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Holzschlag und Kritik im Höngger Wald
Wer dieser Tage auf dem Hönggerberg spazieren geht, erschrickt über die vielen kahlen Stellen im Wald. Verschiedene gleichzeitig stattfindende Forstarbeiten lassen den Eingriff radikal wirken.
11. März 2021 — Patricia Senn
Wer von der Holbrigstrasse her dem Turnplatz entlang geht und in den Wald blickt, dem bietet sich ein desolates Bild: Auf einer Fläche von zwei Hektaren wurde der Wald ausgelichtet, am Boden liegt das geschlagene Holz, am Wegesrand sind grössere Stämme aufgeschichtet. Was ist hier passiert?
Historische Form der Waldbewirtschaftung
Bei der betroffenen Fläche handelt es sich um den sogenannten Mittelwald, wie auch Informationstafeln rund um die Stelle bekannt geben. Der Mittelwald ist eine historische Form des Waldbaus, die ihren Ursprung im Mittelalter hat. Auf dem Hönggerberg wurde er in den 1980er Jahren von der ETH als Lehr- und Anschauungsobjekt angelegt und wird heute von Grün Stadt Zürich gepflegt. Er besteht hauptsächlich aus zwei Baumschichten. Die Unterschicht wächst aus Stockausschlägen, die im Turnus von 18 bis 20 Jahren geerntet werden und ausschliesslich als Brennholz dienen. Dazwischen werden qualitativ hochwertige Bäume, meist Kernwüchse – also aus Samen oder Stecklingen entstanden – von Eiche, Ahorn oder Esche stehen gelassen, die dann in die Oberschicht, den sogenannten Hochwald, heranwachsen. Diese können aufgrund ihrer hohen Qualität nach 100 bis 150 Jahren als Stammholz genutzt werden und stellen als Samenbäume die Verjüngung im Mittelwald sicher.
Alle sechs Jahre wird eine grosse Fläche geholzt
Für die Bewirtschaftung ist der Mittelwald in drei Einheiten unterteilt, welche reihum alle sechs Jahren gepflegt werden. Das heisst, wurde eine der Flächen «auf Stock gesetzt», also geholzt, wird sie danach für 18 bis 20 Jahre in Ruhe gelassen. Die zuletzt so beforstete Fläche umfasst rund zwei Hektare. «Die Mittelwaldbewirtschaftung ist aus Biodiversitätssicht spannend», schreibt der Natur- und Vogelschutzverein (NVV) Höngg auf Anfrage. Das lichte Waldbild behage verschiedenen Arten, die in dunkleren Wäldern selten sind. «Deshalb ist diese Form der Bewirtschaftung auf dieser Fläche sinnvoll und sollte unbedingt beibehalten werden», so der NVV. Die Bedeutung des Mittelwalds werde auch dadurch unterstrichen, dass er im kantonalen Inventar der «Waldstandorte von naturkundlicher Bedeutung» eingetragen ist. Allerdings sei der Eingriff ziemlich radikal. Deshalb hatte der NVV bereits in der Vergangenheit den Vorschlag eingebracht, den Holzschlag häufiger und dafür auf einer kleineren Fläche durchzuführen. «Dies wäre auch für die lichtbedürftigen Tiere und Pflanzen besser, da sie dann immer eine lichte Ausweichfläche hätten.» Zumindest aber wäre eine proaktivere Informationspolitik von Seiten Grün Stadt Zürich (GSZ) wünschenswert, weil die Eingriffe sonst auf Unverständnis stiessen.
Mit diesem Vorwurf konfrontiert, entgegnet GSZ, dass sie auf ihrer Webseite über die geplanten Holzarbeiten informiert habe, so wie sie es immer im Voraus über alle im Stadtwald geplanten Holzschläge tue. Ausserdem stünden beim Mittelwald Infotafeln, die über die Bewirtschaftung der Fläche Auskunft geben. «Bei der Eröffnung des Waldlabors im Herbst 2020 (der «Höngger» berichtete) wurde ausserdem über den Mittelwald, seine Bewirtschaftung und die bevorstehenden Holzarbeiten informiert. Rund 100 Gäste waren geladen, und es gab einen Rundgang für die Medien. Dort hat man auf einer kleinen Demonstrationsfläche bereits gezeigt, wie dieser Waldbereich vor und nach dem Pflegeeingriff aussieht. Darum haben wir auf eine zusätzliche Information verzichtet», sagt die Medienstelle der Dienstabteilung auf Anfrage.
Kritik kommt von einem Höngger Exponenten von «Pro Uetliberg»
Der Holzschlag im Höngger Wald blieb natürlich nicht lange unbemerkt. Während die meisten Spaziergänger*innen erstaunt bis erschreckt reagieren, gibt es auch offene Gegenwehr. Zum Beispiel von Rolf Kuhn, Höngger Alt-Gemeinderat und Vorstandsmitglied des Vereins «Pro Uetliberg», der sich schon seit Jahren gegen umfangreiche Holzschläge am Zürcher Hausberg engagiert. Ein Mittelwald habe einen ausgedünnten Baumbestand und unterdurchschnittlichen Holzzuwachs, sagt Kuhn. Auch deshalb mache das Projekt für ihn, angesichts der voranschreitenden Klimaerwärmung und der Bedeutung des Waldes als CO2-Speicher, keinen Sinn. Einer ETH-Studie zufolge, so sein Einwand, sei ein naturnaher Waldbau, der gemischte Hochwälder anstrebe, für die Förderung einer vielfältigen Fauna und Flora genauso geeignet wie der Mittelwaldbetrieb. Gleichzeitig erfülle diese Art von Waldbau die Anforderungen der Forstwirtschaft bezüglich Produktionseffizienz und Ertrag um ein Mehrfaches besser.
