Quartierleben
Im Musical «Let Loose» wird wild getanzt – trotz Tanzverbot
«Let Loose» ist das neueste Werk des Musicalprojekts Zürich 10. Die Geschichte ist angelehnt an «Footloose», den berühmten Tanz-Film von 1984. Was es im reformierten Kirchgemeindehaus zu sehen gibt, ist lohnenswert, wenn nicht gar ein Muss – die Chance dazu hat man noch am Freitag, 6., und Samstag, 7. März, jeweils um 20 Uhr.
3. März 2015 — Redaktion Höngger
Kurz vor 20 Uhr am letzten Freitagabend: Der grosse Saal im Kirchgemeindehaus ist rappelvoll mit jungen und älteren Menschen. Alle sind sie gekommen, um ihre Freundinnen, Freunde, Kollegen und Verwandten in «Let Loose» zu sehen. Doch auch ohne persönlichen Bezug lohnt sich ein Besuch, denn seit 1996 zeigen die Mitglieder des Musicalprojekts Zürich 10 mitreissende Musicals, welche die Entwicklung der Sängerinnen und Sänger, Tänzerinnen und Tänzer, die teilweise über Jahre hinweg im Verein bleiben, aufzeigt.
Bananenschachteln zeigen Umzug von Berlin nach Bubikon an
Die bewährte Band beginnt zu spielen, und die Bühne bevölkert sich mit jungen Frauen und Männern in Einweg-Maleranzügen, die jeweils eine Bananenschachtel mit sich tragen und mit dieser eine mitreissende Choreografie – zum wiederholten Mal ist der Amerikaner Gregory Arcement Regisseur und Choreograf – zeigen. Die Bananenschachteln zeigen auf, was ansteht: Der Umzug von Teenager Kai und seiner Mutter Irene von Berlin nach – Bubikon! Grandios der musikalische Übergang vom lüpfigen Song «Footlose» zum Kirchenlied «A jedem Sunntig», das sofort eine komplett andere Atmosphäre schafft – nämlich die des Gottesdienstes in Bubikon.
«Ich wünschte, ich hätte Dir Schweizerdeutsch beigebracht»
Die Dialoge sind gewohnt witzig, übersetzt in Mundart haben das Skript und die Songs Seraine Bamert, Lea Kobler und der musikalische Leiter Lukas Hobi. «Ich wünscht mer nur, ich hetti Dir Schwiizertütsch biibracht – da leit mer in Buebikä Wert druf!», sagt die Schweizerin Irene zu ihrem Sohn Kai, dessen Vater Deutscher ist, und der sich von Irene getrennt hat – deshalb der Um- beziehungsweise «Rückzug» in die Schweiz. Das ganze Musical muss Fabian Müller, der Kai spielt, jedoch in Schriftdeutsch bestreiten – was er gut macht.
Wenn der Kuchen spricht, hat der Krümel zu schweigen…
In der Kirche stellen sich die beiden dem Pfarrer Gabriel Maurer vor, der Kai gleich als Kurt begrüsst und bei der Richtigstellung fragt, wie Kai denn «sonst noch» heisse. «Sonst nix», so der schlagfertige Berliner, der von Beginn an überall aneckt – etwa bei der Schulhaus-Rektorin Guggenbühl, die ihm mit dem Spruch «Wenn der Kuchen spricht, hat der Krümel zu schweigen!» gleich den Tarif durchgibt.
Auf dem Schulhausplatz zieht der trendig gekleidete Kai nicht nur die Blicke der Mädchen auf sich. Wild tuscheln und lachen sie durcheinander, werfen sich in ihren Hotpants in Pose, knabbern an ihren pastellfarbenen Bonbon-Halsketten und finden ihn «scho no en Härzige». Nur eine, die rebellische Lesbe Sam – notabene die Freundin der Pfarrerstochter Rahel – hasst Kai sofort: «De Stadtbueb dörf mer nöd mal dä Arsch küsse!», verkündet sie und stolziert in ihrer Lederkluft von dannen.
Tobias, Bauernsohn, immer mit Latzhose, kariertem Hemd und Gummistiefeln unterwegs, verbündet sich nach anfänglichen Pöbeleien und einer Fast-Schlägerei (O-Ton Rektorin: «Meine Schüler kennen den Unterschied von Schwingen und einer Massenschlägerei!») mit Kai und hilft ihm wo immer möglich aus der Patsche. Kai hilft dem mädchenscheuen «Töbeli» dagegen, endlich seiner Flamme Alex näher- zukommen, die mit ihrem Dauergeplapper in Maschinengewehrschnelle keinen Raum für «Töbelis» allfällige Antwort lässt.
«Ich bin Prediger, du nur eine Hausfrau!»
Im Pfarrhaus herrscht kein eitler Sonnenschein: Pfarrer Gabriel und seine Frau Vivienne streiten, unter anderem wegen Tochter Rahel. «Ihr zwei sprecht, ohne euch was zu sagen», so die Mutter zum Verhältnis von Vater und überbehüteter Tochter. Dem Herr Pfarrer ist das zu viel: «Ich bin ein Prediger und du nur eine Hausfrau!», raunzt er seine Ehefrau an. Der darauffolgende Song ist tiefgreifend und optisch genial dargestellt: Vivienne singt: «Ich bi nur e Huusfrau, tuen abstaube, poliere, Altpapier bündle…». Dazu singen im Chor die weiblichen Ensemble-Mitglieder, gekleidet in bünzligste Hausfrauen-Kleidung, ausgerüstet mit einem Bündel Altpapier, Staubwedeln, Teigschüsseln samt Teigschaber, Strickarbeiten und unzähligen Putzlappen und Besen. Ein starkes, trauriges Bild, das sich den Zuschauern im Saal einprägt.
Herrschendes Tanzverbot wird angefochten
Hauptthema des Musicals ist das Tanzverbot, welches die Gemeinde und insbesondere Pfarrer Gabriel ins Leben gerufen haben, nachdem vier Jugendliche – darunter sein Sohn Aron – bei der nächtlichen Heimfahrt von einer Party unter Alkohol- und Drogeneinfluss mit dem Auto verunfallt und gestorben waren.
Mit Kai als Anführer wird von der Dorfjugend vereint gegen das Tanzverbot angekämpft, doch einfach hat er es nicht … Der Schluss wird hier nicht verraten, doch ein paar Zückerchen sollen nicht vorenthalten werden: Die Tanzszene im Tanzschuppen des Nachbardorfes mit Country-Musik, Cowboyboots, 80er-Jahre-Jeans mit grausam hoher Taille und Holzfällerhemden ist genauso witzig wie die Turnstunden-Szene, in der die Aerobic-Dresses in allen Farben die Augen der Zuschauer an die Schmerzgrenze führen. In Pink, Orange und Neongrün, natürlich in Kombination mit den damals obligaten Stulpen, werden Straf-Liegestützen gemacht, die Trainer Roger kaltblütig angeordnet hat. Ob am Schluss alles zum Guten kommt?
Aufführungen «Let Loose»
Freitag, 6., und Samstag, 7. März, jeweils um 20 Uhr, reformiertes Kirchgemeindehaus, Ackersteinstrasse 190. Eintritt frei, Kollekte. Mit Verpflegungsmöglichkeit. Weitere Informationen: www.musicalprojekt.ch
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