Man wollte viel, passiert ist wenig

Während die ersten Ideen der Leserinnen und Leser zum Verkehr Höngg eintreffen, findet die Redaktion etwas Zeit, ins Archiv zu steigen und nachzuforschen, was sich in dieser Sache in den letzten 80 Jahren getan hat. Eine Geschichte über Engagierte Bürgerinnen und Bürger, grosse Projekte, deren Verwerfung und «Minimallösungen».

Um eines vorwegzunehmen: Wer über den Verkehr in Höngg spricht, spricht auch immer über die Kernzone, das Dorfzentrum. Auch dieser Artikel kommt nicht umhin, das Thema zu streifen, doch noch steht es nicht im Fokus des «Hönggers». Nur Geduld. Von anderen Dingen wird man in den letzten Ausgaben des Hönggers schon etwas gehört haben, aber doppelt genäht hält ja bekanntlich besser. So wurde zum Beispiel bereits darüber berichtet, dass nach der Eingemeindung des Quartiers einige neue Strassen als Verbindung in die Stadt angelegt wurden. Wo Strassen sind, ist auch Verkehr und da immer weniger Menschen in Höngg oder Engstringen selber arbeiteten, nahm der Pendlerstrom zügig zu. Dass schon damals viel über Strassen und Verkehrswege nachgedacht wurde, zeigt die 1934 erschienene Mitteilung Nr. 4 der Ortsgeschichtlichen Kommission des Verschönerungsvereins Höngg. Dort werden die Geschichten verschiedener Strassenzüge behandelt, die Weg- und Verkehrsverhältnisse «Am Wasser» bis zum Jahre 1874 erörtert und die Gründungsgeschichte der Strassenbahn dargelegt – auch der «Höngger» vom 8. Juni 1934 berichtete über das «62 Seiten umfassende Heftchen Lokalgeschichte». In den 50er Jahren nahm man die Idee einer sogenannten «Hönggerberg-Tangente» wieder auf, welche schon viel früher als eine Art Höhenstrasse zur Erschliessung des Höngger- und des Käferbergs vorgesehen war. Sie wurde vom Gemeinderat beschlossen und vom Kantonsrat genehmigt. Bis tief in die 70er Jahre rechnete man fest mit deren Umsetzung – realisiert wurde sie indes nie. Gleiches gilt für die «Aufstiegsrampe», die von der Strasse Am Wasser über Bäulistrasse und Tobelegg bis zur Limmattalstrasse führen sollte, mit einer grosszügigen Einmündung bei der Tramhaltestelle Schwert, alles übrigens nachzulesen in einer weiteren, höchst unterhaltsamen Mitteilung mit dem Titel «Ausser Plänen nichts gewesen!» (Nr. 47, siehe Infobox). 1965 bewilligte der Stadtrat einen Kredit zur Zentrumsplanung Höngg. Im selben Jahr organisierte die «Zwingligruppe» Höngg, eine engagierte Truppe junger Höngger, welche sich unter anderem auch für die «Aktion Altersheim Höngg» eingesetzt hatte, einen der ersten Abende im Restaurant Mühlehalde zur Besprechung der Verkehrsproblematik des Quartiers. Geladen waren politische Persönlichkeiten aller Couleur und der Quartierverein. An diesem runden Tisch sollte auf die verschiedenen Aspekte der «Verkehrsmisere» eingegangen werden – kaum zu glauben, dass seither ein halbes Jahrhundert vergangen ist.

