Institutionen
«Ich male, was ich sehe»
Das Tertianum Im Brühl zeigt im Oktober Bilder der Malerin Heidi Bolliger. Die Höngger Künstlerin war eine der wenigen Frauen, die auch Männer Akte malte. Einblicke in ein bewegtes Leben.
10. Oktober 2018 — Patricia Senn
In ihrer Wohnung reiht sich Mappe an Mappe, gefüllt mit Skizzen, Stillleben, Porträts, Landschaftsmalereien. Arbeiten aus über 30 Jahren. Nun will sie nach und nach reduzieren, loslassen. Wehmütig ist sie nicht, im Gegenteil, sie freut sich, wenn ihre Bilder auch später noch weiterleben, irgendwo. Gerade ist sie zurück von einer Ausstellung in Wien. Für Freunde und Bekannte aus den verschiedenen Gruppen, in denen sie sich engagiert, veranstaltet sie Dinners in ihrer Wohnung und legt die Werke auf. Zum Mitnehmen. «So ist schon einiges weggekommen», lächelt sie zufrieden.
Schon als Kind fiel den Lehrer*innen ihr musisches Talent auf, das Malen und Schreiben ging ihr ring von der Hand. «Damals träumte ich noch davon, Sängerin zu werden», erinnert sie sich. Dennoch wusste sie schon zu jener Zeit, dass sie einmal ganz und gar der Malerei verfallen würde, wenn sie sich darauf einlassen würde. Denn den inneren Drang zu zeichnen und malen verspürte sie schon damals. Doch erst kam die Familie. Daneben besuchte sie stets Handwerkskurse bei der Viventa, vom Wasserschöpfen bis zum Körbeflechten. «Ich wollte diese Zeit nutzen, um alles andere zu lernen, denn wenn ich einmal male, mache ich nichts mehr anderes, das war mir immer klar», meint sie. Es war 1984, als sie zusammen mit einer Freundin anfing, bei einer Grafikerin Malstunden zu nehmen. Vier Jahre später verstarb ihr Mann. Es war eine schwierige Zeit für die Witwe, «am schlimmsten waren die Sonntage, wenn alle anderen bei ihren Familien waren», erinnert sich Bolliger. Das Malen habe ihr sehr geholfen, auch um eine Tagesstruktur zu haben, einen Grund morgens aus dem Bett zu kommen. Sie fühlte sich noch zu jung, um einfach zu Hause Däumchen zu drehen. «Ein Sonntagsjob war schliesslich meine Rettung», meint sie rückblickend. Er ermöglichte ihr auch auf Reisen zu gehen, eine weitere ihrer vielen Leidenschaften. «Ich musste zwar erst lernen, alles alleine zu machen, fand aber mit der Zeit auch Gefallen daran, weil man alleine einfach viel mehr erlebt».
Malen im Zoo
Bald füllten sich die Wochen mit verschiedenen Veranstaltungen, freiwilligen Einsätzen, Chorstunden, regelmässig organisierte sie Gesellschaften. Schliesslich entschloss sie sich bei der «Kunsti» vorzusprechen und wurde für die Wochenkurse zugelassen. 16 Jahre lang hat sie einmal in der Woche einen Kurs belegt und sich eine solide Ausbildung angeeignet. «Es fing mit einem Semester Farbenlehre an, danach zeichneten wir ein halbes Jahr lang Skelette, bevor wir ein Semester lang die Tiere im Zoo malten», erzählt die lebhafte Frau. «Ich ging zu den Menschenaffen. Nach einer Weile kannten sie uns, immerhin verbrachten wir einen ganzen Tag pro Woche vor ihrem Gehege. Einer der Orang-Utans zeigte sogar einen Anflug von Eitelkeit, denn er kämmte sich immer mit den Fingern die Haare, wenn er uns kommen sah». Nach den Tieren folgten endlich die Menschen, sie lernte das Aktzeichnen, überwiegend an weiblichen Modellen. Nach einigen Jahren beschloss sie, dass sie sich den Bäumen zuwenden wolle und verbrachte viel Zeit auf dem Platzspitz.
