheimnis jeder Fahrer Schwester, diese Beziehungserfahrung hat jede in sich. Bloss spricht sie nicht darüber. Und ich muss darüber sprechen, das heisst, mit der Zeit spürte ich den Auftrag und habe ihn auch von aussen bekommen: du musst melden was du erlebst, wir haben genügend Bücher, sag mal wie es dir geht – und dann mache ich das.»
So wie Sie das erzählen ist das sehr eindrücklich und ich glaube, das ist für viele Menschen ein näherer Weg um zu verstehen, als wenn es auf einer theoretischen Ebene abgehandelt wird.
«Ja, und ich glaube es braucht dafür auch eine Sprache die nicht banal wird, der man dieses Geheimnis anmerkt, dass es aus dem Glauben, aus der Liebe, aus dem Wesen dieser Frau heraus kommt und nicht einfach aus einem Auftrag, aus einem Beruf.
Aber ich will noch fertig lesen: „Wer ist denn das, du kommst durch meine Latten herein“ – da ist der Mensch und die „Latten“, das sind seine Unfähigkeiten, seine Schwächen und Egoismen, einfach all das, was der Mensch hat bis zum Schluss. Und da kommt ER rein, da durch, nicht nur da, am Morgen wenn ich im Glaubensbekenntnis sage „ich glaube an Gott“. Ich lehne das ab, ich will nicht nur „da oben“, im Verstand glauben.»
Für Sie geht es mehr durch das Herz?
«Es geht durch, einfach durch mich hindurch. Es ist nicht mal nur das Herz. Das Herz ist Gefühl. Es ist mehr: Es ist ein Erkennen, ein Wissen im Glauben. Im Schlussteil des Gedichts heisst es: „Glauben, sprechen wir nicht mehr davon. Gestehe es, mein Erlöser, du nahmst mich mit samt meiner Hütte mit nach Hause.“ Das ist mehr als Glaube und ich wollte Ihnen das vorlesen damit sie wissen, wo ihr Bruder das her hat.»
Die Themen Tanz, Bewegung und Rhythmus ziehen sich ebenfalls wie ein roter Faden durch ihr dichterisches Werk. Es scheint, als ob in dieser Faszination des Tanzes, ähnlich derjenigen des Vogelfluges, eine Sehnsucht zum Ausdruck kommt, die weit über das geregelte, besinnliche Leben innerhalb der Klostermauern hinausweisen.
„Ungereifter Tanz in mir,
unbefreiter Flug –
leise knie ich hin zu Dir
Zwischen Brot und Krug.“
Schreiben Sie im Gedicht „Mittag“. Was bedeutet Ihnen Tanz? Hätten Sie in einem anderen Leben auch Tänzerin werden können?
«Ich hätte sogar in diesem Leben Tänzerin werden können! Tanz ist für mich eine Art der Identifikation. Doch das habe ich nicht gelernt und ich ging nie in irgendwelche Tanzstunden. Ein ganzes Kapitel ganz am Anfang meiner Biographie geht um Tanz. Da musste ich erzählen wie es mir erging…»
Sie haben auch einmal das Klosterleben als Tanz beschrieben mit seinen immerwiederkehrenden Rhythmen…
«Ja, in „Der Tanz des Gehorsams“, das ist ein ganzes Buch in dem ich den Tagesablauf im Kloster – Arbeit, Gebet, Lesung – als dreifarbigen Teppich darstelle. Jeder Bereich bekam eine andere Farbe. In der Arbeit, blau, erlebt man den Schöpfer. Arbeit als die Beziehung zum Vater. Wenn man meditiert, gelb, erkennt man das Licht, Christus, Licht der Welt. Und Rot, das ist die innere Glut des heiligen Geistes, Rot ist vor allem das Stundengebet, die Liturgie. Unser Teppich hat also entsprechend dem Tagesplan Farben die immerfort wechseln: Blau, Gelb, Rot, Blau, Gelb, Rot. Immer fort. Und in diesem Ablauf gibt man das Eigene auf.
