Für eine offene und glaubwürdige Kirche

Seit dem 1. August ist Andreas Beerli neuer Pfarreibeauftragter der Pfarrei Heilig Geist. Der «Höngger» unterhielt sich mit ihm über seine Ziele, über sein Kirchenverständnis und seine Spiritualität.

Andreas Beerli, der neue Pfarreibeauftragte der Pfarrei Heilig Geist.

Wäre Andreas Beerli Lehrer, dann würde man von einem «spätberufenen Quereinsteiger» sprechen. Gerecht würde man dem heute 50-Jährigen, der zuerst Drogist lernte, die Meisterprüfung ablegte und einige Jahre die Drogerie im Einkaufszentrum Letzipark leitete, bevor er sich mit knapp 30 Jahren noch für ein Theologiestudium entschied damit nicht, denn der Kirche stand er schon immer näher als mancher Schüler dem Lehrerberuf. Neben der Kirche in Urdorf aufgewachsen, erlebte er «Kirche» immer als etwas Normales, Alltägliches und vor allem Positives. Er ministrierte, besuchte Gottesdienste und sang Spirituals mit, engagierte sich in der Pfadi URO, wo er mit dem Pfarrer am Lagerfeuer sass und das Glück hatte, Religionslehrer zu erleben, die nicht Dogmen predigten, sondern Lebensfragen der Jugendlichen diskutierten. Sein Kirchenbild bestand seit jeher, so Beerli, nicht aus einengenden Gesetzen und Vorschriften, sondern ist lebensbejahend und öffnend.

Das Fundament der Kirche

Nun ist er also Pfarreibeauftragter in Höngg. Nicht Gemeindeleiter wie seine Vorgängerin Isabella Skuljan – deren Engagement er lobt und estimiert. Es ist zwar dasselbe Amt, aber die Bezeichnung wurde im ganzen Bistum geändert. Beerli hat sich gegen den Zölibat und für seine Frau entschieden, mit der er seit fünf Jahren verheiratet ist und in Thalwil wohnt. Aus katholischer Kirchensicht ist er also ein «Laie». Doch das zweite Vatikanische Konzil wertete deren Stellung auf. Für Beerli ein Erfolg, um den er auch in den aktuell wieder aufgeloderten Diskussionen nicht bangt: «Momentan erleben wir, dass das Pendel massiv in die andere Richtung schlägt, aber auf lange Sicht wird die Katholische Kirche nicht hinter das zweite Vatikanische Konzil zurückkönnen», ist er überzeugt. Die Entwicklung, dass Laien sich in der Kirche stärker eingeben, mittragen und in die Verantwortung eingebunden sind, lasse sich nicht rückgängig machen, und dies nicht nur aus Gründen des Priestermangels, sondern weil diese Laien das Fundament der Kirche seien. Dieses dem kirchlichen Urgedanken verpflichtete Verständnis, dass man selbst mitträgt und Kirche ist, wird auch in der Pfarrei Heilig Geist gelebt, was für Beerli mit ein Grund war, hierherzukommen. Über viele Wege hatte er Gutes über Höngg gehört und auch der Umstand, dass die hiesige Pfarrei seit vielen Jahren von Gemeindeleiterinnen geführt wurde – für eine stadtzürcherische Pfarrei eher die Ausnahme –, zeigte ihm die moderne Ausrichtung dieser Gemeinde. Selbst im Bau der nächstes Jahr 40-jährigen Kirche scheint diese Offenheit durch: «Sie ist ‹nachkonziliär›, nicht einfach zwei Kirchenbankreihen und ein Altar, sondern ein Halbrund prägen den Raum. Das ist ein anderer Zugang und das spiegelt sich auch im Tun hier», konstatiert Beerli.

