Quartierleben
«Gekündigt, bevor ich den Chef erwürgt hätte»
Autor Charles Lewinsky durfte sich an seiner Lesung im Fasskeller der Weinkellerei Zweifel über ein ausverkauftes Haus freuen: Am Sonntag las er aus seinem neuen Roman «Gerron» vor und stand Forum-Präsident François Baer Red und Antwort.
19. Januar 2012 — Redaktion Höngger
Kurz vor fünf Uhr abends, im Fasskeller wird rege geplaudert. Freie Sitzplätze hat es keine mehr. François Baer erzählt dem «Höngger», dass die Literarische Soirée mit Charles Lewinsky ein Erfolg ist: Bereits im Vorverkauf gingen siebzig Tickets weg, die restlichen dreissig an der Abendkasse. Als Charles Lewinsky, locker in Jeans und Turnschuhe gekleidet, den Raum betritt, wird herzlich applaudiert – und dies notabene, bevor der bekannte Autor ein Wort gesagt hat. François Baer erklärt, dass dies bereits «die siebte oder achte Autorenlesung des Forums Höngg» ist, und man sich von Mal zu Mal steigere. «Charles wollten wir seit drei Jahren hier haben, doch er hat so viele Termine, dass es erst jetzt gereicht hat.»
Vertrautes Du hat einen Grund
Wer sich wundert, wieso François Baer den Autor vertraulich beim Vornamen nennt, erfährt Überraschendes: Die beiden gingen in jungen Jahren, 1959, zusammen ins Schulhaus Bühl B und sind demnach alte Schulkollegen. «Ich erinnere mich, dass Charles nicht so gerne rechnete und am Samstag nicht ins Turnen musste – auf Letzteres war ich schon etwas neidisch», so Baer. Doch die Zeit vergeht, und man wird nicht jünger. «In zwanzig Jahren erhältst du sicher einen Preis für dein Lebenswerk», witzelt der Forum-Präsident. Trocken erwidert Lewinsky: «Wänns mi dänn no usem Altersheim uselönd…». Auf die Frage, wie er sich organisiere, meint der Vielschreiber: «Meinst du früher oder heute? Denn das ist ein gewaltiger Unterschied. Am Anfang hatte ich ein Chaos. Aber das ist auch gut so, ein bestens organisierter 19-Jähriger ist doch ein Schreck!» Heute sei er organisiert, denn in seinem Alter, er wird im April 66 Jahre alt, sollte man dies schon sein, meint er mit einem Schmunzeln.
Schreiben ist wie eine Krankheit
Geschrieben habe er schon immer: «Das ist wie eine Krankheit – wenn man den Bazillus hat, dann hat man ihn.» Seit 25 Jahren ist Lewinsky selbständig tätig, denn ansonsten hätte es sein können, dass er «wegen Erwürgen eines Chefs» im Gefängnis gelandet wäre: «Ich hatte eine Stelle beim Schweizer Fernsehen und erhielt einen neuen Chef. Nach dem ersten Gespräch mit ihm schrieb ich gleich meine Kündigung. Und seither bin ich freier Autor.» Mit seinem trockenen, wachen Humor sorgt er immer wieder für Lacher im Publikum. Seine Aussagen haben immer etwas Wahres und einen ernsten Kern: Er habe lang auch die leichte Muse bedient, sagt François Baer zu seinem ehemaligen Schulkollegen. «Ja, man möchte doch möglichst nicht nur Brot auf dem Tisch, sondern auch etwas Butter auf dem Brot», erklärt Lewinsky seine Auftragsarbeiten, welche er nicht zu seinem persönlichen Vergnügen schrieb.
Ernstes Thema macht nachdenklich
Ernster wird es, als der Autor aus seinem neuen Buch «Gerron» zu lesen beginnt. Es handelt vom jüdischen Schauspieler Kurt Gerron, der ins Ghetto von Theresienstadt – der Vorhölle von Auschwitz − deportiert wurde und dort entgegen seiner innersten Überzeugung einen Propagandafilm im Auftrag der Nazis drehen musste. Die ersten Zeilen packen einen bereits, es ist so still im Fasskeller, dass man sich kaum traut zu atmen. Kurt Gerrons Leben scheint sich direkt hier abzuspielen, seine Bedenken und Ängste sind spürbar, so genau erzählt der Autor seine neue Geschichte, welche viel Wahres beinhaltet. Dass der Roman «Gerron» ankommt, sieht man am Ende der Veranstaltung: Charles Lewinsky muss nicht wenige Romane signieren. Den Besuchern gibt er gleich noch mit auf den Weg, dass die Buchpreisbindung wichtig sei, wollten sie auch in Zukunft noch Bücher kaufen können.
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