Guter Zweck oder gutes Geschäft?

Im «Tages-Anzeiger» vom 7. Oktober wurde thematisiert, dass Altkleider, welche in einem Container mit Hilfswerk- Logo landen, nicht an Bedürftige verschenkt, sondern verkauft werden. Dass dies nicht überall so ist, erzählt der Höngger Jakob Albisser von der Stiftung Osteuropamission, für welche er und seine Frau Kleider und andere Hilfsgüter sammeln.

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Jakob Albisser mit einem gespendeten Altkleidersack vor dem Anhänger der Stiftung Osteuropamission.
Nelly Albisser hat ein Herz für Tiere und sorgt sich auch um diese, wenn Hilfe nötig ist.
Eine pflegebedürftige, rumänische Seniorin ist froh über die mitgebrachten Grundnahrungsmittel.
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«Der Altkleidermarkt ist ein interessanter Wirtschaftszweig, der auch vom Irrtum seiner Spender lebt», schreibt der «Tages-Anzeiger». In Kleidercontainern eingeworfene Kleider würden nämlich nicht an arme Bergbauernfamilien oder Bedürftige in Entwicklungsländern verschenkt, sondern an internationale Grosshändler verkauft. Am Schluss würden sie auf Secondhand-Märkten in Osteuropa und Afrika landen, klärt der Artikel auf.

Anonyme Quelle erzählt dem «Höngger», wie es läuft

Wie eine anonym bleibend wollende Quelle, die selbst Sammelware nach Afrika exportiert, dem «Höngger» berichtete, gelangen viele der gesammelten Textilien zuerst nach London auf einen – wie die Quelle sagt – illegalen Schwarzmarkt. Dort werden sie nach drei Qualitäten sortiert und dann für 1.50, 2 oder 2.50 Euro pro Kilogramm verkauft, oftmals an weitere Zwischenhändler, welche die Waren dann nach Afrika verschiffen und dort an weitere Händler verkaufen. Wer in dem Geschäft jedoch clever sei, der verschiffe die verkaufte Ware nicht nur gleich in Containern mit mehreren Tonnen Inhalt selbst nach Afrika, sondern bringt sie dort auch selbst – zum doppelten bis dreifachen Preis pro Kilo oder gar als noch teurere Einzelstücke – auf die lokalen Märkte oder in eigene kleine Läden. So kann es sein, dass eine ursprünglich gespendete Jeans im Endeffekt für mehrere Euro in Afrika verkauft wird. Kurz gesagt: Auf dem Weg von der Sammelstelle in der Schweiz, wo Alttextilien oft im Glauben an einen karitativen Zweck abgegeben werden, bis zum Endkunden kassieren mehrere Organisationen und Händler kräftig mit. Gratis ist für die Bedürftigen nichts.

Wo Kleider direkt zu den Bedürftigen gelangen

Dass dies nicht überall so ist, erklärt Jakob Albisser, Vizepräsident der Stiftung Osteuropamission, dem «Höngger»: «Alles, was die Stiftung Osteuropamission, kurz OEM, sammelt, wird direkt an Bedürftige verteilt.» Seit rund 23 Jahren sind er und seine Frau Nelly ehrenamtliche Mitarbeitende bei der Stiftung, und seit genau so langer Zeit bringen sie unter dem Namen «Hilfe, die ankommt » jährlich selbst für die OEM Kleider und weitere Güter nach Rumänien. «Von der Schweiz aus bringt die OEM in Länder wie Rumänien, Ukraine, Ungarn, Serbien, Kosovo und Albanien Güter. Ein kleinerer Teil geht auch nach Tschechien und in die Slowakei.»

Das ganze Jahr über Kleider in Höngg spenden

Das Ehepaar Albisser organisiert seit vielen Jahren nicht nur die beiden Kleidersammeltage, welche jeweils im November stattfinden (siehe Infobox), sondern ist auch unter dem Jahr eine der beiden OEM-Annahmestellen für Kleider in der Schweiz. «Man kann uns jederzeit an der Hohenklingenstrasse 21 gut erhaltene, saubere Kleidung in Abfallsäcken oder stabilen Kartonschachteln verpackt vor die Haustüre stellen», informiert Jakob Albisser. Unter «gut erhalten» versteht er Kleidung, die man, abgesehen von modischen Trends, auch selbst noch tragen würde. Nachdem die in Höngg gesammelten Kleider ins Zentrallager der OEM in Bülach geliefert werden, wird Anfang Dezember ein Sattelschlepper voll Kleidung ins OEM-Hauptzentrum nach Ungarn in der Nähe von Bukarest gefahren. «Dort wird die Hälfte ausgeladen, die andere Hälfte wird weiter nach Rumänien geliefert – dort nehmen meine Frau und ich die Lieferung entgegen, nachdem wir mit unserem Privatauto und unserer Hündin Tirza angekommen sind.» Seit über zwanzig Jahren fahren Nelly und Jakob Albisser für zweieinhalb Wochen gegen Ende Dezember bis Anfang Januar nach Rumänien, um die gesammelten Kleider sowie Grundnahrungsmittel gleich selbst Bedürftigen zu verteilen. «Dies ist kein Ferienlager für uns, wir sind jeden Tag unterwegs und verteilen in teils abgelegenen Bergdörfern Kleider und Grundnahrungsmittel, welche die Bevölkerung bitter nötig hat», so Jakob Albisser.

