Hohe Anforderungen an Hund und Mensch

Damit ein Hund zum Blindenführhund wird, muss er einige Kriterien erfüllen, um überhaupt zur Basisausbildung zugelassen zu werden. Khan erfüllte diese und geht derzeit in Höngg in die «Primarschule».

Klares Anzeigen der Absicht, die Strasse zu queren – und trotzdem halten nicht alle. Links Jürg Künzle mit Frisco, rechts Fritz Meier mit Khan.

Fritz Meier bietet bereits dem dritten angehenden Führhund in Höngg diese «Primarschule», in der er erste wichtige Fähigkeiten erlernt. Neulich bekam der acht Monate alte Labrador Retriever Khan Besuch von seinem Vorgänger Frisco und dessen blindem Meister Jürg Künzle. Während die beiden Hunde zusammen spielten, wurde am Tisch von Meiers viel über sie geredet. Frisco ist seit einem Jahr der erste Führhund von Jürg Künzle, der zum Verlauf seiner angeborenen Krankheit sagt: «Man schaut zu, wie man langsam erblindet.» Er und Frisco sind ein eingespieltes Team – «man» kennt die gegenseitigen Bedürfnisse. Künzles Leben hat sich durch Frisco positiv verändert. «Ich gewann viel an Selbständigkeit zurück, das stärkt das Selbstbewusstsein», hebt Künzle den zentralen Punkt hervor und fügt an, dass sich auch seine sozialen Kontakte stark ausgedehnt hätten, bis hin zu neuen Freundschaften.

Gefahr am Fussgängerübergang

Nebst mehrheitlich Positivem erleben die beiden aber auch Unerfreuliches, Gedankenloses: «Manche Menschen bemerken gar nicht, dass ich einen weissen Langstock trage und einen Blindenhund im Geschirr führe.» Dann komme es vor, dass Frisco gestreichelt werde, was absolut tabu ist (siehe Kasten). Künzle sieht das als Folge des steten Drucks, dem alle dauernd ausgesetzt sind: «Man geht mit Scheuklappen vor den Augen und dem Handy am Ohr durchs Leben und beachtet das Umfeld kaum.» An Fussgängerstreifen wird es gar gefährlich: Wartet Künzle mit Frisco am Strassenrand, so zeigt er mit senkrechtem Blindenstock und ausgestrecktem Arm seine Absicht an, die Strasse zu queren. Per Gehör schätzt er ab, ob ein Auto hält oder nicht. Der Hund kann dies nicht einschätzen und wartet auf das Kommando seines Meisters. Bei aller Vorsicht kam es schon zu Beinahekollisionen. Ist die Strasse jedes Mal eine tödliche Gefahr? «Nein», antwortet Künzle, «sonst müsste ich auch an anderen Orten Angst haben.» Zum Beispiel dort, wo er neulich an der Sihl von einer Joggerin überrascht wurde, einen Schritt zur Seite wich und über die Mauer die Böschung hinunterfiel. Frisco wartete oben. Er hat für so einen Fall kein «Notfallprogramm».

Die Grenzen des Könnens

«Der Hund wird oft überschätzt», wirft da Fritz Meier ein, «der Sehbehinderte ist trotz allem der Meister: Er lenkt den Hund.» Die Kommandos erfolgen in Italienisch, dessen viele Vokale dem Hund das Erkennen der Befehle erleichtern. Auf Künz les «vai» hin geht Frisco los – doch Künzle ist quasi sein GPS: Er führt ihn, hat jedes Wegstück genau im Kopf und kennt stets seine Position. Jeder Führhund reagiert auf rund 30 Befehle, die er in einer der vier Schweizer Ausbildungsstätten erlernt hat: Er kann geradeaus führen, links und rechts unterscheiden und Hindernisse aller Art, am Boden, auf der Seite und in Kopfhöhe des Menschen, anzeigen oder umgehen. Das Aufsuchen von Fussgängerstreifen, Treppen, freien Sitzplätzen und vieles mehr gehört ebenfalls dazu. Der spätere Halter vermag ihm unter Umständen Zusätzliches beizubringen. So findet Frisco auf den Befehl «Lettera» hin Briefkästen – aber nur freistehende Modelle, weil Jürg Künzle bei einem solchen immer seine Briefe einwirft. Andere Briefeinwürfe erkennt er nicht als solche.

