Dagmar schreibt
«Kuck nicht so blöd!»
Unsere Redaktorin Dagmar Schräder schreibt über die grossen und kleinen Dinge des Lebens. Heute über die Kunst, sich selbst unglücklich zu machen.
12. Februar 2024 — Dagmar Schräder
Kennen Sie Paul Watzlawick? Das war ein Philosoph und Psychotherapeut, der das Buch «Anleitung zum Unglücklichsein» verfasst hat. In einer der Geschichten im Buch geht es darum, dass jemand ein Bild aufhängen möchte, ihm aber der Hammer fehlt, um den Nagel einzuschlagen. Er ist drauf und dran, sich beim Nachbarn einen auszuleihen. Dann aber überlegt er sich, dass dieser ihm den Wunsch ja vielleicht absprechen könnte.
Er erinnert sich daran, dass er in letzter Zeit schon nicht mehr richtig gegrüsst habe. Vielleicht hat der Nachbar etwas gegen ihn? In seinen kruden Gedanken wird der imaginäre Konflikt mit dem Nachbarn immer grösser, er steigert sich so richtig rein und wird immer wütender – bis er beim ahnungslosen Nachbarn klingelt und ihm an den Kopf wirft: «Behalten Sie ihren Hammer, Sie Rüpel!»
An diese Geschichte muss ich oft denken. Denn ich kann mich da sehr gut hineinversetzen. Mir fehlt zwar selten ein Hammer, aber ich habe schon einige analoge Situationen erlebt. Gerade letztens ist mir das wieder passiert. Ich war mit Hund im Bus. Dieser hat die leicht enervierende Angewohnheit, sich durch Winseln bemerkbar zu machen, wenn ihm langweilig ist. Und langweilig ist ihm oft.
Um dem Hund zu zeigen, dass ich sein Verhalten nicht begrüsse, bemühe ich mich dann, ihn zu ignorieren, solange er quietscht. Ist nicht ganz einfach, aber ich zieh das durch. Dabei fühle ich mich aber schlecht.
Erst recht, wenn ich die vorwurfsvollen Blicke meiner Mitpassagiere spüre, die mich mustern. Und sich dabei bestimmt fragen, was ich mit dem armen Tier angestellt habe, dass es so leiden muss. Oder warum ich das nicht abstelle. Oder einfach nur genervt sind von der Lärmbelästigung. Ich kann ihren Zorn förmlich riechen. Und das macht mich sauer. Ich kann ja auch nix dafür. Und ein bisschen Toleranz kann man ja wohl erwarten, oder? Ausserdem steige ich eh gleich wieder aus, die sollen sich mal nicht so anstellen. Sind doch sowieso alles Bünzlis. So dreht mein Gedankenkarussell jeweils auf Hochtouren.
Und beim letzten Mal kam tatsächlich eine Dame auf mich zu, als ich mitten in dieser Ignoranz-Übung war. Finster schaute ich sie an, bereit mich zu verteidigen. «Was kuckst du?», wollte ich sie schon anblaffen, als sie den Mund öffnete. Aber – Überraschung: Sie lächelte freundlich, zwinkerte mir zu und sagte: «Die Situation kenn ich, ich habe auch so einen zu Hause. Das braucht Nerven, stimmt’s?» Hoppla. Es gibt ja doch nette Mitmenschen. So schlimm wie in meinen Gedanken ist die Welt gar nicht. Vor lauter Erleichterung kriegte der Hund gleich mal einen Keks. Was er mit einem fröhlichen Bellen quittierte.
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