PinUps für Frauen
Mittlerweile blickt sie auf 34 Einzelausstellungen zurück, hauptsächlich in Paris, Wien und Salzburg, darunter eine im Zentrum Klus zum Thema «Rundes, Rundungen und rund um die Welt». «Auf meinen Reisen skizzierte ich immer wieder, was um mich herum geschah, so wie andere fotografieren», erzählt sie. «Das verbindet mich mit dem Maler Édouard Manet, der meinte <Je fais ce que je vois> – auch ich malte, was ich sah». Während einer Gruppenreise nach Indien wurde sie von einem Mann angesprochen, als sie gerade dabei war, etwas zu skizzieren. «Er fragte mich, ob ich ihn zeichnen würde. Und zwar nackt. Ich dachte mir, wieso nicht, versuchen kann ich es ja. Seine Frau, die ihn begleitete, meinte nur: «Er wäre sehr stolz ein Bild von sich zu haben». Er war sehr gutaussehend, ein Ebenbild der Figur David von Michelangelo. «Damals sah man selten Männerakte und ich fand: So einen schönen Körper darf man den Frauen doch nicht vorenthalten!», erzählt die Künstlerin lachend. Der Adonis wurde ihr erstes Modell und blieb es über lange Jahre hinweg. An ihren Ausstellungen erhielt sie immer öfter Anfragen von Männern, die sich zeichnen lassen wollten. Für einen fuhr sie sogar regelmässig nach Paris, um ihn zu porträtieren. Als der Galerist einer Ausstellung in Männedorf auf der Homepage verkündete, sie würde gratis Akt-Porträts zeichnen, reisten sechs Männer aus der ganzen Schweiz an. Es sei unglaublich gewesen, erzählt Bolliger und scheint noch immer leicht erstaunt darüber. Das Live-Porträtieren ist eine Marktlücke, davon ist die Malerin überzeugt. Sie erhielt auch Aufträge von Frauen, die zwar nicht den Mann vorbeischicken wollten, aber immerhin eine Fotografie einsandten, die sie zeichnen sollte. Damit liesse sich sicherlich ein Geschäft machen, aber da wolle sie jetzt nicht mehr einsteigen. «Ich habe es eine Zeit lang gemacht und war erfolgreich, wurde fast ein wenig berühmt damit». Heute seien die Menschen durch die Werbung aber schon recht an die männlichen Körper gewohnt, meint sie.
«Vieles fiel mir in den Schoss»
Das Reisen, das Malen, die vielen Begegnungen: Sie hat in den letzten 30 Jahren viele schöne Erinnerungen gesammelt. Einmal hing ein Bild von ihr im Kunsthaus, dass sie bei Rosina Kuhn für eine Caran-d’Ache-Ausstellung gefertigt hatte. Ihr persönliches Highlight, bei dem sie heute noch ins Schwärmen gerät, war eine Ausstellung im Pariser Viertel Montmartre. Gleich gegenüber der «Moulin de la Galette» durfte ich meine Werke präsentieren. Man stelle sich vor: Im renommiertesten Künstlerviertel überhaupt!» Immer wieder sagt sie, sie habe Glück gehabt, vieles sei ihr im richtigen Moment in den Schoss gefallen. Natürlich sei sie auch sehr offen dafür gewesen, neue Dinge auszuprobieren. Ob sie denn keine Berührungsängste gehabt habe, nackte Menschen zu malen? «Ach», meint sie lachend, und winkt ab, «in der Schule haben wir so viele Nackte gesehen. Es ist vielleicht unanständig, das zu sagen, aber man sieht sie nicht mehr als Menschen, sondern als Objekt. Man spricht über die Proportionen der Figur, nicht über die Person. Das muss so sein.
Im Leben einer Malerin gäbe es verschiedene Phasen, sagt Heidi Bolliger zum Schluss. Erst habe sie Häuser gemalt, dann Bäume, Gläser, Landschaften und irgendwann schliesslich menschliche Figuren. Heute aber habe der Drang, alles zeichnerisch festzuhalten, nachgelassen. Auch diese Phase scheint jetzt ein Ende zu haben. Jedoch nicht, ohne durch etwas Neues ersetzt zu werden: Gerade entdeckt sie das Tanzen für sich.
Heidi Bolliger stellt ihre «Menschenbilder» im Tertianum Im Brühl aus. Vernissage: Samstag, 13. Oktober, 14 bis 16 Uhr. Danach jeden Tag von 10 bis 20 Uhr. Tertianum Im Brühl, Kappenbühlweg 11.
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