Stadt
Schulhaus Rütihof: Keimzelle der Demokratie
Angelehnt an das deutsche Projekt «sozialwirksame Schule» hatte man sich im Schulhaus Rütihof überlegt, wie und auf welcher Ebene man gemeinsam mit den Kindern etwas zur Lösung von Disziplinarproblemen, Regelfindung und allgemeiner Werteerziehung beitragen könnte.
17. März 2011 — Fredy Haffner
Kürzlich hat sich SVP-Bundesrat Ueli Maurer in einer Ansprache dezidiert gegen die Polarisierung der Politik gewandt und ein staatsmännisches Bekenntnis zur Konkordanz abgelegt. Wer sich politisch engagiert und Maurer nicht verstanden hat, dem sei ein Besuch an einer Vollversammlung (VV) der Schule Rütihof in Höngg nahegelegt, denn dort üben sich bereits die Kinder − unabhängig von Alter, Nationalität oder Religion – respektvoll im Umgang mit der Demokratie. Dieser Respekt wird bereits beim Einzug der Klassen in die Turnhalle, wo die Versammlung vergangenen Montag wiederum stattfand, sicht- und fühlbar: Zu den Klängen des gekonnt aufspielenden Schulorchesters betraten die Kinder ruhig und gemessenen Schrittes den grossen Raum, setzten sich in die markierten Felder und warteten still und geduldig, bis alle ihren Platz gefunden hatten – selbst die leisesten Querflöten- und Celloklänge blieben bestens hörbar. Nun begrüsste Schulleiterin Esther Zoller alle Anwesenden und hielt einen kurzen, mit Lob verbundenen Rückblick auf die letzte VV: «Es ging um Regeln, und wie ihr die seither eingehalten habt, ist toll.» Dann leitete sie über zum aktuellen Thema, zu welchem zum ersten Mal eine Abstimmung auf dem Programm stand. «Wie in der Politik der Grossen, von denen ihr jetzt wieder überall die Köpfe auf den Plakaten seht, habt auch ihr Klassen-Vertreter gewählt, die Delegierten», zog Zoller Parallelen zu den anstehenden Kantonsratswahlen. Doch bevor es um das eigentliche Tagesthema «Fussball in der Pause» ging, wurde noch gemeinsam das «Rütihoflied» gesungen und der Kurzfilm angeschaut, mit dem eine der anwesenden Schulklassen eben einen Wettbewerb gewonnen hatte. Darin ging es um einen wesentlichen Aspekt der Demokratie, um das gegenseitige Verstehen und dessen zentrales Element, die Sprache – und wie diese im Schulhaus Rütihof Kindern aus anderssprachigen Ländern beigebracht wird. Kinder bleiben Kinder, und klar lachten alle über die radebrechenden Deutschversuche der «Neuen» in den ersten Einstellungen. Doch als in der ein Jahr später gedrehten Schlusssequenz dieselben Kinder ausländischer Herkunft auf Deutsch ihre durch die Sprache gewonnene Freundschaft kundtaten, war das Lachen der Kinder ein freudiges und kein spöttisches mehr. Nun noch vereint und kräftig das passende «Zoge am Boge, dä Landamme tanzet» gesungen, dann ging es ans Umsetzen des basisdemokratischen Gedankenguts.
Vier Versammlungen pro Jahr
Seit 2010 werden vier solche Vollversammlungen pro Schuljahr durchgeführt. Anregungen zu Themen kommen seitens der Kinder über die Klassenräte, von den Lehrpersonen aus der Schulkonferenz oder von der Schulleitung. Zusammen mit dem Schulsozialarbeiter hatten die Klassendelegierten zwei Vorschläge zum Thema «Fussball in der Pause» ausgearbeitet. Nun sollte die versammelte Schülerschaft entscheiden, ob die Unter- und Mittelstufe künftig getrennt und saisonal abwechselnd entweder auf dem roten Platz oder auf der Wiese Fussball spielen dürfe oder, Vorschlag B, neu nach einem festen Wochenplan die Plätze alternierend nutzen dürfe. Beide Vorschläge waren in den Klassen besprochen und die Vor- und Nachteile jeder Lösung diskutiert worden. Eine Debatte stand nicht mehr auf dem Tagesprogramm. Die Delegierten auf dem Podium fassten beide Vorlagen noch kurz in einem Rollenspiel zusammen, dann wurde der Abstimmungsmodus erklärt. Geheime Abstimmung auf Schülerebene geht so: Mit einem Arm verdeckt man sich die Augen, mit der anderen stimmt man ab. Ebenfalls anders als in anderen Schweizer Parlamenten sind die klaren Regeln: Wer stört, wird ruhig, aber bestimmt in den Materialraum der Turnhalle verbannt. Dort hört er oder sie zwar noch mit, kann aber nicht mehr teilnehmen. Hätten die Parlamente der Grossen dieselben Regeln, es müsste im «Materialraum» abgestimmt werden. Hier aber hielten sich alle an die Regeln, schliesslich wollten alle dabei sein und ihre Stimme abgeben. Die Kinder erhoben ihre Hände, die Lehrpersonen zählten und während die gesammelten Stimmen ausgezählt wurden, sangen die Kinder «we are the world» − passender hätte das Lied nicht gewählt sein können. Gespannt lauschten anschliessend alle dem Resultat: Bei 234 gültigen Stimmen wurde Vorschlag B mit 122 Stimmen angenommen, bejubelt und in der nachfolgenden Pause sogleich umgesetzt – aber erst, nachdem alle die Turnhalle wieder so geordnet verlassen hatten, wie sie eine knappe Stunde vorher hineingekommen waren.
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