Fest im Sattel, stark in den Pedalen

Das Ortsmuseum Höngg zeigt zurzeit die Geschichte von vier Vereinen, darunter auch die des Radfahrer-Vereins Höngg. Dieser feiert in diesem Jahr sein 95-jähriges Bestehen.

Anlässlich des Besuchs der «Ausstellung Dorfvereine», insbesondere des RV Hönggs: Ferdi Koller (Vizepräsident RVH; ehem. Elitefahrer Strasse und MTB), Ruth Bergmaier (ehem. Rechnungsführerin), René Hilpertshauser (J+S-Trainer Höngger Bike Kids / Velo Lukas Bike Team), Hermine Krebs (Witwe von Volkmar, ehem. Schweizermeister Mannschaft Strasse), Koster Josef, Giuseppe Santini (ehem. Tourenchefs), Bruno Schmid (ehem. Schweiz. Bergmeister Senioren), Walter Bucher (ehem. Weltmeister Steher, Sechstagerennikone und Schweizermeister), Marianne Schaad (Partnerin von W. Bucher), Felix Koller (ehem. Elitefahrer und Berufsfahrer, mehrfacher Sieger Strasse & Bahn), Walter Kälin (Fähnrich RVH), Guido Bergmaier (Präsident RVH), Lukas Staub (Patron der Höngger «Bike Kids RVH» / Velo Lukas).
Fredy Rüegg, Sieger Tour de Suisse 1960
1/3

Leidenschaftliche Radfahrer aus Höngg, darunter der Sigrist und Schuhmachermeister Albert Kömeter, beschlossen im Jahr 1923 einen Radsportverein zu gründen und nannten ihn «Velo Club Radio Höngg», in Anspielung auf die weitum bekannten Radiotürme auf dem Hönggerberg. Heute zählt der Verein, inzwischen umgetauft zu «Radfahrer-Verein Höngg», 220 Mitglieder, darunter über 60 Jugendliche zwischen acht und 15 Jahren. Dazwischen liegen glanzvolle Jahre mit zahlreichen Meistertiteln und erfolgreichen Karrieren. Alle wichtigen Namen in einem einzelnen Artikel aufzuzählen, ist unmöglich – hier empfiehlt es sich, die Vereinschronik von Vereinspräsident Guido Bergmaier zu lesen, die auch diesem Bericht als Quelle diente.

1925 trat die mittlerweile 57 Mitglieder starke Gruppe dem Radfahrerverband der Stadt Zürich bei. Ein Jahr später kam es zur Fahnenweihe, immer verbunden mit einem Gartenfest. Die Fahne wurde aus reiner Seide hergestellt und hat vor wenigen Jahren als einzige den Brand im Limmathof überlebt. Zehn Jahre nach der Gründung – die Vereinseuphorie hatte etwas abgenommen – fusionierten die Höngger Radsportler 1933 mit dem «Renn-Club Oscar Egg» aus dem Industriequartier. «Die bis anhin bestandenen Vereinsnamen wurden liquidiert, dem Kind gab man einen neuen Namen: <Radfahrer-Verein Höngg>», schreibt Bergmaier in seiner Chronik. Noch in der Vorkriegszeit begann die Siegesserie des RV Höngg, mit seinem neuen Präsidenten Willi Vögeli. Die Fahrer Ernst Nievergelt, Kurt Ott, Gottlieb Weber und auch Erwin Jaisli brachten dem Verein Ruhm und Ehre. Bald wurden die Höngger an den Meisterschaften als Favoriten gehandelt. 