Der Grössenwahn der 60er

Im Herbst 1967 meldete die FDP Kreis 10, dass sie eine Arbeitsgruppe gebildet habe mit dem Ziel, das Verständnis für die bau- und verkehrstechnischen Anliegen des Stadtkreises 10 bei den kommunalen und kantonalen Behörden zu fördern. Schon zwei Jahre zuvor hatte der Stadtrat die Architekten Aeschlimann & Baumgartner und Walter Moser mit der Planung zum Ausbau der Kernzone Höngg beauftragt. Ziel sollte eine flüssige Abwicklung des Verkehrs und eine Verminderung der Verkehrsemissionen sein. Das Projekt sollte aber auch die gewerblichen und denkmalpflegerischen Aspekte berücksichtigen. In der Folge erarbeiteten die Architekten vier Vorschläge für eine Zentrumsgestaltung im Areal zwischen Kirche im Süden, Gsteigstrasse und Regensdorferstrasse im Norden, Wieslergasse im Westen und «Gässli» im Osten. Das Rennen machte die vierte Variante, welche ein Verkehrssystem mit zwei mehrspurigen, T-förmigen Strassengabelungen vorsah (siehe Plan auf Seite xy) ((Bild 21: Verkehrskonzept Variante 4; in «Ausser Plänen nichts gewesen»)). Der öffentliche und private Verkehr sollte in einem breiten, zentralen Strassenband zusammengefasst werden, schreiben Karin Dangler und Kollegen im Bericht der Denkmalpflege Zürich 1989/90 zu den «Bemühungen um die Erhaltung einer Dorfstruktur am Beispiel von Höngg». Südlich der Limmattalstrasse war ein kulturelles und kommerzielles Zentrum vorgesehen, umgeben von einer verkehrsfreien Fussgängerzone. Der ländliche, denkmalgeschützte Ortsteil rund um die Kirche sollte durch einen von Arkaden gesäumten Dorfplatz mit dem modernen Zentrum verbunden werden. Das megalomane Projekt stiess bei der Bevölkerung auf reges Interesse und wurde, zumindest in den Anfängen, durchaus positiv bewertet. So schrieb der damalige Präsident des Quartiervereins, Werner Wydler, im «Höngger» vom 3. Mai 1968 «Mit grossem Interesse verfolgen wir die Weiterentwicklung dieses grosszügigen Planes (…). Für Höngg selber bedeutet diese Zentrumsplanung eine einmalige Gelegenheit, städtebaulich gesehen zu einer Neuschöpfung beizutragen». Die aufkeimende Aufbruchsstimmung wurde allerdings später durch die langwierigen Planungsprozesse wieder erstickt. Doch vorerst veranstalteten Parteien, Quartierverein und, seitens der Stadt, der mittlerweile verstorbene Stadtplaner Gerhard B. Sidler regelmässig öffentliche Informationsveranstaltungen, um die Höngger Bevölkerung möglichst stark miteinzubeziehen – denn von ihrer Zustimmung hing das Gelingen der Planung ab. An einer Ausstellung im reformierten Kirchgemeindehaus waren im September 1968 acht Studentenarbeiten der Architekturabteilung der ETH und des Stadtplanungsamtes zu sehen, die sich auf der Grundlage der erwähnten «Verkehrsvariante 4» mit der Zentrumsplanung Höngg befassten.

Der Geduldsfaden reisst

Trotz vieler wohlgemeinten Diskussions- und Informationsanlässen zeigten sich langsam Abnutzungserscheinungen bei der Euphorie. Ein Leserbrief im «Höngger» von 1971 bringt die Unzufriedenheit ans Licht: «An der Gsteigstrasse, an der Ackersteinstrasse, Am Wasser, überall ist NOT. Bevölkerung von Höngg, steht auf und schreit Eure Not hinaus, auf dass etwas getan wird», schrieb ein erzürnter Bürger und rief die Hönggerinnen und Höngger auf, die «politischen Vertreter im Gemeinderat unter Druck zu setzen» und sofortige Massnahmen zu verlangen. Die Reaktionen liessen nicht auf sich warten: In den folgenden «Höngger»-Ausgaben machten zahlreiche Leserinnen und Leser ihrem Unmut über die Verkehrssituation Luft. Ob an der Gsteigstrasse – «Man sollte die verantwortlichen Personen einmal zwingen, einige Tage an der Gsteigstrasse zu verbringen, (…) oder jeden Tag während der Stosszeiten morgens und abends mit dem Auto über den Berg zu fahren», am Meierhofplatz – «Auf dem Fussgängerstreifen ist man vor den Autos nicht sicher, und ich selbst bin vor lauter Angst und Hast auf demselben gestürzt und mit dem Gesicht auf dem Randstein aufgeschlagen, (…) zehn Tage arbeitsunfähig!» oder an der Limmattalstrasse – «Ich wohne bei der Wartau. (…) Zu gewissen Tageszeiten ist der Verkehr so stark, und zwar in beide Richtungen, dass zum Beispiel ein Traversieren der Strasse unmöglich ist»: Die Stimmung schien überall ziemlich aufgeladen zu sein. Sogar ein (angeblich) elfjähriger Sechstklässler schrieb sich seinen Ärger mit zahlreichen Ausrufezeichen von der Seele und wünschte sich ein Lichtsignal am Fussgängerstreifen beim Ortsmuseum – damals war dort die Sicht noch schlecht – «nicht die Kantonskasse, sondern unsere Kinder und Erwachsene sollte man schützen!», so sein etwas frühreifer Ausruf. Auch der damalige Gemeinderat Hans Schaufelberger meldete sich zu Wort und versuchte zu relativieren. Durch die Rückverlegung des Trottoirs beim «Orsini»-Haus habe der Meierhofplatz an Breite gewonnen und so sei eine flüssigere Verkehrsabwicklung möglich, schrieb er. Ausserdem habe man eigene Fussgängerphasen in die Lichtsignalanlagen eingebaut und sei damit einem langgehegten Wunsch der Bevölkerung nachgekommen. Er verwies auf den Bau der Frankentalerstrasse und der Emil-Klöti-Strasse, welche den Verkehr dereinst um das Dorfzentrum herum führen würden. Auch das Projekt Hönggerbergtunnel, das damals noch bei der gemeinderätlichen Kommission vorlag, sah er bereits realisiert, nicht ahnend, dass die beiden Tunnelröhren mit je zwei Fahrspuren durch den Hönggerberg als Verlängerung der Europabrücke aus finanziellen Gründen niemals – oder zumindest bis heute nicht – gebaut werden würden. Auch Gemeinderat und Quartiervereinspräsident Werner Wydler mahnte zur Vernunft: «Haben Sie Geduld, es wird etwas geschehen und fangen Sie auch bei sich selber an, indem Sie, wenn sie ins <Dorf> gehen, Ihr Auto zu Hause lassen». Spannende Zeiten!