Am Anfang war das sehr schwer, alles Eigene sein zu lassen. Die grossen Mystiker sagen, der geistliche Weg ist dreifach: Zuerst kommt die sogenannte Purifikation, die Reinigung. Der Mensch muss für den Weg zu Gott gereinigt werden. Man kann nicht einfach so, „päng-päng“, diesen Weg einschlagen. Nein. Und diese Reinigung setzt sich bis zum Tod fort, die hört nie auf.
Aber: nach einer gewissen Zeit spürt man plötzlich Erleuchtung. Licht kommt rein, alles wird heller, man empfindet zum Beispiel das Geheimnis der Bibel, Wörter, Beziehungen, alles wird durchsichtig. Weil man sauber geworden ist. Und sauber wird man im Kloster durch den Alltag.
Das ist so schwierige am Anfang nach dem Eintritt ins Kloster: man wird in einen Raster geholt, man muss gehorchen von morgens bis abends, in einer Gemeinschaft die man nicht selber ausgewählt hat und zu deren Oberen man hat die Beziehung nicht ganz richtig hat. Diese Schwierigkeiten habe ich drei Jahre so stark gespürt, ich konnte kein Wort mehr schreiben. Aber es musste sein, und das habe ich gemerkt. Ich konnte ja auch nicht davor weglaufen, denn ich habe das ja vorher auf dem Berg erlebt, das habe ich bereits ins Kloster mitgenommen und das hat mich nicht verlassen. Das konnte mir auch niemand nehmen, das was ich mitbrachte, aber ich merkte, dass ich jetzt da in diesen Tag muss wie alle anderen auch. Und dann kam nach drei Jahren der Tag als dieses Licht wieder rein kam und ich wieder schreiben konnte. Und dann entstand fast jedes Jahr ein Buch.
Die letzte Phase dieses Weges ist dann die Kommunion, die Vereinigung mit Gott. Die Erleuchtung, die Reinigung, das Helle, das Erkennen, das alles muss zur Vereinigung führen. Doch im Grunde fand diese Vereinigung mit Gott schon am Anfang statt, sonst wäre ich nicht hierher gekommen. Gott sagt ja: „Du suchst mich nur, weil ich dich schon gefunden habe“ – „Weil ich dich gefunden habe“ – man merkt das gar nicht, doch man beginnt zu suchen, es wurde in einem ausgelöst, dieses Suchen, und es führt einem zum Erkennen, zum Wissen: er ist da.
Diese Kommunion, das ist im Wesen das, was bereits auf dem ersten Wegstück schon da war. Doch diese Purifikation, diese Vertiefung, die ist nie zu Ende, nie.»
«Ich wurde in einem Radiointerview zu meinem Geburtstag gefragt: „ich hätte einst gesagt, ich finge wieder frisch an“ und ich antwortete: „Vor Gott ist man immer am Anfang.“ Ich kann den Abstand gar nicht von mir aus weg nehmen, den Weg beenden. Ich werde von Gott immer mehr angezogen, wie gesagt: Gott ist meine innere Wand. Das kann man vielleicht nicht verstehen wenn am nur davon aus geht, dass ein Prozess etwas bewegen, verschieben, auf etwas zu gehen soll. Aber man spürt das nicht als solches.
Vor Gott ist die ganze Schöpfung einfach ein einziger Punkt, den er selber am Leben erhält. Und da ist der grösste Geist, sind die grössten Mystiker nichts anderes als dieser Punkt! Das sind diese Dimensionen, die einem mit der Zeit trösten: man muss ja gar nicht auf Gott „zuechestägere“ und laufen und machen, überhaupt nicht. Ich finde, das wird zu wenig gesagt in den Kirche, in den Predigten. In der Kirche meinen die Leute immer, sie müssten etwas tun um Gott zu finden – und dann gehen sie eben nicht hin und bleiben im Bett. Und ich verstehe das! Dabei muss man nichts machen, man muss aufmachen und warten und Sehnsucht haben und es kommt langsam. ER ist auch in Bewegung, ER ist eher in Bewegung auf mich hin als ich auf ihn, ER liebt jeden Menschen unsagbar und zwar als Original, absolut jeden. Das sagen die grossen Heiligen, die grossen Kirchenschriftsteller und ich weiss das nicht unbedingt von dort, doch im Grunde kommt das uns in unserem täglichen Gottesdienst, der täglichen Messe zu.