Keine Arbeit = kein Geld = kein Geld = kein Krankenhausaufenthalt

Mit einem gemieteten Anhänger, einer Übersetzerin und einem Pastor geht es nun jeden Tag zu sechs bis acht Familien und betagten Menschen. «Besonders in der Winterzeit sind viele Menschen arbeitslos, da sie auf dem Bau und in der Landwirtschaft arbeiten, wo in den Wintermonaten Arbeitsmangel herrscht.» Anders als in der Schweiz gäbe es keine Arbeitslosen- und Krankenversicherung: Wer keine Arbeit hat, hat kein Geld, und wer kein Geld hat, wird in den Krankenhäusern vielfach schlecht oder nicht behandelt. «Obwohl Rumänien Mitglied der EU ist, hat sich nicht vieles zum Besseren verändert. Es gelten zwar die EU-Standards für viele Dinge, welche nun teurer geworden sind, die Löhne sind jedoch die gleichen wie früher. Es gibt keinen Mittelstand, man ist entweder reich oder arm. Die Sorgen drehen sich um Arbeit, wie man sich am nächsten Tag ernähren kann und ob man das eine Zimmer im Haus auch weiterhin heizen kann – ganz zu schweigen von Krankheiten, die unbehandelt meist schlimmer werden.»

Vor Ort Grundnahrungsmittel einkaufen

Am ersten Tag ihrer Ankunft kaufen die Albissers auch gleich etwa zehn Einkaufswagen voller Grundnahrungsmittel in einem Discounter vor Ort ein. Reis, Teigwaren, Kartoffeln, Zucker, Öl, Mehl, Früchte sowie Hygieneartikel und Waschmittel füllen eine Kartonkiste, die eine Familie zusätzlich zu den Kleidern erhält. Der Pastor ist mit dabei, weil er die Leute in der Region kennt und weiss, wer wirklich auf die Hilfsgüter angewiesen ist. So werden die Sachen nicht einfach verteilt, sondern Familien unvorangemeldet besucht, die Not haben und am Hungertuch nagen. «Zu 99,9 Prozent sind immer alle zuhause, da man keine Arbeit hat und es draussen kalt ist. Es ist üblich, dass nur ein Raum des Hauses oder der Hütte geheizt ist, zu mehr reicht das Geld für Brennholz nicht – es gibt nur einen Ofen, der zugleich als Kochstelle dient.» Auch dass drei Personen in einem Einzelbett schlafen, sei alltäglich: «So kann man sich zudem noch etwas wärmen.» Im Gespräch mit den Familien fi nden die Albissers jeweils viel über die aktuelle Lebenssituation heraus: Hat die Familie Schulden, hat jemand ein Alkoholproblem, braucht es Brennholz, sind die Kinder gesund – all dies will geklärt werden. «Wir helfen nicht mit verklärtem Blick, sondern mit weisen Entscheiden – dies kann auch mal heissen, dass wir die Nahrungsmittel dem Nachbarn der Familie zum Aufbewahren geben, so dass er sie rationiert abgibt, damit der Mann der bedürftigen Familie das Essen nicht verkauft und sich mit dem Geld Alkohol beschafft.»

Missionierungsgedanke nicht Priorität

Obwohl die Stiftung Osteuropamission das Wort «Mission» im Namen trägt, wird bei den Bedürftigen nicht missioniert. «Wir geben allen Bedürftigen unsere Güter. Wer nachfragt, dem erklären wir, aus welchem Grund wir das machen, und es gibt sogar viele Menschen, die wünschen, dass wir für sie beten – das machen wir zusammen dann auch», so Jakob Albisser. Für ihn und seine Frau als Gläubige sei es die Nächstenliebe, die sie beide dazu antreibe, Armen zu helfen. «Die Verteilung unserer Güter ist in keinem Fall an eine Missionierung gekoppelt.» Mit den gespendeten Kleidern Geld zu verdienen, stehe nicht zur Diskussion: «Die Osteuropamission hat einen ganz anderen Gedanken. Wir wollen den Leuten gratis helfen und ihnen mit unserer Hilfe eine Perspektive im Leben geben. Mit unseren finanziellen Spenden helfen wir, diverse Projekte zu realisieren. » Ausserdem sei die ganze Kette klar ersichtlich: Die Kleider würden gratis gespendet, gratis ins jeweilige Land eingeführt, gratis an Bedürftige gegen Unterschrift abgegeben und diese Unterschriften bei Bedarf den Zollbehörden gezeigt. «Wenn wir mit zehn Tonnen Kleidern am Zoll eingefahren sind, müssen wir für diese dann auch die Unterschriften vorzeigen können, mit welchen die Leute bestätigen, von uns kostenlos Güter oder in Einzelfällen Geld erhalten zu haben.» Die anderen Kleider, die vom OEM-Hauptlager in Ungarn aus in diverse östliche Länder verteilt werden, gelangen auf Dorfplätzen und Kirchen zu Bedürftigen. Auch dort wird genau abgeklärt, ob jemand zum Bezug berechtigt ist: «So wird sichergestellt, dass niemand einfach Kleider holt, um sie dann zu verkaufen – denn das ist nicht der Sinn hinter dem Engagement der OEM», erläutert Jakob Albisser, der mit seiner Frau in all den Jahren bei der rumänischen Bevölkerung viel Leid gesehen hat.

1 Kommentare


C. Starck

21. Februar 2024  —  11:30 Uhr

Es ist nie zu spät zum Danken, so bedanke ich mich für ihre schön gestaltete Weihnachtskarte und Wünschen. Die Karte hatte sich unter anderen Dokumente versteckt.
Mit freundlichen grüssen . C.S.

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