Im Auto mit zwei Kopfschüssen hingerichtet

Vor über 24 Jahren ereignete sich im Höngger Grünwald ein brutales Tötungsdelikt. Ein 26-jähriger Kosovo-Albaner wurde mit zwei Schüssen im Auto ermordet. Der Hauptverdächtige musste nach viereinhalb Jahren mangels Beweisen freigesprochen werden.

Das Restaurant Grünwald bietet vorübergehend über Mittag warme Mahlzeiten für "Büezer*innen" an.

Es war am 21. Januar 1996 kurz vor 10 Uhr morgens, als Passanten im Grünwald auf dem Hönggerberg eine schreckliche Entdeckung machten: In einem parkierten Auto fanden sie die Leiche eines jungen Mannes, er war mit zwei gezielten Schüssen aus einer Armeepistole buchstäblich hingerichtet worden. Die Spaziergänger alarmierten die Polizei, welche auf Grund des Spurenbildes ein Selbstmord schnell ausschliessen konnten.

Die ersten Ermittlungen wiesen auf ein Beziehungsdelikt hin, und die Polizei setzte eine Belohnung von 5000 Franken aus. Fünf Tage später konnte sie drei tatverdächtige Personen verhaften, eine Frau und zwei Männer. Eine 27-jährige Frau aus Portugal legte ein Geständnis ab. Dabei belastete sie ihren 38-jährigen portugiesischen Schwager schwer und sagte, dass dieser den Mann erschossen habe. Sie habe die Ermordung ihres Peinigers zusammen mit ihrem Schwager geplant. Der Grund: Das verheiratete Opfer soll die Portugiesin bedrängt, bedroht und regelmässig sexuell belästigt haben. Sogar mit dem Tod habe er ihr gedroht, solle sie sich ihm nicht fügen, sagte die Frau. Der Ehemann der geständigen Frau, der anfänglich ebenfalls als Tatverdächtiger galt und in Untersuchungshaft gesetzt wurde, wurde bald wieder entlassen, weil sich der Verdacht gegen ihn nicht erhärtet hatte.

Die Frau sagte in der Untersuchung, sie habe dem Opfer gesagt, sie werde sich auf ein sexuelles Abenteuer mit ihm einlassen. Mit dem Auto fuhren die beiden morgens in die Nähe des Restaurants Grünwald. Unter dem Vorwand, ihre Blase zu erleichtern, stieg die Frau aus dem Auto aus, während sich der 26-jährige Mann bereits auszog. In diesem Moment soll sich der Schwager dem Auto genähert haben und ihn mit zwei Schüssen in den Kopf hingerichtet haben. Pistole und Munition hatte die Frau von einem früheren Arbeitskollegen erhalten.

Kassationsgericht hob Urteil auf

Am Prozess 1998 vor dem inzwischen abgeschafften Geschworenengericht wurde der portugiesische Bauarbeiter wegen vorsätzlicher Tötung zu zehn Jahren Zuchthaus, wie es damals hiess, verurteilt. Der Mann hatte die Tat immer bestritten. Die geständige Frau war im gleichen Jahr vom Obergericht wegen Totschlags rechtskräftig zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Der 29-jährige Schweizer, welcher die Armeepistole und Munition bereitgestellt hatte, wurden wegen eventualvorsätzlicher Gehilfenschaft zur vorsätzlichen Tötung belangt und zu drei Jahren verurteilt. Er war nach einigen widersprüchlichen Aussagen geständig und sagte aus, dass er der Frau, zu der er eine enge Beziehung pflegte, die Pistole gegeben habe. Auch bekräftigte er, dass er ihre Äusserungen bezüglich des geplanten Mordes nicht ernst genommen habe und verlangte wie der Hauptangeklagte einen Freispruch.

Der Portugiese und der Waffenlieferant akzeptierten das Urteil nicht und gelangten an das damalige Kassationsgericht. An dieses oberste kantonale Gericht, das 2012 eingestellt wurde, konnten zivil- und strafrechtliche Entscheide weitergezogen werden, wenn die Parteien Verfahrensfehler rügen wollten. Das Gericht konnte das Urteil dann aufheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückweisen. Dies war beim Tötungsdelikt Grünwald der Fall. Anfangs 2000 hob das Kassationsgericht des Kantons Zürich den Schuldspruch gegen den Portugiesen und den Waffenlieferanten auf und wies die Fälle ans Geschworenengericht zurück. Im gleichen Sommer wurde der Prozess gegen die beiden Männer neu aufgerollt.

Schweigen der Kronzeugin

Was folgte, war eine Überraschung: Am 7 Juli 2000 sprachen die Geschworenen in neuer Besetzung den Portugiesen «in dubio pro reo» (im Zweifel für den Angeklagten) frei. Für die viereinhalb Jahre, die der Mann zwischen 1996 und 2000 im Gefängnis sass, erhielt er Schadenersatz und Genugtuung. Im Fall des Nebenangeklagten – des Waffenlieferanten – wurde die Anklage zwecks Ergänzung an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.

Der Grund, warum das Gericht beim Hauptbeschuldigten nun plötzlich zu einem Freispruch kam, waren die Aussagen der Schwägerin, die beim Prozess eine Kronzeugin war. Sie hatte ihren Schwager am ersten Prozess noch der Tat beschuldigt, in der zweiten Verhandlung aber plötzlich jegliche Aussage verweigert. Dies war massgeblich entscheidend für den Freispruch des Portugiesen. «Sie verhinderte damit, dass sich das Gericht ein einheitliches und widerspruchsfreies Bild von ihr machen konnte», sagte der Vorsitzende damals. Nach Ansicht des Gerichts könnte auch eine Dritttäterschaft in Frage kommen – eine solche war im ersten geschworenengerichtlichen Prozess noch klar verneint worden.

Ein Kapitalverbrechen, das ungelöst ist, hinterlässt immer ein ungutes Gefühl. Vor allem dann, wenn die Hinweise im ersten Prozess für eine Verurteilung reichten, es dann aber wegen der Aussageverweigerung der Kronzeugin zu einem Freispruch kam. Vermutlich wäre der Beschuldigte heute nicht so glimpflich davongekommen, hinterlässt doch fast jeder Täter seine DNA-Spuren. Die DNA-Analyse in der Kriminalistik steckte damals aber noch in den Kinderschuhen.

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