Märchen im Wald

Erzählen ist anders als Vorlesen. Seit Urzeiten werden Geschichten mündlich weitergegeben und überliefert. Diesen uralten Brauch möchte Sarah Betschart gerne weiter pflegen – und lud am 18. Mai zu einer Märchenstunde in den Wald ein.

Idyllisch im Grünen eine Geschichte hören – das möchte Sarah Betschart regelmässig anbieten. (Foto: Dagmar Schräder)

Sarah Betschart erzählt gerne Märchen. Das soll nicht heissen, dass sie öfter mal die Unwahrheit spricht, nein – sie ist Geschichtenerzählerin. Und an den Geschichten, die sie erzählt, so ihre Idee, sollen nicht nur ihre Kinder, sondern vielmehr das ganze Quartier teilhaben dürfen, Alt und Jung. Deshalb hat sich die gelernte Figurenspieltherapeutin vorgenommen, zu jeder Jahreszeit eine Märchenstunde im Wald durchzuführen.

Zuhören am Tag des Vorlesens

Die Premiere des Märchennachmittags hat bereits im Januar stattgefunden, nun ist das Frühlingsmärchen an der Reihe. Passend zum internationalen Tag des Vorlesens, dem 18. Mai, haben sich deshalb, auf ihre Einladung hin, rund 30 interessierte Zuhörer*innen bei strahlendem Sonnenschein vor dem Gemeinschaftszentrum im Rütihof eingefunden: Erwachsene und Kinder, vom Säugling bis zum Primarschulkind. Einige haben Musikinstrumente, Flöten oder Schlaghölzer mitgenommen, wie es Betschart empfohlen hatte. Alle sind gespannt.
Zur Begrüssung wird erst mal zusammen gesungen. In kurzen Worten erklärt Betschart anschliessend ihrem jungen Publikum, was sie vorhat und worum es in der Geschichte gehen wird. Ein paar der Begriffe wie Barbier, Schilf oder Beichtvater erklärt sie den Kindern, damit es keine Unklarheiten gibt.

Das Geheimnis des Prinzen

Gemeinsam macht sich die Gruppe dann auf den Weg, in der warmen Frühsommersonne, ganz gemächlich, damit auch die Jüngsten mitkommen. Einmal durch den alten Dorfkern des Rütihofs zieht die Prozession, bis zum Waldrand. Nur noch ein paar hundert Meter, dann ist die kleine Lichtung mit Feuerstelle erreicht. Decken werden ausgepackt, die Zuhörer*innen gruppieren sich im Kreis um die Feuerstelle – die Märchenstunde kann beginnen.
Aufmerksam verfolgen Alt und Jung nun die Geschichte vom Königspaar, das erst dank der Hilfe von drei guten Feen zu Nachwuchs kommt. Dafür wünscht eine der Feen dem Prinzen Eselsohren an den Kopf – wie peinlich für einen Königssohn. Um die Schande zu verbergen, muss der Prinz immer eine Mütze tragen. Doch der Barbier, der dem Prinzen die Haare schneiden muss, kennt die Wahrheit und kann nur schlecht dichthalten. Er erleichtert sein Gewissen, indem er das Geheimnis in ein Erdloch ruft. Das darauf wachsende Schilf allerdings verrät die Geschichte, sobald es von den Hirten zu Flöten verarbeitet wird. Deshalb kommt es zum «Outing» des Prinzen – und siehe da, die Ohren verschwinden, sobald er sich dazu bekennt.

Die eigenen Bilder im Kopf entwickeln

Genau die richtige Länge hat die Geschichte, dass auch die Jüngsten nicht unruhig werden. Zwischendurch dürfen die Kinder selbst aktiv werden und etwas Musik – oder Krach – machen:  Mit ihren Musikinstrumenten ahmen die Kinder das Lied der Flöten nach, die den Prinzen verraten. Die Erwachsenen können derweil noch ein wenig über die Moral der Geschichte nachdenken. Inmitten der idyllischen Umgebung zwischen frühlingsgrünen Buchenblättern fällt es gar nicht schwer, sich die Geschichte von Hirten, Flöten, Feen und Eseln bildlich vorzustellen. Und genau dazu fordert Betschart ihre Zuhörer*innen zum Abschluss der Veranstaltung auf: «Macht Eure Augen zu, denkt an die Geschichte und schaut, was für ein Bild vor Eurem inneren Auge entsteht. Das ist Euer Bild zu dem Märchen, das müsst Ihr Euch aufbewahren.»

Regelmässige Erzählnachmittage?

Zum Schluss lässt Betschart noch einen Topf für die Kollekte rumgehen, dann verabschiedet sie sich von ihren Gästen. Einige Familien packen nun ihren Zvieri aus und verweilen noch ein wenig im Wald, andere müssen weiter, zum nächsten Programmpunkt. Zurück in den Alltag. Im Sommer soll wieder eine Märchenstunde stattfinden.

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