Kirche in Zeiten von Corona

In der Seelsorge, aber auch in den Gottesdiensten ist der direkte Kontakt für die Gläubigen, aber auch die Pfarrer*innen wichtig. Obwohl es viele Online-Angebote gibt, ersetzt das Virtuelle das persönliche Treffen nicht. Und die aktiven Kirchgemeindemitglieder sind oft gar nicht im Internet unterwegs.

Wie und wann Gottesdienste wieder abgehalten werden dürfen, ist noch ungewiss.

Ein schriftliches Interview mit dem reformierten Pfarramt im Kirchenkreis zehn.

Wie haben Sie als Pfarrer*innen die Zeit des Lockdowns erlebt?

Jens Naske, Pfarrer in Oberengstringen: Es war und ist eine schwierige Zeit. Bei meiner Arbeit in Seelsorge und Predigt ist der persönliche Kontakt wichtig. Wir haben versucht, manches über das Internet zu ersetzen. Aber das ist nicht das gleiche. Und vor allem die Älteren, die nicht über das Internet kommunizieren, können wir so nicht erreichen. Telefonate sind da eine gute Möglichkeit, das Gespräch zu suchen.

Matthias Reuter, Pfarrer Höngg: In meiner neuen Aufgabe als «Leiter des gesamtstädtischen Pfarrkonvents» hatte ich seit Anfang März einen Fulltime-Job, aber kaum mehr Zeit, mich im Kirchenkreis zehn zu engagieren. Das hat mich auch gestresst, weil ich gefühlt Menschen im Stich gelassen habe, besonders in «meinem» Altersheim. Ich bin zusammen mit vielen Menschen enttäuscht über die vielen Anlässe, Reisen, Feste, die wir absagen mussten.

Aufgrund der Krise durfte nur noch «am Grab» und im engsten Kreis der Familie Abschied genommen werden, war das eine grosse Umstellung?

Jens Naske: Es ist nichts Neues, dass Menschen lediglich am Grab Abschied nehmen. Das wird auch ohne Corona so gewünscht. In der Stadt ist es sogar zunehmend ein Trend, in Oberengstringen noch etwas weniger oft der Fall. Es ist also durchaus möglich. Ich habe viele Rückmeldungen bekommen, dass es für die Trauernden stimmig und gut war.

Matthias Reuter: Beisetzungen können vollwertige, würdige Abschiede sein. Das Problem sehe ich eher in der zahlenmässigen Limitierung, wodurch Angehörige, Freunde, Bekannte ausgeschlossen wurden und weiterhin werden. Wie können sie Abschied nehmen? Beisetzung und Trauerfeier sind wichtige Momente in der Trauer. Ich hoffe, dass Angehörige das auch mit einer zeitlichen Staffelung gut verarbeiten können. Einige Familien werden Trauerfeiern nachholen. Andere warten sogar mit der Beisetzung bis wieder alles möglich ist. Neu können jetzt wieder Trauerfeiern in unseren Kirchen und den Kapellen stattfinden.

Wird diese Zeit seelische Schäden bei Hinterbliebenen oder anderen Personen hinterlassen?

Jens Naske: «Seelische Schäden» ist ein dramatischer Ausdruck. Vielleicht eher Traurigkeit, dass der kleine Abschied dem Leben des Verstorbenen nicht gerecht wird. Aber auch kleine Abschiede können eine grosse Bedeutung haben.

Matthias Reuter: Schaden vielleicht nicht, aber es erschwert das Loslassen, solange der Verstorbene nicht so verabschiedet werden kann, wie er es sich gewünscht hat oder es für die Angehörigen «richtig» wäre.

Welches sind die einschneidendsten Folgen für die Kirchgemeinden?

Jens Naske: Die wirtschaftlichen Folgen werden auch die Kirchen deutlich spüren. Bei den Mitgliedern hoffe ich, dass sie sagen können, dass ihre Kirchgemeinde professionell und fantasievoll mit der Krise umgegangen ist.

Martin Günthardt: Kirche ist die Gemeinschaft von Menschen, die von Gott aus der Welt herausgerufen wird, um zusammen zu feiern und Gott zu loben, könnte man es theologisch-ekklesiologisch formulieren. Dieses Zusammenkommen und Feiern ist sicher als ein physisches und reales zu verstehen und genau das ist durch das Versammlungsverbot nicht mehr möglich. In diesem Sinne trifft es uns als Kirche mitten ins Herz und macht uns auch hilflos und etwas ohnmächtig gegenüber der Situation. Da gibt es nichts zu beschönigen und das muss ausgehalten werden. Das heisst nicht, dass die virtuellen Kontaktmöglichkeiten nicht hilfreich und gut sind, aber sie sind trotzdem kein gleichwertiger Ersatz. Vielleicht liegt eine Chance darin, dass uns gerade dies in dieser besonderen Zeit schmerzlich bewusst wird?

