Apotheken
Mehr als einfach «Pflaster drauf»
Wunde reinigen, Pflaster drauf, fertig. So einfach kann es nach einer Verletzung sein – ist es aber nicht immer. Moderne Wundversorgung ist einiges komplexer und erfordert Fachwissen. Nicht nur im Notfall kann die erste Station für die richtige Wundversorgung auch eine Apotheke sein.
24. Juni 2019 — Fredy Haffner
Dass Apotheken längst mehr sind als blosse Verkaufsstellen für Medikamente, daran hat man sich gerne gewöhnt. Aber mit einer frischen Wunde in die Apotheke anstatt zum Arzt oder in die Notfallaufnahme zu gehen – wird das wirklich gemacht? In der Zürigsund Apotheke Im Brühl an der Regensdorferstrasse schmunzelt Apothekerin Susanne Wolf ob dieser Frage: «Ja, wir sind oft die erste Anlaufstation, gerade auch wenn mit Kindern etwas passiert ist: Dann stellt man fest, dass man kein Verbandsmaterial mehr hat und das Desinfektionsmittel leer oder abgelaufen ist – dann sind wir, als auf Kinder spezialisierte Apotheke, gerne zur Stelle und können von Montag bis Samstag beraten und die Erstversorgung anbieten».
Ohne Wartezeit ins Behandlungszimmer
Seit dem Umbau vor drei Jahren hat die Apotheke ein kleines, Diskretion bietendes Sprechzimmer, in dem immer alles bereitsteht, was für eine erste Wundversorgung nötig ist, vom Reinigungsmittel bis zum passenden Wundverband. Dort sitzen dann kleine und grosse Patient*innen mit Schürfungen, Schnitten, Verbrennungen und was einem sonst noch so alles geschehen kann.
«Die theoretischen Grundsätze der Wundversorgung», erklärt Wolf, «lernen Pharma-Assistentinnen in der Ausbildung: Zwei unserer Mitarbeiterinnen haben aber auch die Weiterbildung zur Wundexpertin absolviert, die auch einen Praxisteil und viel Wissen über die neuesten Wundmaterialien beinhaltet».
Auch ohne, dass diese Dienstleistung gross beworben würde, ist der Service offenbar bekannt. So kommen, zum Beispiel direkt vom nahen Spielplatz oder nach kleineren Verkehrs- oder Haushaltsunfällen, wöchentlich öfters Leute direkt in die Apotheke Im Brühl und zeigen ihre Verletzungen.
Das geschulte Personal nimmt zuerst eine Triage vor, entscheidet also, ob sie wirklich die richtige Anlaufstelle sind. Susanne Wolf betont, dass sie und ihr Team in bestimmten Situationen gleich zum Arztbesuch raten: «Kommt zum Beispiel jemand mit einem Umlauf zu uns, gibt es gar keine Fragen, damit muss man zum Arzt». Auch bei zu tiefen oder zu langen Schnittwunden sowie bei schwereren Verbrennungen, oder wenn eine Heilung, zum Beispiel bei Gesichtsverletzungen, kosmetisch heikel sein könnte, wird an den Arzt oder den Notfall verwiesen. Ebenso bei Bisswunden: Da ist zwar die Erstversorgung, also Reinigung, Stoppen der Blutung und ein Erstverband möglich, spätestens, wenn aber nicht klar ist, ob der Schutz vor Wundstarrkrampf noch aktuell oder eine Tetanusimpfung nötig ist, wird an den Arzt verwiesen.
