Höngger Nasenwein und andere Zürcher Raritäten

Am 16. Juni traf sich eine Hundertschaft im Fasskeller zur traditionellen Weinprobe der Zunft Höngg. Die zunfteigene Rebbaugruppe stellte eine Auswahl an Zürcher Weinen vor, die nur vom selbst produzierten Rebensaft mit Jahrgang 2021 übertroffen wurde.

Bei der Weinprobe der Zunft Höngg. (Foto: zvg)

Die traditionelle Weinprobe der Zunft Höngg am 16. Juni im Fasskeller der Firma Zweifel 1898 brachte es wieder einmal an den Tag: Johann Wolfgang Goethe bleibt eine inspirierende Quelle der Weisheit. «Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah», zitierte ihn Zunftmeister Walter Zweifel vor knapp über 100 versammelten Zünftern und Gästen, unter ihnen Stadtrat Michael Baumer.

Auf dem Programm stand die Verkostung ausgewählter Zürcher Weine. «Vielfältige Auswahl direkt vor der Haustür» hatte es vielversprechend schon im Einladungsschreiben geheissen, und tatsächlich präsentierten die Mitglieder der zunfteigenen Rebbaugruppe nicht nur vielfältige, sondern vor allem auch vorzügliche Tropfen.

Wer die Wahl hat, hat die Qual

Insgesamt stellten sie neun Weine vor, deren Auswahl Werner Flury als Obmann der Rebbaugruppe als «grosse Herausforderung» beschrieb. Im Kanton Zürich werden in fünf Weinbaugebieten mit spezifischem Mikroklima rund 100 verschiedene Weinsorten angebaut.

Flury und seine Kollegen wählten schliesslich Weine aus, zu denen sie einen besonderen Bezug haben. In ihren Erläuterungen zeigte sich nicht nur die Verbindung von Tradition und Moderne, sondern auch die internationale Vernetzung. Die meisten der Zürcher Weinbaubetriebe sind über Generationen entstanden und werden noch heute als Familienbetriebe geführt. Sie produzieren klassische Weine, aber auch eigenständige Sorten aus Einkreuzungen und mutigen Entwicklungen.

Statthalterliche Mengenbeschränkung

Zur Verkostung stand auch der Jahrgang 2021 des eigenen Zunftweins, ein Clevner aus dem Höngger Rebberg zur Klingen. Zuvor musste die Rebbaugruppe ihr jüngstes Werk jedoch dem fast unbestechlichen Statthalter der Zunft, Thomas Schönbächler, zur fast unabhängigen Prüfung vorstellen.

Was für die Zürcher Weine gilt, gilt auch für den Höngger Zunftwein: Im Weinbau kann man sich dem Einfluss der Natur nicht entziehen. Unter anderem Frostnächte im April und heftige Niederschläge im Sommer machten 2021 zu einem schwierigen Rebjahr. So konnten nur 87 statt der sonst üblichen rund 300 Flaschen gewonnen werden.

Dank einer strengen Auslese waren die geernteten Trauben jedoch von guter Qualität, und der vom Höngger Zünfter Urs Zweifel gekelterte Wein überzeugte den Statthalter: Er gab ihn frei als «herrlicher Nasenwein», den man auf Grund des geringen Ertrags vor allem mit der Nase geniessen solle.

Historische Bezüge

Auch bei der Auswahl der Ehrengäste blieb der Zunftmeister dem Motto des Abends treu. Mit Claude Lambert und Marc Hunziker hatte er die Zunftmeister der Zünfte zur Schiffleuten und Hard eingeladen, die beide einen kleinen oder grösseren persönlichen Bezug zu Höngg haben.

Auch sonst kennt man sich. Aufgrund der vom Zunftmeister bei ihrer Vorstellung dargelegten historischen Fakten muss man sich allerdings fragen, ob das differenzierte Nasenwein-Konzept des Statthalters in Zürcher Zunftkreisen wirklich trägt. So haben die Schiffleute damals vor dem Entstehen der Eisenbahn ihren Durst beim anstrengenden Transport des Höngger Weins sicher nicht nur mit der Nase gestillt.

Und auch in der Hard ging es unter anderem mit Siechenhaus, Schlacht- und Militärbetrieben konkret zur Sache, erst 1810 wurde letztmals am Galgen eine Hinrichtung vollzogen. 

Kulturelle Aneignung?

Freilich haben sich die Zeiten geändert, und damit auch das Zürcher Zunftwesen. Zunftmeister Walter Zweifel machte klar, dass bei der Zunft zur Schiffleuten heute eher Juristen und Banker am Ruder stehen und die feinen Rokoko-Kostüme der Zunft Hard keinerlei Rückschlüsse auf die profane Funktion des der damalige Stadt Zürich vorgelagerten Gebiets mehr zulassen. Inwieweit es sich dabei um kulturelle Aneignung handelt, darf dahin gestellt bleiben.

Denn auch beim Züricher Weinbau gilt: Ohne Austausch für Entwicklung und Innovation, wäre er nicht auf dem heutigen Niveau – streng genommen gäbe es ihn gar nicht.

Eingesandt von Michael Stäheli

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