So, das war also zu welchem Punkt? Ach ja, über den Tanz kamen wir. Ja, beim Tanz muss ich gar nichts denken. Tanz ist Musik und Rhythmus. Das ist ein Gefühl von Sein. Musik bringt mich in Bewegung, ich mache das nicht bewusst, das ist reiner Ausdruckstanz, für mich alleine, ganz im Geheimen. Ich habe nie öffentlich getanzt. Gesellschaftstanz sagte mir nie etwas, ich konnte einfach nicht mit meinem Partner damals. Und im Kloster, an der Fasnacht, da tanzen wir manchmal, meine Schwestern und ich. Märsche und Polka, ländliche Tänze, doch auch das kann ich nicht. Aber: „überobe“, meine Zelle ist im oberen Gang, gleich über der Kirche, und wenn unten Bach oder Mozart auf der Orgel gespielt wird höre ich alles und wenn es niemand sieht, dann tanze ich im langen Gang, einfach für mich, und sobald jemand kommt „husch“, bin ich einfach verschwunden.
Ja, Tanz und der Rhythmus des Klosterlebens, das ist schon etwas: Im Tanz geht es auch nicht um Denken und wissen, das ist einfach ein Moment in dem ich sein darf. Da bin ich und da habe ich das Gefühl, da ist Gott und Himmel und alles beieinander – und ich auch. Das ist eigenartig. Identität. Ich bin ich, aber im Zusammenhang mit Himmel und Erde.»
Ein Einklang?
«Ja, ein Einklang»
Sehnsucht ist auch immer wieder ein Thema in ihrem schriftstellerischen Werk. „Der Nachmittag kennt keine Sehnsucht mehr“ heisst es in „September“. Oder:
„Du bist weit. Ich bin allein.
Niederkniend muss den zagen
Strom der Dinge ich ertragen
Und in Sehnsucht wortlos sein.“
in „Weisser Kerbel“.
Es mag eine naive Vorstellung sein, aber irgendwie meinen wir „Weltlichen“, jemand, der sein Leben Gott gewidmet hat, müsste weniger von unerfüllten Sehnsüchten (hier lacht Sr. Hedwig bereits…) geplagt sein als wir. Irren wir uns?
«Ich glaube, alle Sehnsucht die wir haben in der Welt, nach irgendwas, sogar das kleine Kind das schreit wenn es trinken will, das kommt letztlich daher, dass wir noch nicht dort sind wo wir hingehören.
Wir haben das noch nicht erreicht, für das wir geschaffen sind. Wir sind in der Spannung nach dem Ganzen. Für mich ist es wie eine Rakete, diese Sehnsucht nach dem Ankommen. Ich habe keine Ahnung wo ich ankommen werde und die Sehnsucht ist einfach das Zeichen für: wir sind noch nicht dort wo wir ankommen für immer, für das ewige Glück, für die Liebe, für alles, aber vor allem für die Liebe. Und diesen Raum, diese Leere, füllen wir mit einem Haufen anderer Sachen. Wir stillen unsere Sehnsucht in der Welt draussen. Und auch im Kloster, würde ich sagen. Nun gut, da hat man keinen Mann, wo man sich seine Sehnsucht erfüllt, auch keine Kinder, das ist eben das, wo die Frauen hier verzichten.
Ich begreife auch den Konsum den man hat, das Fernsehen, oder im Kino, wo man seine Sinne füllt mit irgendwas weil da ein Loch ist, wir haben ein Loch…»
…Man betäubt die Sinne auch oft..