Kuhn kritisiert zudem das Befahren von Waldböden mit schweren Forstmaschinen, was zu Verdichtungen und Verformungen im Boden führe, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Zum Schutz der Böden sei deshalb in Art. 6 Abs. 1 der eidgenössischen Verordnung über Belastungen des Bodens (VBBo) die «Vermeidung von Bodenverdichtung und -erosion» gesetzlich vorgeschrieben. Mit diesem Vorwurf konfrontiert, sagt Grün Stadt Zürich, dass Pflegeeingriffe grundsätzlich in den Wintermonaten während der Vegetationsruhe ausgeführt würden. «Bei bodengestützten Pflegeeingriffen bewegen sich unsere Maschinen auf sogenannten Rückegassen, das sind Bewirtschaftungswege, die in regelmässigen Abständen im Wald angeordnet sind». Durch die Nutzung dieser Gassen könne die Bodenbelastung auf einen beschränkten Raum kanalisiert und der übrige Waldboden geschont werden. «Weiter achten wir darauf, die Rückegassen nach Möglichkeit bei gefrorenem Boden und trockener Witterung zu befahren. Da solche Verhältnisse leider auch im Winterhalbjahr nicht immer anzutreffen sind, verwenden wir auf unseren Forstfahrzeugen breite Reifen mit geringen Profiltiefen, die das Gewicht auf eine möglichst grosse Fläche verteilen», so die Medienstelle von GSZ. Was die Behauptung betrifft, dass ein naturnaher Waldbau für die Förderung einer vielfältigen Fauna und Flora genauso geeignet sei wie der Mittelwaldbetrieb, verweist Grün Stadt Zürich auf neuere wissenschaftliche Erkenntnisse, die dem Hochwald die geringste Vielfalt attestierten.
Arboretum und Pilzbefall
Das erwähnte Waldlabor am Hönggerberg erstreckt sich auf einer Fläche von gut 150 Hektaren. Davon sind rund 80 Hektare im Eigentum der Stadt Zürich (Stadtwald), 60 Hektare im Eigentum des Kantons Zürich (Staatswald) und zirka zehn Hektare Privatwald. Grün Stadt Zürich ist nur für die Kommunikation zum Stadtwald zuständig. Im Rahmen eines schweizweiten Versuchs zur Überprüfung der Klimatoleranz wurde weiter nordwestlich im Wald bereits Ende Jahr eine weitere Fläche am Bergholzweg, zwischen Sonderistrasse und Birkenweg, für Testpflanzungen gerodet. Noch diesen Monat sollen acht verschiedene Baumarten angepflanzt werden Es sind dies Weisstanne, Fichte, Douglasie, Lärche, Traubeneiche, Stieleiche, Zerreiche und Elsbeere. «Auf vielen Waldstandorten werden unter den klimatischen Bedingungen, welche gegen Ende des 21. Jahrhunderts erwartet werden, andere Baumarten besser wachsen als diejenigen, welche heute dort gedeihen. Während ein Teil der zukunftsfähigen Baumarten bereits dort vorkommt, wo ihnen das Klima in Zukunft wahrscheinlich zusagen wird, fehlen andere ganz», schreiben die Verantwortlichen auf ihrer Webseite. Im Dezember war zwar eine Informationsveranstaltung über diese Versuchsfläche der Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) für die Öffentlichkeit geplant gewesen, diese musste aufgrund der Corona-Massnahmen jedoch abgesagt werden.
Der Verein Waldlabor Zürich ist ausserdem dabei, im südöstlichen Zipfel des Waldes am Hönggerberg ein etwa kreisförmiges Arboretum zu errichten. Es handelt sich dabei um eine Artensammlung für Gehölzpflanzen – eine Art «Zoo», jedoch nicht für Tierarten, sondern auf Baum- und Straucharten ausgerichtet. Der NVV sieht die Kultivierung von hier teilweise nicht-heimischen Pflanzen kritisch: «Diese werden den Charakter des Waldbildes – immerhin von naturkundlicher Bedeutung und ausserdem gemäss Waldentwicklungsplan mit <Vorrang biologische Vielfalt> sehr stark verändern». Ausserdem würden die Besucher*innen so von den Wegen weg in den Wald hineingeführt. Neben der Waldpflege im Mittelwald und dem Kahlschlag für die Testpflanzungen wurden in den vergangenen Wochen noch weitere Holzschläge nötig. So mussten an der Kappeliholzstrasse in der Nähe der Holderbachhütte zwanzig bis dreissig Eschen gefällt werden. «Wegen Pilzbefall waren die Bäume nicht mehr stand- und bruchsicher», so GSZ. Die so freigewordene Fläche werde nun für eine ergänzende Pflanzung zum Arboretum genutzt.
Schäden nach Wintereinbruch
Auch der starke Schneefall im Januar hinterliess vielerorts umgeknickte Bäume und abgebrochene Äste. Im Vergleich zu den Stadtbäumen seien die Schäden im Wald jedoch geringer ausgefallen, sagt Grün Stadt Zürich auf Anfrage. In höheren Lagen am Adlisberg, Zürichberg und Uetliberg seien vereinzelt Äste abgebrochen. «In tiefer gelegenen und stadtnahen Wäldern wie Altstetten, Affoltern und Schwamendingen sind hingegen mehr Schäden zu beobachten: Bäume sind umgestürzt und wurden entwurzelt. Bei Laubbäumen sind vorwiegend einzelne Äste oder Kronenteile abgebrochen. Die grossen Schäden wie abgebrochene oder entwurzelte Bäume sind vor allem beim Nadelholz aufgetreten», so die Medienstelle.
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