Höngger im Siegestaumel

1936 nahmen die erwähnten Nievergelt, Ott und Weber an den Olympischen Spielen in Berlin teil und holten die ersten Schweizer Radsport Olympia-Medaillen überhaupt: Nievergelt Bronze im 100 Kilometer Strassenrennen, und Silber gab es für das 100 Kilometer Mannschaftsfahren des Teams Buchwalder, Nievergelt und Ott. Ein Wahnsinnserfolg für den Höngger Verein, der noch garniert wurde mit zahlreichen Podestplätzen in verschiedenen Disziplinen und an diversen Meisterschaften. Schliesslich kam der Krieg. 1939 war noch das Hallenstadion in Oerlikon eröffnet worden, dann war die Karriere für die Jungen zumindest vorläufig eingestellt. Dennoch löste sich der RV Höngg im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen nicht auf. Noch während der letzten Kriegsjahre verzeichnete eine neue Radfahrer Generation mit Arnold Korrodi, Willi Gruber, Walter Müller, Walter Bucher und Heini Müller erste Erfolge in den Kantonalen und Schweizer Meisterschaften. «Dies war der Beginn einer sehr erfolgreichen Epoche für den RVH, welche erst Mitte der sechziger Jahre ihren Abschluss findet», so Bergmaier. Die Erfolge des Vereins sprachen sich natürlich bald herum und wirkten wie ein Magnet, insbesondere auch auf die Jugendlichen. 1949 zählte der RVH 119 aktive Mitglieder. Jährlich erfuhren sich die Amateure Siege auf der Bahn und auf der Strasse und verteidigten ihre Titel.

Das Jahr der Superlative

Als «Wahnsinns-Jahr» der sportlichen Superlative ging das Jahr 1958 in die Annalen des Vereins ein: In der Kategorie der Amateure A bei den Meisterschaften in Zürich belegte Fredy Rüegg den ersten Platz, gefolgt von Erwin Jaisli auf Rang zwei. Egon Scheiwiller, Rolf Bachmann und Bruno Diethelm platzierten sich unter den ersten Zehn. Die Höngger gewannen das Kantonale Mannschaftsfahren, den Bahn-Schweizermeistertitel, und Erwin Jaisli sicherte sich den Schweizermeistertitel in Klingnau. Fredy Rüegg siegte bei der Schweizer Verfolgungsmeisterschaft der Amateure in Lausanne und stellte zu Hause in Zürich einen neuen Stundenweltrekord auf. Die Krönung erlebte Walter Bucher 1958 in Paris, wo er den Weltmeistertitel bei den Profi-Stehern gewann. Daneben war er Olympiateilnehmer in London, wurde vierfacher Weltmeister und gewann nebst grossen Strassenrennen noch elf Siege bei Sechstagerennen in Europa und den USA.
So ging das Jahr weiter, jene Generation schien die Siegeslust in den Beinen zu haben. 1960 wurde Fredy Rüegg Gesamtsieger der Tour de Suisse und holte den Bergpreis, während sein Kollege Kurt Gimmi das Punkteklassement für sich entschied. Trotz Aufs und Abs: Die Leidenschaft schien ungebrochen. Sie ist auch heute noch spürbar, wenn man in die leuchtenden Augen der ehemaligen Radrennfahrer Felix und Ferdi Koller, Walter Bucher und Bruno Schmid schaut, die sich mit der RVH-Seniorengruppe anlässlich der Ausstellung des RVH im Ortsmuseum eingefunden hatten. 