«Ja – und was machen wir im Kloster? Wir haben genau das gleich Loch wie alle anderen auch. Eine Sehnsucht nach Liebe, nach Erfüllung. Sagen wir nach Erfüllung der Talente, das was Sie sich ersehnen, das haben wir auch. Aber wir sind im Griff, in einer Faszination des Ganzen, des Ewigen – und das ist jemand im „Du“. Das ist eine Person, Gott. Gott ist ein „Du“ im Kloster. Und nur ein „Du“, das ganze „Du“, das ewige „Du“, kann uns eigentlich total erfüllen. Das „Du“ das uns erschaffen hat und auf das hin wir geschaffen sind. „Und unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir“, sagt Augustinus. Wir sind geschaffen auf dieses Ganze und darum sucht unser Herz dauernd Sachen, und wir machen und machen und doch reicht es nicht – es reicht nicht.»
Und reicht bis am Schluss nicht?
«Nein, bis zum Schluss nicht. Aber wenn Gott uns ruft, dann muss er uns – Gott sei Dank – auch entsprechend ausstatten. Er kann uns nicht einfach ins Kloster holen und sagen: „jetzt mach, da, lauf“. Nein, er gibt uns ein ganz neues Gespür, das gehört zur Berufung, eine Art Ausstattung, eine Art Begabung, dass wir uns überhaupt auf ihn einlassen können. Was würde er denn sonst von uns verlangen wenn wir keine blasse Ahnung hätten, wie das gehen soll? Und deshalb sind die Menschen im Kloster doch irgendwie anders. Das heisst: wir sind genau gleich wie alle andern – doch wir sehen hindurch. Dahinter, da ist etwas, und ich gehöre dort hin, und ich reisse alle mit, mit meinem Geist, und sie werden alle einst dort sein, mit mir, wo ich bin.
Da kommt das Soziale mit rein: ich bin nicht von mir aus gegangen, sondern für die alle, die Gott mit mir holen wollen. Jesus sagt im Evangelium: „Wenn ich erhöht sein werde, am Kreuz, werde ich alle an mich ziehen“. Und das ist ein Sog, und in diesem Sog sind wir, wir spüren den. Viele Leute spüren ihn auch, merken aber einfach nicht, was für ein Geheimnis das ist. Die einfachsten Leute vor allem. Diese Leute, die bei uns am Morgen so still in der Kirche knien: die sind im Sog, und das wird immer so weiter gehen und die sind zu beglückwünschen, dass sie in diesem Sog sind und nicht an der Bahnhofstrasse in einem Kaffee sitzen zwei Stunden. Nicht? Das ist der Unterschied.»
Sie haben vorhin in einem Nebensatz die Sehnsucht angesprochen, die Sehnsucht im Zusammenhang „Frau und Kind“. Auch mein Bruder wollte diese ganz bestimmte Sehnsucht ansprechen, wie sie etwa im Gedicht „Die Magd“ zum Ausdruck kommt, als die Magd ihnen von ihrem kommenden Mutterglück schwärmt, und es am Ende des Gedichtes heisst:
„Bin ohne Liebe, ohne Schuld
Und ohne Schmach und Gottes Huld.
Im Röhricht schwingen leere Wiegen,
Drin hab ich meine Sehnsucht liegen“.
Das klingt fast etwas wie ein leiser Vorwurf an Gott, dass Sie nicht selber ein Kind erwarten durften. Sie wären sicher eine wunderbare Mutter geworden (Da lacht Sr. Hedwig bereits laut auf). Ist es ihnen sehr schwer gefallen, darauf zu verzichten?
