Glück kennt kein Verfalldatum

Alt werden und alt sein: Beides gilt in unserer Gesellschaft als nicht be­sonders erstrebenswert. Dabei kann gerade das Alter viel mit Glück zu tun haben. Der Theologe, Ethiker und Gerontologe Dr. Heinz Rüegger erklärte in seinem Vortrag in Höngg, was es braucht, um mit Zuversicht älter zu werden.

Glück im Alter muss nicht selten sein. (Symbolbild: Freepik.com)

«Ge-GLÜCK-tes Altern» lautete das Motto des Nachmittags. Untertitelt mit: «Von der Kunst, im Alter Glück zu finden». Eingeladen hatte der reformierte Kirchenkreis zehn Mitte Mai in das Kirchgemeindehaus Höngg. Rund 25 Personen, viele davon bereits im gesetzten Alter, folgten der Einladung. Suchten sie alle das Glück? «Ich bezeichne mich als glücklich», meinte eine Besucherin im Vorfeld gegenüber dem «Höngger». Und ergänzte: «Aber man ist nicht jeden Tag glücklich, manchmal gelingt es, manchmal nicht.» Vielleicht, so hoffte sie, erhalte sie ein paar gute Tipps.

Zunächst begrüsste zum Auftakt der Sozialdiakon Peter Lissa die Anwesenden. Er hatte den Themennachmittag organisiert. «Glück kann man nie genug haben», sagte er und das erste Schmunzeln ging durch den Zwinglisaal. Dann übernahm Dr. Heinz Rüegger das Wort. Seine Botschaft: Auch im Alter lässt sich Glück erfahren. Und das sei weder Schicksal noch Glückssache. Man könne sehr wohl etwas dafür tun.

Dr. Heinz Rüegger. (Foto: Monika Stock)

Acht Anregungen

Wie das gelingen kann, zeigte Rüegger anhand von acht Anregungen. Zunächst sei es entscheidend, das Alter zu bejahen und das Älterwerden anzunehmen – fernab der gesellschaftlich oft negativ geprägten Bilder. Dazu zeigte er die Zeichnung «Die Lebenstreppen des Mannes» (um 1850), die das Leben in zehn Stufen gliedert: Mit 50 sei Stillstand erreicht, dann gehe es bergab, so die Aussage der Zeichnung. Von solchen Vorstellungen müsse man sich lösen, sagt Rüegger. «Es geht nicht darum, möglichst lange jung zu bleiben, sondern selbstbewusst und offen für Neues alt zu werden.»

Ein Beispiel brachte er gleich mit: «Wenn Ihnen jemand sagt, Sie sehen zehn Jahre jünger aus, dann ist das kein Kompliment», erklärte er. Die passende Reaktion sei schon eher: «Wollen Sie mir meine gelebten zehn Jahre absprechen?». Denn in dieser Zeitspanne sei viel Wertvolles erlebt und gelernt worden.

Reifung und Lebenszufriedenheit

Rüegger geht bei seinen Anregungen von einem gesunden älteren Menschen aus. Dies vorausgesetzt, könne durch Reifung und Altersweisheit eine besondere Zufriedenheit entstehen. Wichtig sei, sich von starren Vorstellungen zu lösen und offen zu bleiben. «Es gibt keine Garantie, kein Versprechen. Also fördern Sie keine fixen Erwartungen darüber, wie das Alter sein müsste.» Ein zentraler Gedanke: «Glück gibt es nur zusammen mit Unglück.» Das Leben halte beides bereit. Doch selbst in schwierigen Zeiten könne man Glücksmomente wahrnehmen, nicht zuletzt dank Lebenserfahrung.

Oft bleibt das Negative länger im Gedächtnis als das Positive. Hier helfen bewusste Erinnerungen. «Verdrängen Sie nicht und setzen Sie lieber die Glücksbrille auf», riet Rüegger. Ein biografischer Rückblick helfe: Welche Zeiten waren von Glück geprägt? Warum war das so? War es verdient oder unverdient? Die Dankbarkeit, die dabei entstehe, fördere ein gutes Lebensgefühl.

Doch Glück finde man nicht nur im Rückblick. Es sei auch beglückend, sich für andere Menschen oder eine Sache einzusetzen. Etwa durch Freiwilligenarbeit oder die Unterstützung der Jüngeren. «Es müssen keine grossen Dinge sein, aber es lohnt sich, die eigene Bedeutsamkeit bis zum Schluss aufrechtzuerhalten.»
Auch Beziehungen seien ein Glücksfaktor. Besonders im Alter, doch auch sie erfordern Arbeit: Interesse, Toleranz, Akzeptanz und Nachsicht: «Es stimmt nicht, dass früher alles besser war», sagt Rüegger.

Das pure Dasein

Bevor man aber rastlos durch den «goldenen Herbst» hetze, gelte es, empfänglich zu sein für das pure Dasein. Innehalten, Ruhe geniessen, sich selbst Zeit schenken. Ein Tag ohne To-dos? Kein Grund für ein schlechtes Gewissen. Schliesslich sprach Rüegger über die Kunst des Loslassens: von Überzeugungen, Aktivitäten, Positionen oder dem Anspruch auf Kontrolle. Nicht überall müsse man mitmischen. Man solle anderen den Vortritt lassen und nicht auf starren Standpunkten beharren. Daraus wachse eine innere Freiheit.

Mit Leidenschaft

«Ich bin leidenschaftlich gerne alt», sagte Rüegger während seines Vortrags. Dem «Höngger» erklärte er später, was er damit meint. Zum einen sei es sein Beruf: Er habe 25 Jahre in der Gerontologie gearbeitet und sich intensiv mit den Fragen des Alters auseinandergesetzt. Zum anderen aber auch die persönliche Erfahrung: «Mit der Pensionierung begann ein neuer Lebensabschnitt und ich suchte einen neuen Zugang zum Leben.» Die Analyse des eigenen Daseins empfand er als bereichernd: «Ich wusste, ich muss aktiv werden und mich einbringen.» Rüegger erwähnt weiter auch eine Krebserkrankung, die seine Sicht der Dinge ebenfalls beeinflusste. Heute sei er genesen und wisse daher zusätzlich, wie grossartig das Leben sein könne.

Die Reaktionen auf seine Vorträge seien durchweg positiv, erzählte er weiter – so auch an diesem Nachmittag in Höngg. Die Menschen sind stets offen für das Thema Glück. Gerade in einer Lebensphase, in der Altersdiskriminierung – auch die selbst auferlegte – ein Thema sei. «Wer sich zurückzieht, sich nostalgisch verhält, verliert oft den Zugang zum Glück.» Deshalb müsse man selbst aktiv werden. Von nichts komme eben auch nichts.

Im Fokus: Wertvolle Jahre

Der «Höngger» veröffentlicht auch in diesem Jahr verschiedene Artikel, die sich der Lebensrealität von betagten Menschen widmen. Diese Reihe entsteht mit freundlicher Unterstützung der Luise Beerli Stiftung, die sich für solche Menschen stark macht.

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