Sicherheitskontrolle und Anamnese
Liegt die Wundversorgung jedoch in ihrer Kompetenz, so sitzt man umgehend im Sprechzimmer und die Wundreinigung beginnt. Falls nötig wird auch eine kurze Anamnese erfasst und ein Wundversorgungs-Protokoll erstellt: Welcher Art ist die Wunde, wo ist sie lokalisiert, bestehen andere Leiden, welche die Wundheilung beeinträchtigen könnten, ist der Impfschutz noch aktuell oder werden Medikamente eingenommen, welche zum Beispiel die Blutgerinnung hemmen? Das Protokoll zeigt – wie eine zweite Sicherheitskontrolle – deutlich an, in welchem Fall man an die Arztpraxis verweisen muss. Kann indes direkt versorgt werden, werden die verwendeten Materialien protokolliert und die Verletzten instruiert, wie und wie oft sie den Verband zu Hause selber wechseln sollen. Natürlich darf man auch jederzeit zur Nachkontrolle wieder in die Apotheke kommen. Bei kleineren Wundversorgungen wird übrigens nur das Material verrechnet, erst bei mittleren oder grösseren Wunden kommen 10 bis 15 Franken dazu. Von den Krankenkassen wird indes nichts vergütet.
Nicht behandelt werden in der Apotheke chronische Wunden. Für solche seien die beiden Wundexpertinnen zwar ausgebildet, so Wolf, doch bislang wird diese Dienstleistung nicht angeboten.
Das Wundambulatorium der Spitex Höngg – das übrigens als erstes solches Zentrum einer Spitexorganisation von der Schweizerischen Gesellschaft für Wundbehandlung anerkannt wurde – bietet die Kontinuität, welche eine fachgerechte Versorgung solcher Wunden erfordert: Nach Terminvereinbarung, an sieben Tagen die Woche, von 7 bis 19 Uhr. Im Erstversorgungsangebot der Apotheken sieht die Spitex keine Konkurrenz, sondern eine gute Ergänzung: «Die Spitex ist immer interessiert an einer guten Zusammenarbeit mit allen Anlaufstellen und Versorgern, dies dient den Quartierbewohnern», schreibt das Wundambulatorium auf Anfrage.
Was soll der Honig auf der Wunde?
Doch nicht nur dort, sondern eben auch in der Apotheke weiss man, dass sich im breiten Feld der modernen Wundversorgung in den letzten Jahren viel geändert hat. Das beginnt bei der Desinfektion: Über die Klassiker wie Merfen ist man heute hinaus und verwendet zum Beispiel «Octenisept». Bei Bisswunden oder stark verunreinigten Wunden sind jedoch noch immer Mittel wie «Betadine» die erste Wahl. Nach der Reinigung, so war man früher überzeugt, müssten Wunden möglichst trocken gehalten werden – heute differenziert man mehr. So werden sehr nässende Wunden mit saugkräftigen Auflagen behandelt bis sie trockener sind und zu trockene werden mit Produkten wie «Varihesive» abgedeckt, einem wasserdichten hydrokolloid-Verband, der die Wunde feucht hält und mehrere Tage nicht gewechselt werden muss, sogar einer Dusche oder einem kurzen Bad hält er stand. Moderne Wundverbände sind sogar keimreduzierend: Solche Produkte enthalten Silberfäden, denn die antibakterielle des Edelmetalls ist erwiesen. Auch Wundgels hemmen Infektionen und unterstützen die Wundheilung. Die Palette der Wirkstoffe ist gross und beinhaltet zum Beispiel auch Produkte mit Honig: Die darin enthaltene Glucose fördert die Heilung – damit findet die moderne Wundversorgung übrigens wieder zurück zu altbekannten Mitteln.
Was sie indes beim «Nähen» von Wunden nicht tut: Bei glatten Wundrändern, wie sie bei Schnitten entstehen, werden anstelle von Fäden oft sogenannte «Steristrips» verwendet, eigentliche Klebstreifen, welche die beiden Wundränder zusammenziehen, damit sie möglichst ohne Narben zu bilden zusammenfinden. Und wenn doch eine Narbe entsteht und man diese nicht als Erinnerung behalten will? Auch dafür weiss das Fachpersonal Rat, solange die Narbe noch einigermassen frisch ist. Es ist nicht von der Hand zu weisen – und das schreibt hier ein ehemaliger Krankenpfleger – moderne Wundversorgung ist tatsächlich mehr als einfach nur «Wunde reinigen, Pflaster drauf, fertig».
Diese Serie wird finanziell, ohne redaktionell eingeschränkt zu sein, durch die vier Höngger Rotpunkt Apotheken und Drogerien unterstützt.
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