«Oh, dieses Gedicht ist vor meiner Zeit im Kloster entstanden, ungefähr mit 20 – ich ging mit 29 ins Kloster und hatte natürlich zuvor alles, sagen wir die Pubertät und die Beziehung zu einem jungen Mann, auch erlebt wie meine Schwestern auch. Die haben sich verlobt und ich dachte immer: „ich kann mich doch nicht verloben mit einem Mann, sonst bleibt alles fixiert auf diesen Typ, das ganze Leben lang. Das geht einfach nicht!“ Ich spürte immer, es wird mich in etwas reinholen das über alles geht, diese eine Ahnung hatte ich. Liebe kann nicht einfach in einer Person auf mich zukommen und dann gehöre ich dort rein. Heute ist das ja kein Problem mehr, man wechselt einfach den Mann oder die Frau, doch zu meiner Zeit sah man eine Ehe noch als etwas Entschiedenes, etwas Abgeschlossenes an. Wir in der Familie sowieso. Und so sagte ich meiner Mutter: „Mutter, ich glaube, ich kann ihn nicht heiraten. Da wäre ich angekommen und dort hätte ich zu bleiben.“ Und mir schien, ich gehöre irgendwo in etwas Ganzes hinein, etwas das offen ist.
Aber dieses Kind in meinem Gedicht „die Magd“, das war eben trotzdem ein Ausdruck dafür, dass ich auch eine normale Frau, ein normales Mädchen war.
Deshalb sind auch „der Seidelbast“ und all die anderen Liebesgedichte entstanden, die im Grund nicht so sehr meinem Freund gewidmet waren. Ja ich hatte einen Freund, doch im Grunde bin ich ihm davon gelaufen, weil ich das Gefühl hatte, ich würde das nicht aushalten, wenn mich jemand bindet. Das kommt in meiner Biographie deutlich zum Ausdruck. Dort habe ich einen Sturzbach beschrieben der in mir aufgeht und nie aufhört, meine erste Liebe und es gab überhaupt nur eine: wie ich mich dort wehrte! In mir drinnen, dass ich überhaupt verliebt war, das hat mich derart… – nicht „geärgert“, aber ich hatte den Eindruck: das war wie ein Überfall, von diesem Mann, dieser Mann war so unglaublich, der nimmt mich so mir selber weg und das will ich nicht haben. Ich wehrte mich und das hat unsere Beziehung beendet.
Später fragte er mich mal: „warum bist du gegangen“ und ich antwortete: „Gott hatte mich schon geholt.“
Vor ungefähr drei Jahren kam dieser Mann zu mir und wir sprachen darüber wie wir uns damals getroffen hatten auf dem Bahnhof in Basel. Wir waren beide Studenten und ich hatte gemerkt – denn meine Berufung war offenbar schon von Anfang an – da wo ich mir die Familie schon vorgestellt hatte, da war das Kind nicht ein Objekt der Sehnsucht das bleiben würde. Sicher, es gab eine Zeit, da dachte ich: ein Kind, ich möchte eines. Ich hatte sogar meine Puppen noch in der Sekundarschule auf der Terrasse, wirklich mütterlich war ich schon – doch das Erlebnis damals auf dem Berg hat mich weggenommen. Sehen Sie, sie können Mönche in Einsiedeln, in Engelberg, in Frauental fragen: die sagen das nicht so wörtlich wie ich, aber die kennen das „a tout prix“, nur reden sie nicht davon in dem Mass.»
«Weisch», entfährt es ihr, «ich wäre so froh wenn die merken würden: das was die Schwester Hedwig erzählt ist eigentlich eine Türe für alle andern auch.»
Der Schluss zum Themenbereich Vögel oder Vogelflug erfordert eigentlich keine Antwort mehr von Ihnen, es ist einfach ein Gruss meines Bruders an sie: Vogelflug und der Gesang der Vögel ist ein anderes Motiv, das in Ihren Gedichten sehr häufig erscheint. Ähnlich wie beim Tanz kann man den Eindruck erhalten, als sei die Freiheit und die Weite des Vogelfluges so etwas wie eine komplementäre Dimension zur kontemplativen Seite des Klosterlebens. Vögel spielen auch in einem meiner Lieblingsgedichte eine Rolle (mein Bruder in Tel Aviv kann es auswendig):
Abschied am Abend
Alle Vögel schrein im Falle
Und vergehn im Flug –
Warst denn Du es, der sie alle
Heimlich hielt und trug?
Auch der Mond fällt in die Heide
Und es bricht die Welt,
wie verblühte alte Seide,
die kein Reif mehr hält.
