Rabenmütter – oder doch nicht?

Unsere Redaktorin Dagmar Schräder schreibt über die grossen und kleinen Dinge des Lebens. Heute darüber, was sie von einer echten Glucke unterscheidet.

Dagmar Schräder bringt ihre Gedanken aufs Papier. (Foto: dad)

Ich teile an dieser Stelle nochmal meine Muttergefühle mit Ihnen. Denn manchmal ist es doch echt hart, Mutter zu sein. Nicht nur, weil frau mit dem Heranwachsen der Kinder die Gesprächspartner*innen in der eigenen Wohnung so langsam ausgehen, ich hatte ja schon mal über die sprechenden Wände berichtet. Sondern auch, weil es manchmal so richtigen Herzschmerz verursacht, wenn einem die Kinder das Gefühl vermitteln, die bedingungslose Liebe, die man gegenüber ihnen empfindet, nicht mehr ganz so zu erwidern, wie man es gewohnt war.

Die gefühlt ersten 100 Male, als ich diese Erfahrung gemacht habe, habe ich geheult wie ein Schlosshund. Mich im Badezimmer eingesperrt oder in der Küche laute Musik laufen lassen und mich dazu äusserst genüsslich in meinem Selbstmitleid gesuhlt. Was hatte ich nur für undankbare Kinder. Schliesslich hatte ich nun die besten Jahre meines Lebens investiert, um die Jungbrut aufzuziehen, sehr viel Energie, Zeit, das gesamte Geld und unendlich viel Zuneigung in sie hineingesteckt, und was tut diese, kaum ist sie den Windeln entwachsen und in der Lage, sich selbst Spaghetti mit Tomatensauce zuzubereiten?

Sich schlecht benehmen. Abends spät und immer später nach Hause kommen und dann noch mit Unverständnis darauf reagieren, wenn man sich Sorgen darüber macht. Überhaupt genervt sein, wenn Mutter nachfragt, was im Leben gerade so abgeht. Schlecht gelaunt durch die Wohnung poltern, weil der Kühlschrank nicht ausreichend oder mit den richtigen Dingen gefüllt ist.

Nett und freundlich gibt’s natürlich auch noch, vor allem dann, wenn die Kleinen Geld für Aktivitäten brauchen, die eigentlich nicht im Budget sind. Aber Achtung, diese Nettigkeit ist in der Regel nicht besonders nachhaltig, sondern verfliegt auch sehr schnell wieder. Viel nachhaltiger ist dafür die Fähigkeit der Jugend, jegliche Bitte, die von Mutterseite kommt, gekonnt durch Ignoranz zu boykottieren.

Wenn das kein Grund für Sentimentalität ist. Zwar habe ich mittlerweile das Schlosshundgeheule erfolgreich abgelegt. Aber dennoch: In solchen Momenten beneide ich manchmal meine Hühner um ihre Lebensführung. Und nicht nur die Hennen, überhaupt alle Tiermütter. Denn die entscheiden einfach irgendwann – und zwar ziemlich lange bevor der Nachwuchs zwanzig wird –, dass jetzt genug ist mit dem Kinderkram. Und dann sind sie alles andere als zimperlich. Die sprichwörtlichen Glucken werden plötzlich zu Zicken und picken ihre Küken, die unter den mütterlichen Flügeln noch ein wenig Wärme und Nähe suchen, erbarmungslos weg. Ziemlich hart für die Kleinen. Aber aus Sicht der Mütter ziemlich gesund. Die können sich dann nach ein paar Monaten schon wieder ihrem eigenen Leben widmen. Und die Kleinen erholen sich schnell von dem Schock und gehen ihren Weg.

Was heisst das nun für mich? Ich wollt, ich wäre ein Huhn? Natürlich nicht. Dafür bin ich viel zu gefühlsduselig. Und eigentlich ist das schon gut so: Denn anders als meine Hühner werde ich dafür auch immer wieder belohnt – mit ganz wunderbaren Glücksmomenten mit den heranwachsenden Kindern. Da ist der Kummer schnell vergessen.

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