Eine offene, vernetzte Kirche

Und für dieses Tun ist er nun mitverantwortlich und will es mitprägen. Wichtig dabei ist ihm die Vernetzung im Quartier, vor allem mit der Reformierten Kirche und den vielen anderen Gruppierungen. In erster Linie soll die Pfarrei Heilig Geist als offene Kirche wahrgenommen werden. Eine mit der man sprechen kann, wo man sich verstanden fühlt, die Gemeinschaft lebt und die ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellt und öffnet für alle möglichen Gruppierungen: «Wir wollen Gastfreundschaft leben, denn Gemeinschaft ist nicht nur etwas, worüber man spricht, sondern etwas, das man fördert», so Beerli. Seine eigene Rolle versteht er dabei nicht als Leader, sondern als Impulsgeber, Begleiter und Motivator. Nicht primär was er wolle zähle, sondern was der Gemeinde wichtig ist: «Wir müssen uns gemeinsam entscheiden, wo wir unsere Ressourcen einsetzen. Wenn uns zum Beispiel Jugendförderung wichtig ist, dann stellen wir dafür Räume, Gelder und Personal bereit.» Doch auch Diakonie, das Dienen, ist dem neuen Pfarreibeauftragten wichtig. Ganz im Sinne von Bischof Gaillot, der sagte «eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts», soll «seine» Pfarrei auch eine für Menschen am Rande der Gesellschaft sein. So ist er denn auch seit 15 Jahren jede Woche einen halben Tag als Gefängnisseelsorger unterwegs. Seelsorge und die Begleitung von Menschen in schwierigen Situationen ist ihm ein zentrales Anliegen. In einer Zeit, in der man bei Seelenschmerzen zuerst an den Gang zum Psychologen oder den Griff in den Medizinschrank denkt, ist Seelsorge für Beerli ein Prozess, der manchmal fast unbemerkt beginnt: über Beziehungen, auf die man sich zuerst einlassen muss, in Begegnungen und Gesprächen. Wo so Beziehungen entstehen durften, könne später, wo nötig, auch Seelsorge geboten werden. «Seelsorger sein bedeutet hellhörig zu sein», ist er überzeugt, «denn manchmal sind wichtige Themen in Nebensätzen verborgen. Und nur aufmerksame Gesprächspartner werden vielleicht auch Ansprechpartner.» Ja, Beerli ist sich bewusst, dass heute niemand mehr mit seinen seelsorgerischen Problemen zu ihm kommt, bloss weil er eine Pfarrei leitet. Wie auch kaum noch jemand zum Pfarrer geht, bloss wegen dessen Amt. Diese Zeiten sind vorbei. «Heute», so Beerli, «geht es in erster Linie um Glaubwürdigkeit, nicht um Glaubensmodelle.» Als das Aufnahmegerät bereits abgestellt ist, kommt Andreas Beerli noch auf Spiritualität zu sprechen. Für ihn ist sie ein Bedürfnis, eine Sehnsucht, schlummernd in jedem Menschen. Fast zum Modewort verkommen und von Esoterikern vereinnahmt, fragt er sich: «Was geht in die Tiefe? Woraus lebe ich? Wo ist der göttliche Anteil in mir und meinem Gegenüber?» Und da biete die Kirche einen grossartigen Schatz, eine wunderbare Botschaft der «Entschleunigung», angesammelt über die letzten 2000 Jahre, ja sogar über das Christentum hinaus: «Dass der Mensch nicht nur aus Erfolg und Machtstreben besteht, dem äusserlichen Weg, sondern auch aus dem inneren Weg, jenem, der zu sich, zum Mitmenschen und zu Gott führt.»

Zu sich selber Sorge tragen

Beerli nennt Spiritualität sein Steckenpferd, denn er könne nur Seelsorger sein, wenn er auch zu sich selber Sorge trage. Deshalb nimmt er sich selbst Zeiten der Stille. Früh am Morgen, was ihm wie ein Vorzeichen zum Tag setze, und auch unter Tag halte er inne. Wie in den Klöstern, wo der Arbeitstag immer wieder vom Gebet interpunktiert wird, verbindet er sich mit seiner Quelle. «Aus dieser Mitte leben wir», sagt er, um dann einen Transfer in den Alltag seines Gesprächspartners, des Redaktionsleiters, zu machen, der diesen nachdenklich stimmt. «Als die Jünger Jesu fragten, wo er wohne, antwortete er: Kommt und seht – vielleicht sollten wir auch so leben und wirken, dass sich andere fragen, woraus wir leben. Dass sie neugierig werden, hingehen und sehen wollen.» Dieses «Kommt und seht» erlebe er, wenn Jugendliche ihn fragen, warum er in der Kirche arbeite. Dann könne er antworten, dass er die Marktwirtschaft auch kenne, dort gearbeitet habe. Und ja, klar könne man dort vielleicht reich werden, aber sein Innerstes lerne man nicht kennen, in der Kirche, im Glauben jedoch schon. So sind Spiritualität und Glaube für Andreas Beerli eine Konstante der menschlichen Entwicklungsgeschichte, die sich nicht wegdiskutieren lässt. Der Mensch wisse, dass sie hier sei: «Wenn es mir gelingt, diese Sehnsucht nach dem Glauben wieder zu wecken, dann ist das gut. Auf welchem Weg diese Sehnsucht dann erfüllt wird, ist nicht unbedingt meine Aufgabe – da kennt Gott unzählig viele Wege, um uns dem Leben näherzubringen.»

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