O, wie konntest Du verlassen,
Was allein vergeht,
was am Rand zurückgelassen
sinket und verweht.
Solche Verse, liebe Jubilarin, machen uns dankbar, dass Sie sich der Welt mitteilen und nicht, wie es im zitierten Gedicht „Weisser Kerbel“ heisst, „in Sehnsucht wortlos“ geworden sind.
«Das ist jetzt aber schön! Ich finde das so rührend! Das ist so schlicht und liebenswürdig gesagt. Darf ich davon eine Kopie haben für ins Archiv?
Aber hören Sie, jetzt muss ich noch etwas sagen: das mit dem Vogelflug, da hat ihr Bruder Recht mit der Freiheit und der Weite. Im Grunde ist das Gedicht aber auch vor dem Kloster geschrieben, vor all diesen Erfahrungen die danach passiert sind. Abgesehen vom „Credo“ sind alle zitierten Gedichte vorher entstanden. Die „kleine Lyrik“ ist vorher entstanden, in den „ersten Gedichten“ 1944. Mein Vater hat nur eine kleine Auflage gedruckt, rund 700 Exemplare und die waren sofort verkauft und dann hat der „Arche“-Verleger, als ich ins Kloster ging, nein schon vorher, eine zweite Auflage gemacht und dann wurden es etwa sechs hintereinander weil diese Gedichte einfach angekommen sind.
Aber dann war sie für mich irgendwie nicht mehr möglich, diese Freiheit und Weite. Meine anderen Lyrikgedichte die sind wie nicht mehr so selbstverständlich, so unbeschwert. Sie sind schon irgendwie behaftet mit einem Geheimnis mit dem ich damals noch nicht fertig wurde. Es ist interessant, die beiden Formen zu vergleichen. Die erste Lyrik die im Kloster entstand, die konnte nicht mehr gleich sein, einfach nicht mehr so naiv und unbeschwert. Gott hat mich einfach rausgeholt aus den frühen Gedichten. Auch mein geistlichen Berater, mein Onkel, das war ein wunderbarer Priester und der sah da durch, er sagte: „weißt du, Lyrik hat keine hohe Valuta.“ Er wollte sagen: geh jetzt nicht ins Kloster und bilde dir ein, du seist eine Lyrikerin, das hat er überhaupt nicht vertragen – aber er brauchte auch keine Angst zu haben, denn er hatte schon gesehen: das ist bereits zerbrochen. Und richtig: ich konnte nicht mehr, drei Jahre lang konnte ich nichts schreiben, überhaupt nichts mehr. Und so ist das ganze wirklich ein, ja ich möchte sagen „ein exemplarischer Weg“ für jeden der sucht. Nur muss jeder auf seine Art, in seinem Tag, in seinem Leben einfach sehen, dass er noch etwas anderes hat als nur den heutigen, äusseren Alltag. Sondern dass er ein Geheimnis trägt das ihm vor dem Tod aufgehen sollte und nicht erst danach.»
In allen Sachen die sie sagten kam mir eine sehr freiheitsliebende Schwester Hedwig entgegen (die an dieser Stelle verschmitzt lächelte). Und ich hatte, hier als Versuch einer Zusammenfassung, das Gefühl: diese Freiheit, die sie verspürt hatten und wegen der sie unter anderem damals keine Verlobung eingegangen sind, die geht wie durch eine Pforte, welche für mich dieses Kloster ist, als Bild, und dann geht es weiter in die Freiheit die sie immer gesucht hatten.
«Oh das ist aber schön! Jetzt haben Sie es genau gesagt, das kann man gar nicht besser sagen. Wunderbar, danke. Sind wir fertig?»
Ja, das waren wir, die Zeit war um und, passend zu einigen Fragen, wie im Flug vergangen. Schwester Hedwig posierte noch für ein Bild verabschiedet sich mit einem Lächeln und zog sich zurück durch jene Türe durch die sie schon gekommen war. Überschrift „Clausura“.
Aufgezeichnet von Fredy Haffner, Kloster Fahr, Mittwoch 9. April 2009.
www.siljawalter.ch
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