Ausbildung an beiden Enden der Leine

Der Weg zum guten Team jedoch ist weit und nicht jeder geht ihn zu Ende. Sowohl Hund wie Meister nicht. Zehn Wochen alt kommen die Hunde für zirka 15 Monate zu einer Patenfamilie wie bei Meiers, wo sie sozialisiert werden und die Grunderziehung erhalten. «Bei Leuten wie mir gehen Hunde wie Khan in die Primarschule», sagt Meier, der wie alle Paten ehrenamtlich arbeitet. Khan wird anschliessend bei der Stiftung Schweizerische Schule für Blindenführhunde in Allschwil (BL) während zirka sechs Monaten fertig ausgebildet. Ein Experte der Invalidenversicherung (IV) nimmt die Schlussprüfung – «Die Matur», wie Meier es nennt – ab. Wer durchfällt, wird Therapie- oder Familienhund. Doch auch der Blinde muss einen dreitägigen Eignungstest ablegen, bei dem er bereits für alle Bedürfnisse eines Hundes verantwortlich ist. Erst da wird vielen klar, dass der Hund in erster Linie 24 Stunden am Tag abhängig ist von seinem Meister – nur in bestimmten Situationen ist es umgekehrt. Manchem ist dieser Aufwand zu gross. Andere sind am weissen Langstock zu wenig selbständig, – es mangelt ihnen an räumlichem Orientierungsvermögen – eine Grundvoraussetzung, um einen Hund zu erhalten.

Kosten

Dies alles mit gutem Grund, denn die Kosten der Ausbildung eines Blindenführhundes belaufen sich auf mindestens 50’000 Franken. Die Stiftung, in deren Besitz die Hunde zeitlebens bleiben, investiert diesen Betrag und bekommt ausschliesslich für die Jahre des Einsatzes des Hundes 350 Franken pro Monat von der IV erstattet. Geht der Führhund in Pension, so sorgt die Stiftung weiter für ihn. Unter anderen prädestinieren diese ökonomischen Gründe den Labrador-Retriever: Er hat eine hohe Lebenserwartung, gilt als arbeitsfreudig, gelehrig und robust.

Gespart am falschen Ort

Die Haltekosten während den Einsatzjahren trägt der Sehbehinderte: vom Futter über das Haltegeschirr bis zur Arztrechnung und was der Hund sonst noch so benötigt. Jürg Künzle kann der IV monatlich Rechnung stellen, wird aber mit maximal 110 Franken entschädigt. Das reicht selten. Früher waren es 190 Franken, doch dann reduzierte die IV den 280 Betroffenen die Leistungen. Spareffekt: 268 800 Franken im Jahr. Man wehrte sich dagegen in Bern mit einer Petition, bislang erfolglos. Trotzdem, auf die Frage, was ihm noch wichtig wäre an diesem Artikel, sagt Jürg Künzle spontan: «Ich werde in der Öffentlichkeit oft gefragt ‹Kann ich Ihnen weiter helfen?› – und das ist absolut schön.»      

Verhaltensregeln gegenüber Blinden mit Führhund:
– stets den Vortritt gewähren
– auch Zugang gewähren, wo ein Hundeverbot besteht
– den eigenen Hund zu sich rufen und an die Leine nehmen
– das Gespann mit Abstand und  ungestört vorbeigehen lassen
– keinen Kontakt mit einem  Führhund im Führgeschirr aufnehmen: nicht berühren, nicht  streicheln oder gar füttern
– dem Sehbehinderten bei einer  Ampel mitteilen, wenn sie auf  Grün schaltet. Der Hund ist  darin nicht ausgebildet.
Weitere Informationen: Stiftung Schweizerische Schule für Blindenführhunde