Alles erledigt

Frank Frei

Das neue Jahr hat gut angefangen. Es ist bereits jetzt besser als das alte. Das war zum Abwinken. Jedenfalls für mich. Aber solche Jahre haben auch einen grossen Vorteil: Es ist ganz einfach, sich gute Vorsätze zu nehmen und sie auch zu erfüllen. So war es mir ein Leichtes, innert der ersten sieben Tage – woher kenne ich das bloss? – sehr effektiv besser zu sein als im gesamten 2018. Mehr Sport? Erledigt am 1. Januar, mit einem ausgedehnten Spaziergang. Mehr Bücher lesen? Erledigt am 2. Januar, noch erschöpft vom Vortag las ich den zu Weihnachten erhaltenen Ratgeber für Ratlose, vier Seiten inklusive Inhaltsverzeichnis, Vor- und Nachwort. Nach dem Vorbild des legendären Bruno Franzen (†2017), dem Gründer von Interhome, riss ich jede gelesene Seite raus, was leider ein kurzes Vergnügen war. Mehr Freunde von früher treffen? Also echte Menschen, nicht diese geistlosen Büsihundefitnesstellerbildli postenden Avatare auf Facebook: Erledigt am 3. Januar, mit einem alten Freund in einem echten Restaurant. Mehr Bilder malen? Erledigt am 4. Januar, ein Bild fertig gemalt, sogar gross. Einen neuen Rekord in Nikotin und -Alkoholabstinenz aufstellen? Mehr Kultur reinziehen? Erledigt am 5. Januar und dabei das Musical «Miss Saigon» gesehen. Erledigt, die ersten sieben Tage habe ich weder geraucht noch getrunken.
Wenn ich so weiter mache und jedes Jahr jeden Vorsatz einmal mehr umsetze, dann bin ich in 51 Jahren top fit (wöchentlicher Sport), habe bis dann 1325 Bücher gelesen (und im Alleingang die Altpapierabfuhr in die schwarzen Zahlen gehievt), ebenso viele Freundinnen und Freunde getroffen (sorry, Leute, aber einige von euch werde ich mehrfach die Woche treffen müssen, um die Zahl zu erreichen, danke für die Einladung), habe 1325 Bilder gemalt (der Blanko-Vorverkauf startet sofort, habe selbst zu wenig freie Wände), bin ein langweiliges Abstinenzlerwesen (dafür wieder potentieller Organspender) und habe bis dann selbst die abstruseste kulturelle Performance mindestens einmal gesehen, die Zürich zu bieten hat (eine Gemeinderatssitzung).
Vielleicht gehe ich aber auch vorher pleite, habe einen Herzinfarkt auf der Finnenbahn, keine Freunde mehr (die werden ja auch nicht jünger oder mehr), keine Wohnung (wer will schon einen Bildermessi?), bin als Organspender aufgeboten oder im Rahmen einer Performance (nein, nicht jene im Gemeinderat), welche auch die Zuschauer miteinbezog, zu einer Haftstrafe wegen unsittlichem Verhalten verurteilt worden.
Vielleicht sollte ich mir das Ganze noch mal überlegen. Aber für dieses Jahr lassen wir’s gut sein, denn ich habe ja alle sieben Vorsätze erfüllt und kann die restlichen 358 Tage beruhigt das faule, egomanische Genusswesen sein, als das man mich kennt.

Auf das Erledigte anstossend
Frank Frei

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