Matthias Reuter: Die aktuelle Situation stellt unser Berufsverständnis auf die Probe. Es ist gut, aber auch belastend zu merken, wie ohne Menschenkontakt, gemeinsame Anlässe und Gottesdienste meine Arbeit fast unmöglich wird. Digital und nur Homeoffice sind nicht «Pfarrkompatibel». Ein grosser Teil vor allem der aktiven Kirchenmitglieder gehört zu den so genannten «Risikogruppen». Das hat noch lange Zeit einschneidende Folgen für unser Angebot.

Welche Erfahrungen haben Sie mit den Online-Gottesdiensten und anderen Online-Angeboten gemacht?

Martin Günthardt: Alle diese Angebote – von der Radiopredigt über den Fernseh-Gottesdienst bis zu den Online-Angeboten – gab es ja bereits vor Corona und sie wurden auch rege genutzt. Auf meinen Karfreitagsgottesdienst habe ich ganz viele positive Rückmeldungen bekommen von treuen Gemeindemitgliedern, die sich besonders darüber gefreut haben, dass nun «ihre» Kirche und «ihr» Pfarrer im Fernsehen oder online war. Das war für sie ein Stück Heimat im Wohnzimmer. Und ich habe auch Danksagungen von Menschen bekommen, die nicht zu unserer reformierten Gemeinde gehören, aber sich vor allem gefreut haben, die schöne Höngger Kirche und das Quartier per Drohne zu sehen. Das ist der bekannte Höngger Lokalstolz!
Generell würde ich vermuten, dass für die traditionellen und eher älteren Gottesdienstbesucher*innen das Medium Fernsehen oder Radio immer noch wichtiger ist als das Internet.

Matthias Reuter: Den Karfreitagsgottesdienst haben auf Tele Züri 17’000 Menschen gesehen. Online-Angebote der Kirchen sind seit Mitte März geradezu explodiert. Da fand ein enormer Innovationsschub statt. Wir hier haben uns bewusst nicht nur aufs Internet verlegt, sondern immer auch die «analogen» Menschen ohne Internet im Blick behalten. Wie können wir sie erreichen? Trotzdem, ohne Web ginge nichts.

Yvonne Meitner, Pfarrerin: Auf Online-Gottesdienste und Blogbeiträge bekomme ich auch positive Rückmeldungen.

Die Seelsorge ist ein wichtiger Bestandteil des Berufs. Wie hat sich diese dargestellt? Gibt es vielleicht auch positive Erkenntnisse?

Jens Naske: Für mich war besonders positiv zu sehen, wie ernst die Älteren die Massnahmen genommen haben. Ich habe deswegen versucht, die Menschen positiv darin zu bestärken und sie zum Durchhalten zu ermutigen. Natürlich ist die Isolation nicht leicht zu ertragen, aber gerade aus den Altersheimen habe ich auch Rückmeldungen bekommen, dass die Bewohner sich trotz der Kontaktsperre beschützt und versorgt fühlen.

Yvonne Meitner: Jeder Anruf, den ich mache, wird sehr geschätzt.

Martin Günthardt: Ich telefoniere eindeutig viel mehr und die Gespräche sind tiefer und ausführlicher. Ich erlebe das als eigentliches «Highlight» der Corona-Zeit. Allerdings ist es mehr so, dass ich bewusst Menschen anrufe, mit denen bereits eine gewisse Vertrautheit und Beziehung besteht, als dass ich von unbekannten Hilfesuchenden kontaktiert werde. Viele ältere Menschen freuen sich sehr über den Anruf und haben auch Zeit, zu reden. Das tut gut. Dann gibt es auch Menschen, die gerne schreiben und sich über Mails oder sogar Briefe austauschen. Das erlaubt mehr Distanz und Zeit zum Überlegen und antworten, was auch positiv sein kann. Mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der regelmässige und kurze Kontakt über WhatsApp wichtig und gut. Das kann auch nur einmal ein Emoji oder ein kurzer Gruss sein.

Wie geht es nun weiter?

Jens Naske: Das hängt von den Vorgaben von Bundesrat, Kirchenrat und Krisenstab der Kirchgemeinde ab. Auf jeden Fall wird alles mit viel Sicherheitsabstand stattfinden. Ich erinnere mich an den letzten Gottesdienst am 15. März. Dort mussten wir schon Schutzregeln einhalten: zwei Meter Abstand, nur jede zweite Bankreihe durfte benutzt werden, keine Gesangbücher, nur Liederzettel, kein Händedruck. Das war für mich befremdlicher als die ausgefallenen Gottesdienste danach.

Martin Günthardt: Es ist wichtig und nötig, dass wir Menschen, die das möchten und brauchen, nun bald wieder einen physischen Kontakt und Gesprächsaustausch in kirchlichen Räumen anbieten können. Selbstverständlich unter Einhaltung der nötigen Schutzmassnahmen. Dieser persönliche Austausch ist für mich wichtiger als Anlässe und Aktivitäten, die wohl noch länger nicht in der gewohnten Form möglich sein werden.

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