Private mischen sich ein

Nach Jahren der Verhandlungen mit dem Stadtplanungsamt drängte langsam die Zeit, die Wähler wurden ungeduldig und wahrscheinlich ging auch langsam das Geld aus. So beauftragte die Freisinnige Kreispartei 10 zwei Lausanner Architekten damit, eine bessere Lösung für eine Zentrumsüberbauung auszuarbeiten. Dieses Projekt beruhte weiterhin auf einem doppel-T-förmigen Strassensystem, die Verkehrsebene sollte jedoch unter der Fussgängerebene verschwinden. Die Generalversammlung des QV Höngg wurde in diesem Jahr quasi überrannt: 300 Personen nahmen daran teil. Stadtrat Heinrich Burkhardt und Stadtplaner Gerhard B. Sidler orientierten sie darüber, dass die Projektphase bereits weit vorangeschritten sei, dass in zwei Jahren mit dem Bau des Zentrums Höngg begonnen werden könne und der Tiefbauteil in vier Jahren abgeschlossen sein würde. Auch die Bau- und Verkehrsgruppe der FDP 10 präsentierte an diesem Abend ihren Vorschlag, genannt «Variante 5», worauf eine heftige Diskussion im Publikum entbrannte. Zwar bevorzugten die Anwesenden klar die Variante mit der oberirdischen Fussgängerzone, die Quintessenz der Voten liess sich aber folgendermassen zusammenfassen: «Fertig mit Planen. Bauen. Wir wollen eine Verkehrslösung. Wir wollen wieder Ruhe, Sicherheit auf den Strassen in Höngg – saubere Luft. Wir wollen den Hönggerbergtunnel. Wir wollen ein Einkaufszentrum, einen Dorfplatz». Gekriegt haben sie von alledem am Ende nichts.

1972 wurde schliesslich die Frankentalerstrasse eröffnet. Gleichzeitig meldete der «Höngger», dass sich ein Verein mit dem Namen «Zentrum Höngg» gegründet habe. Dieser werde in Zukunft gegenüber den Behörden als Vertreter der Grundeigentümer und Geschäftsinhaber Hönggs auftreten. Die Mitglieder stellten richtig fest, dass eine Lösung nur getroffen werden könne, wenn sich die Grundeigentümer mit einem neuen Projekt und der Form der Erschliessung einverstanden erklärten, denn geplant war ein Landumlegungsverfahren. Das vom Verein gebildete Planungskonsortium erarbeitete eine Initiative, welche auf einem neuen Verkehrskonzept basierte. Dieses sah vor, dass die gewachsene Baustruktur des alten Dorfkerns möglichst gut erhalten bleiben und der private und öffentliche Verkehr entflechtet werden sollte. Entlang der Limmattalstrasse war zwischen Meierhof- und Zwielplatz eine vom öffentlichen Verkehr befreite Fussgängerzone vorgesehen mit einer Terrasse für den öffentlichen Verkehr. Der Individualverkehr sollte über eine abgesenkte, teilweise überdeckte Verbindungsstrasse zwischen Regensdorfer- und Limmattalstrasse umgeleitet werden. Kritisiert wurden an diesem Vorschlag sowohl die Kosten – rund 20 Millionen Franken – als auch der erhebliche Eingriff ins Ortsbild des Dorfkerns. Die Bauherrschaften gaben zu bedenken, «dass noch vor wenigen Jahren Projekte zur Diskussion standen, bei denen weit grössere Eingriffe in die schützenswerte Bausubstanz in Kauf genommen worden wären». Als das Konsortium 1977 schliesslich die «Volksinitiative zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse und der Lebensqualität im Quartier Höngg» einreichte, lag ihr auch eine überarbeitete Baulinienvorgabe bei, welche für die Neuüberbauung die Voraussetzung schuf. Doch da erst über die Schutzwürdigkeit der bestehenden Bauten beschlossen werden musste, fehlte einer Anpassung jegliche rechtliche Grundlage. Weiterhin – und bis anfangs der Achtzigerjahre – galt die Baulinienvorlage, die 1959 in Kraft getreten war. Da sämtliche an der Limmattalstrasse liegenden Häuser des alten Dorfkerns von den Baulinien angeschnitten wurden, wurde jede städtebauliche Entwicklung über Jahre verhindert.

