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«Purpose» oder Tradition? Sechseläuten!
Das Frühlingsfest bringt die Zunftfamilie zusammen: Die Zunft Höngg erlebte freudige Momente am Tag der «Zug der Zünfte» und sie ging auf aktuelle Diskussionen ein. Lesen Sie hier den Erlebnisbericht aus der Mitte der Zunft.
26. April 2023 — Eingesandter Artikel
Wenn sich die Stadt Zürich mit Fahnen und Blumen schmückt, wenn Pferde und Kamele über die Tramschienen marschieren, und wenn Trachten und Kostüme zum Dresscode gehören, dann ist Sechseläuten. Das traditionelle Frühlingsfest-Wochenende kulminierte am 17. April im «Zug der Zünfte», der vor vollen Zuschauerrängen stattfand. Die ausgezeichnete Stimmung wurde einzig vom Böögg getrübt, der dem Feuer so lange trotzte wie noch nie. Doch beginnen wir von vorne.
Zum Fanfaren-Klang marschierten Zunftmeister Walter Zweifel und seine Ehrengeäste – Simone Brander (SP-Stadträtin und Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements der Stadt Zürich), Daniel Hope (Music Director Zürcher Kammerorchester) und Mathias E. Brun (Staatsschreiber Kanton Schwyz) – am Vormittag in den grossen Saal des Restaurant Duponts ein. Die Lokalität bot der Zunft Höngg bereits zum zweiten Mal ein ideales Zuhause für das Sechseläuten.
Auftritte mit Tiefgang
Das Frühlingsfest steht wohl wie kein zweiter Anlass für Tradition und Freundschaft. Dass heutzutage aber auch die Frage nach dem «Purpose», also der Sinnhaftigkeit von Tun und Handeln, immer mehr ins Zentrum rückt, war einer der zentralen Gedanken in der Eingangsrede des Zunftmeisters. Nichts kann diesen Spannungsbogen besser beschreiben als der überraschende Auftritt des ersten «Fraubanner-Zugs» in der Geschichte des Zunftwesens.
Grosse Fragen gilt es gemeinsam zu beantworten und die zünftige Tradition kennt und schätzt unangemeldete, dafür aber umso pointiertere Besuche und Ansprachen. Die jungen Vertreterinnen der Höngger Zunftfamilie richteten gemeinsam mit ihren Gesellen-Kollegen eindringliche Worte an den versammelten Harst und zeigten klar auf, dass die Zunftfamilie auch in Zukunft gut daran tut, sowohl traditionell als auch offen und inklusiv zu diskutieren. Das unter Einbezug aller in der Zunft engagierten Personen. Die Selbstverständlichkeit, mit welcher die vereinte Zunftjugend anschliessend während des Umzugs den Rollentausch zu «Wein-kredenzenden Schank-Damen» und «Blumen-tragenden Ehren-Gesellen» organisierte, hat Vorbildfunktion.
Genauso stimmungsvoll waren die Reden der Ehrengäste Simone Brander, Mathias E. Brun und Daniel Hope. Der Vorstellung durch den Zunftmeister folgten sprachlich und musikalisch hochklassige Beiträge. Ein Höhepunkt war das gemeinsame Singen des traditionellen Schwyzer «Mythen-Lieds» durch die ganze Höngger Zunftgesellschaft, die von einer doppelten Schwyzerörgeli-Begleitung unterstützt wurde. Schliesslich verdankte der Zunftmeister die drei Kinderdelegationen und ihre Mütter, welche die Göttizunft zum Widder, die Zunft St. Niklaus und die Zunft Witikon besuchten, um den dort neu ins Amt gekommenen Zunftmeistern die besten Grüsse und Glückwünsche zu überbringen.
Langsamer Böögg, erheiternde Reden
Rechtzeitig für den Umzug blies der starke Wind die letzten Regenwolken davon und machte Platz für die Sonne. Die fröhliche Stimmung bewies eindeutig, dass sich Zürich auf das traditionelle Sechseläuten gefreut hatte. Zu den 154 Personen im Dupont gesellten sich mit der Zunftmusik, der erweiterten Zunftfamilie, sowie der Reiterschaft weitere 144, ergänzt durch 15 Pferde und drei Wagen; eine eindrückliche Delegation. Eng gedrängt stand diese dann beim Böögg und wartete, und wartete, und wartete weiter, bis nach beispiellosen 57 Minuten der erlösende finale Knall ertönte und der Schneemann seinen Kopf verlor. Auf diesen Rekord hatte niemand gewartet!
Nach dem Abendessen im Dupont machte sich der Harst auf den Auszug und besuchte die Zünfte zur Schneidern, St. Niklaus und Witikon. Die Sprecher Christian Kunz, Dominic Schaub und Daniel Frischknecht legten für die Zunft Höngg Ehre ein und forderten die lokalen Zunftmeister erfolgreich zum eloquenten Duell heraus. Gleichzeitig empfingen die Höngger Stubenhocker die Sprecher der Zunft zur Schiffleuten, der vereinigten Zünfte zur Gerwe und Schuhmachern sowie der Zunft zur Letzi.
Gelebte Tradition, gemeinsamer «Purpose»
Bereits nach Mitternacht wurde zum Abschluss des zünftigen Festtags mit Mehlsuppe und Wienerli eine letzte Stärkung gereicht, entweder für die sichere Heimreise oder für die nächtliche Verlängerung mit Saubannerzug und Party. Allen Anwesenden gemeinsam blieb die Gewissheit, einen wunderbaren Tag im Rahmen der zünftigen Freundschaft erlebt und die zünftige Tradition des Sechseläutens hochgehalten zu haben. Dass dies in stimmungsvollem Ambiente und reibungslosem Ablauf erfolgte, ist der hervorragenden Vorbereitung durch die Chargierten sowie den vielen Helferinnen und Helfern im Hinter- und Vordergrund zu verdanken. Und damit dürfte sich auch für alle Teilnehmenden eine gemeinsame Sinnhaftigkeit ergeben.
Eingesandt von Marcel Aisslinger
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