Zuversichtlicher Blick in die Zukunft

An Nachwuchs schien es dem Sportverein fast nie gemangelt zu haben: Während die Älteren ihre Siege einfuhren, machte an der Juniorenfront bereits die nächste Garde von sich reden, zum Beispiel die Schlieremer Zwillinge Ruedi und Paul Zollinger (Schweizermeister Profi Strasse) und der spätere Tour-de-Suisse-Sieger Louis Pfenninger, die mithalfen 1963 zum dritten Mal in Folge den Schweizer Meistertitel im Mannschaftsfahren zu holen. Doch Ende der 60er-Jahre begann für den Verein eine harzige Zeit. Durch den Generationenwechsel fielen die jahrelangen Spitzenradfahrer weg und die Nachwuchsrennfahrer waren nicht mehr vom selben Geist beseelt. Natürlich galt das nicht für alle: Unter der Leitung von Hansjörg Minder erzielte der Bahnvierer, bestehend aus Felix Koller, Sergio Gerosa, Marc Locatelli und Bruno Bürgi, weiterhin beachtliche Erfolge.
Ab den 80er-Jahren sorgten dann unter anderen die Berufsfahrer und Classique-Sieger und Weltklassefahrer Jean-Claude Leclercq und Karl Kälin regelmässig für Siegesjubel beim RV Höngg – neben einigen anderen, die Schweizermeister und vielfache Sieger wurden: Roy Salveter, Bahn Sprint und später Nationaltrainer; Luzi Wieland, Strasse; Urs «the bear» Thoma, allererster und danach zweimal Schweizermeister im aufstrebenden Mountainbike und andere. Der alte Höngger Radfahrergeist war wieder zum Leben erweckt. Zum 75-Jahre-Jubiläum 1998 meinte Präsident Guido Bermaier zuversichtlich, er sehe wieder mehr Sinn für Gemeinschaft und Teamwork in der heutigen Jugend. «Unsere jüngsten Athleten und viele ehemalige Rennfahrer helfen engagiert bei der Bewältigung anstehender Aufgaben mit. Deshalb darf der RV Höngg optimistisch in die Zukunft blicken», schreibt er im Schlusswort der Chronik.

Um die Jahrtausendwende begann die Neuzeit

Mit Hilfe seines Trainers Rolf Hirschbühl startete ein «Grosser» seine Karriere als Bahnspezialist: Franco Marvulli. Nach 16 erfolgreichen Jahren mit einem Palmares von Olympiasilber in Athen – mit Bruno Risi – und vier Welt-, fünf Europameistertiteln und 33 Sixdays, trat er als grosser Sieger zurück.
2006 stellte der Obmann der RVH-Sportkommission, Sämi Nagel, auf der Rennbahn von Aigle einen fantastischen Weltrekord über 24 Stunden auf: 872,8 km mit einem Durchschnittstempo von 36,4 km/h. Und Mirco Jaisli glänzte bald mit mehrfachen Siegen bei Bergrennen.
Inzwischen begannen die Zürcher Veloclubs am Nachwuchsmangel zu leiden. In urbanen Gebieten wurde das Velofahren, vor allem für junge Knaben und Mädchen, immer gefährlicher und im zunehmend stärkeren Verkehr unattraktiv. Von einst 25 Radsportvereinen auf Stadtgebiet haben sich bis auf fünf alle aufgelöst. Davon haben gerade einmal zwei noch Nachwuchs. Höngg erlebt heute eine erfreuliche Phase des Wiederaufschwunges. Zwei Freunde im RVH, Marcel Bucher und Marcel Singer suchten ein Zuhause für ihre jungen Familien – und fanden es beide in Niederglatt. Die logische Folge war eine Bike-Gruppe für Kinder an ihrem Wohnort. Höngg und Niederglatt liegen etwas weit auseinander. Man fand sich 2013 als Partnervereine mit dem Ziel: Nachwuchsschmiede für jugendliche Biker, heute mit über 40 Knaben und Mädchen in Niederglatt und über 20 in Höngg unter dem Initianten Daniel Wehrli. Der Nachwuchs der Gemeinschaft «RV Höngg – VMC Niederglatt» macht bereits mit vielen Glanzresultaten an Wettkämpfen von sich reden. Der Höngger Jonathan Rinner wurde 2017 Schweizermeister U11 auf der Strasse. So blicken die beiden Vereine auch heute in eine hoffnungsvolle Zukunft.

Ausstellung
95 Jahre Radfahrer-Verein Höngg. Ortsmuseum Höngg, Vogtsrain 2. Sonntag, 14 bis 16 Uhr, ausser in den Ferien. Noch bis Ende November zu sehen.

0 Kommentare


Themen entdecken