Quartierleben
«Do you like rock music?»
In der Höngger Einkaufsmeile wurden in den vergangenen Tagen Passant*innen wiederholt von freundlichen jungen Herren angesprochen. Ziel war jedoch nicht primär die Kontaktaufnahme, sondern der Verkauf von CDs.
9. März 2023 — Dagmar Schräder
Sympathisch schaut er aus, der bärtige junge Herr, der da vor der Bushaltestelle des 38ers steht und Vorbeigehende ins Gespräch verwickelt. Sein Kollege steht 50 Meter weiter stadtauswärts und geht der gleichen Tätigkeit nach: CDs verticken. «Do you like rock music?» wird jede*r, der/die vorbeiläuft, gefragt. Auf Englisch oder auch auf Deutsch erklären die beiden, dass sie Mitglieder einer estnischen Heavy-Metal-Band seien und nun hier ihre CDs verkaufen würden. Man könne dafür bezahlen, was man wolle.
«California Condor» heisst die Band, das Cover sieht interessant aus. Die Marketingstrategie überrascht – und irritiert ein wenig. Schliesslich kauft man hier sozusagen die Katze im Sack, es besteht keine Möglichkeit, in die CD reinzuhören, bevor sie erstanden wird. Doch aus Sympathie könnte man glatt versucht sein, der Sache eine Chance zu geben und aufs Gratwohl eine CD zu kaufen. Schliesslich brauchen junge Musiker auch ein bisschen Unterstützung.
Das dachte sich auch der Höngger Laurenz D., der den Musikern im Januar an ebendiesem Ort begegnet ist und eine CD erstanden hat. Musikalisch sei sie nicht zu gebrauchen, sagt er rückblickend sichtlich enttäuscht. Das sei natürlich Geschmackssache. Aber es stelle sich die Frage, ob die Geschichte, welche die jungen Herren ihren potentiellen Kund*innen auftischen, überhaupt wahr ist. Oder handelt es sich beim Verkauf um einen Trick? Gibt es die Band überhaupt?
Verwirrende Informationen
Wenn man Band und Cover im Internet googelt, stösst man auf eine Fülle an Informationen. Weniger über die Musik, als über die gelinde gesagt ungewöhnlichen Promotions-Strategien der Band. «California Condor» hiess früher mal «Illumenium», das ergibt die Online-Recherche. Und davor «Defrage». Wer genau zu den Musikern gehört, ist etwas undurchsichtig, vor allem nachdem die Besetzung bereits mehrmals gewechselt hat. Die Website der Gruppe ist da nicht besonders aufschlussreich.
Jedenfalls scheint die estnische Band viel oder gar ausschliesslich unterwegs zu sein: Sie bezeichnet sich selbst als eine «all time touring band». Das würde sich mit den Erfahrungen decken, die Laurenz und unzählige weitere Passant*innen gemacht haben: So ist aus allen möglichen Kleinstädten der Schweiz und Deutschland und deren Lokalmedien zu erfahren, dass die Musiker hier aufgetaucht seien und auf Parkplätzen und vor Einkaufszentren ihre Tonträger an die Frau und den Mann zu bringen versucht hätten.
Ob es sich bei den jungen Männern tatsächlich um Bandmitglieder handelt oder eher um «Promoter», die gegen Bezahlung versuchen, die CDs zu verbreiten, bleibt aktuell unklar. Angesichts der Häufung der Meldungen ist es jedoch ziemlich wahrscheinlich, dass es sich um eine grössere Anzahl von Personen handelt, die dieser Tätigkeit nachgehen.
Bezüglich der Musik sind die Meinungen durchaus geteilt – nicht alle Zuhörer*innen sind von den Songs gleichermassen enttäuscht wie Laurenz D.: Auf der Facebook-Seite finden sich durchaus Fans, die die Arbeit der Band schätzen. Und auch ein paar Konzertdaten werden auf der Website der Band bekanntgegeben. Demnach spielen sie im Juni dieses Jahres in Weimar, im August in Leitersdorf, Österreich und im Oktober in Landshut in Deutschland.
Die Band ist also tatsächlich existent. Die Songs auf den CDs allerdings, die hier unter den verschiedenen Namen verkauft werden, sind nicht wirklich neu. Und ganz legal ist die Verkaufsstrategie auch nicht: In der Schweiz ist der Verkauf von CDs auf der Strasse ohne Bewilligung nicht erlaubt.
3 Kommentare
Alex
21. August 2023 — 13:31 Uhr
Die gesamte Gruppe besteht aus professionellen Betrügern. Etwa 10-15 Personen reisen in zwei Bussen von Stadt zu Stadt, ebenso wie zu Festivals und Veranstaltungen, um dort ihre minderwertigen CDs zu verkaufen. Die potenziellen Kunden werden förmlich dazu gedrängt, eine oder mehrere dieser CDs zu erwerben. Anfangs mögen sie freundlich sein, aber sie können auch zudringlich werden. Wenn die Verkäufer auf ihre betrügerische Vorgehensweise angesprochen werden, reagieren sie schnell aggressiv. Daher empfiehlt es sich am besten, die Polizei zu informieren und nicht eigenständig auf die Leute zuzugehen.
Luca
21. August 2023 — 21:28 Uhr
Tatsächlich wurde ich heute auch angesprochen in der Duisburger Innenstadt, NRW, DE. Der junge Mann war ausgesprochen freundlich (es ist tatsächlich einer der Bandmitglieder gewesen (zu sehen im neuesten Track ihres YT-Kanals, der mit der Brille *auf* dem Hut)). Wir hatten ein kurzes Gespräch, die Punkte oben sind alle so gefallen: Junge Band aus Estland (auf den aktuellen Alben wird auch damit geworben), sie spielen hauptsächlich Metal mit Hip/Hop bzw Rap Einfluss, sind «dauerhaft» «on tour» (was ich eher als «Um die Häuser ziehen» als «Auf Tournee» interpretiert habe). Als ich fragte was er für das Metal Album haben wolle kam auch das «Jeder soll zahlen was es möchte».
Hab nen 10er rausgegeben, er hat sich sehr artig bedankt und mich direkt zu seiner Partnerin herübergebeten sodass ich mir den QR-Code für das Album direkt fotografieren/aktivieren kann (noch nicht ausprobiert).
Sie hat sich ebenso bedankt und wir sind unserer Wege gegangen.
Also betrug ist das nicht. Man hat mir ein Metal Album für den Preis eines Metal Albums verkauft. Zumindest «Chapter 3» ist auch ordentlich gepresst, die (Audio-)Qualität gut, die Mukke gefällt mir persönlich auch.
Tatsächlich kann ich aber sagen das es *nicht* die erste Metalplatte ist die ich von Esten auf der Straße gekauft habe. Im Urlaub in Tallin haben mich mehrere Bands in dieser Weise angesprochen – es scheint also vielleicht einfach normal da zu sein und wird als weniger aufdringlich empfunden. Aber vielleicht nicht die beste Verkaufsstrategie in West-Europa.
Timo
17. September 2023 — 01:13 Uhr
Die Jungs sind jetzt gerade in Kerns OW unterwegs!