«Arbeitsgruppe Zentrum Höngg»

Immerhin hatte der politische Vorstoss des Konsortiums die Stadt dazu animiert, 1978 eine «Arbeitsgruppe Zentrum Höngg» zu gründen, welche sich mit der Erarbeitung von Rahmenbedingungen für eine Baulinienvorlage und dem Entwerfen einer vereinfachten Verkehrsführung befassen sollte – die «Variante 4» war inzwischen unter den Tisch gefallen. Gemeinsam erarbeiteten sie drei Alternativen der Verkehrssanierung. Davon erwies sich die sogenannte «Pförtner-Lösung» als die sinnvollste. Sie war mit wenig baulichen Massnahmen umsetzbar und beruhte vor allem auf dem Einsatz von Lichtsignalen an diversen Knotenpunkten. Weil dies günstig und schnell umzusetzen war, empfahl der Stadtrat die Initiative des privaten Planungskonsortiums zur Ablehnung. Die NZZ schrieb am 27. Februar 1979: «Obwohl dieser [der Stadtrat] den Zielsetzungen des Initiativkomitees und des Planungskonsortiums grundsätzlich zustimmt, lehnt er den Vorschlag als mindestens zum Teil unzweckmässig und vor allem viel zu teuer ab». Es wurde beschlossen, die Baulinien so zu verlegen, dass der Dorfkern auf beiden Seiten der Limmattalstrasse unverändert bleibt. Doch damit war die Sache nicht erledigt. Die Sozialdemokratische Partei Zürich 10 kritisierte, dass nur die Grundeigentümer und ihnen nahestehende Politiker im neugebildeten Komitee die Höngger Bevölkerung vertraten. Die Mitglieder des Planungskomitees, das tatsächlich bürgerlich zusammengestellt war, behaupteten daraufhin, dass sowohl die Vertreter der SP als auch der Quartiergruppe Höngg sich trotz Einladung nicht an den Sitzungen der sogenannten «Offenen Planung Zentrum Höngg» beteiligt hätten. So ging das über Mitteilungen in der Quartierzeitung hin und her, neben der FDP und dem Quartierverein schalteten sich nun auch die SVP und die Quartiergruppe ein. Schliesslich legte der Stadtrat im März 1980 einen Entwurf einer Kernzonenregelung vor, welche eine gemischte Nutzung vorschrieb, um zu verhindern, dass der Dorfkern zur blossen denkmalpflegerischen Kulisse verkam. Gleichzeitig sollte der Schutz der vorhandenen Raumstruktur und des charakteristischen Gefüges der bestehenden Häuser erhalten bleiben. Für den Verkehr bedeutete dies, dass kaum Möglichkeiten zur Strassenverbreiterung bestanden. Stattdessen arbeitete man mit Signalisationen und Änderungen der Verkehrsführung und gab dabei dem öffentlichen Verkehr den Vorzug. Natürlich endete die Verkehrsfrage nicht mit der Inkraftsetzung der Kernzonenregelung 1983, aber neu trat das Thema Dorfplatz in den Vordergrund. Dieser wird Ende Juni das Fokus-Thema im «Höngger» sein.

Diese und alle anderen nicht vergriffenen Mitteilungen der ortsgeschichtlichen Kommission des Verschönerungsvereins Höngg sind im Infozentrum des «Hönggers» am Meierhofplatz 2 erhältlich.

Quellen:
Sibler, Georg: Ortsgeschichte Höngg. Ortsgeschichtliche Kommission des Verschönerungsvereins, Höngg 1998.
Egli, Hansjörg: Ausser Plänen nichts gewesen! Mitteilung Nr. 47 der Ortsgeschichtliche Kommission des Verschönerungsvereins, Höngg 2005.
Dangel, Karin, et al.: Die Bemühungen um die Erhaltung einer Dorfstruktur am Beispiel von Höngg, in: Zürcher Denkmalpflege Stadt Zürich Bericht 1989/90, Zürich 1992, S. 95 bis 100.
«Höngger» Archiv.

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