Politik
Schlafstadt Zürich?
In der letzten Woche wurde publik, dass der Stadtrat ein Gerichtsurteil umsetzen muss, dass ihn dazu zwingt, Baubewilligungen für Bars zu verlangen, die über Mitternacht hinweg offen haben möchten. Jeder weiss, was Baubewilligungen meistens nach sich ziehen: Einsprachen.
7. Juli 2015 — Eingesandter Artikel
Langsam aber sicher droht Zürich zur Schlafstadt zu werden, eine Stadt in der nichts mehr läuft. Am Ende könnte es so schlimm sein, dass wir nach Winterthur in den Ausgang müssen. Ein Albtraum.
Es gibt in diesem Komplex grundsätzlich zwei Interessen, die miteinander in einem Zielkonflikt stehen. Auf der einen Seite das reichhaltige Partygewerbe mit seiner Vielfalt und Vielzahl an verschiedenen Lokalen und Angeboten und auf der anderen Seite die Interessen einer lärmgeplagten Bevölkerung. Zwar könnte man das ganz einfach mit dem Satz «Wer an die Langstrasse zieht, weiss was ihn erwartet», abkanzeln, das wird dem Problem aber nicht gerecht. Zumindest aus der subjektiven Sicht des Schreibenden wurde es in den letzten Jahren an der Langstrasse und in der Umgebung nicht ruhiger.
In einer Stadt wohnen, wo etwas läuft
Die Problemanalyse ist aber nicht das Komplexe, sondern die Lösungsfindung. Hier müssen wir den Spagat finden: Wollen wir als Stadt Zürich weiterhin eine attraktive Destination für den Freitagabend und das Wochenende sein? Gleichzeitig wollen wir aber auch nicht zur 24 Stunden-Partystadt à la Ballermann verkommen. Das Ausgangsgewerbe ist ein nicht unbedeutender Teil des lokalen Gewerbes, es schafft Wertschöpfung und bietet Arbeitsplätze, auch für Studenten. Ausserdem ist es doch einfach schöner, in einer Stadt zu wohnen, in der man auch was unternehmen kann, anstatt in einer Stadt, in der man am Abend nicht viel mehr tun kann, als vor der Glotze zu hocken.
Gezielt Freizeitdestination Zürich fördern
Es ist daher wichtig, dass wir nicht ständig neue bürokratische Hürden für Bar- und Clubbetreiber aufstellen, sondern wir sollten für ebendiese etwas tun. Nur was? Die Baubewilligungen, die neu verlangt werden müssen, sind durch kantonales Recht vorgegeben, hier wäre also der Moment gekommen für den Kantonsrat. Als Stadtparlament müssen wir hier ohnmächtig zu schauen. Die ganze Arbeit an den Kanton abzuschieben, wäre jetzt natürlich das Einfachste für meine Kollegen und mich. Wir müssen uns aber auf städtischer Ebene Konzepte überlegen, mit denen wir gezielt die Freizeitdestination Zürich fördern können, ohne zu «Mallorca 2.0» zu werden. Wie wäre es zum Beispiel mit einem engmaschigeren Nachtbusnetz oder einer gezielten Förderung von kleinen Kulturangeboten? Es muss ja nicht immer das Schauspielhaus sein.
Man muss die lärmfrustrierten Bewohnerinnen und Bewohner der Langstrasse und Umgebung ernst nehmen, doch das heisst nicht, dass man ihnen in allen Punkten nachgeben muss. Wir müssen einen Weg finden, um unsere Stadt so zu erhalten, wie wir sie wollen – und wir wollen sicher keine Schlafstadt, ich jedenfalls nicht.
Marcel Bührig, Gemeinderat Kreis 10, Grüne
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