Kultur
Faszination für Dunkles: Autorin Mitra Devi drehte Gothic-Film
Mitra Devi, Autorin, Malerin und Filmemacherin, ist in Höngg aufgewachsen. Am Sonntag präsentierte sie im Kino Le Paris am Stadelhofen ihren neuesten Dokumentarfilm «Gothic». Warum sie Dunkles und Tiefgründiges fasziniert, erzählt sie dem «Höngger». Die schlanke Frau, welche einem die Tür zu einer hellen Wohnung in Altstetten öffnet, trägt ein leuchtendgrünes Hemd – sie soll sich für Dunkles, teilweise Abgründiges interessieren? «Ich bin zwar ein humorvoller Mensch, der ein grosses Harmoniebedürfnis hat. Trotzdem interessieren mich vor allem die unheimlichen, schweren Seiten des Lebens, welche ich in meinen Büchern und Dokumentarfilmen zeige», sinniert die 50-Jährige.
17. September 2014 — Redaktion Höngger
Bei Lehrer Köhli den einzigen «Sechser» bekommen
Als kleines Kind zügelte Mitra Devi mit ihrer Familie von Oberengstringen nach Höngg an die Jacob-Burckhardt-Strasse in ein Haus, welches sich noch zur Hälfte im Rohbau befand. «Ich erinnere mich, dass wir als Kinder jeweils auf der Baustelle spielten, rundherum hatte es nur Wiese – es war wirklich ein Paradies für uns Kinder. Obwohl wir in der Stadt wohnten, hatte Höngg eine sehr ländliche Ausstrahlung, und so wuchsen ich und meine Schwester dementsprechend auf.»
Dazu gehören die Erinnerungen an den Lieblingslehrer Hanspeter Köhli im Schulhaus Vogtsrain, bei dem Mitra Devi im Zeichenunterricht «den einzigen Sechser meiner ganzen Schulkarriere im Zeugnis» bekam, der gebrochene Arm der Schwester, weil diese auf den «Chriesibaum» geklettert war und die Indianerlis-Spielnachmittage, bei denen die Autorin «immer dä Häuptling» gewesen war, wie sie lachend erzählt. Dann gab es noch die «Detektiv-Club-Phase», in welcher mit Walkie-Talkies «verdächtige» Leute in Höngg observiert wurden: «Unsere Vorbilder waren die Helden der ˂Drei Fragezeichen˃-Buchreihe. So schlichen wir verfolgend und in unsere Walkies flüsternd durch Höngg.»
Im Kindergarten Schreiben und Lesen beigebracht
Schreiben tut Mitra Devi seit dem Kindergarten, brachte es sich gar selbst bei. Bis zu ihrem 30. Lebensjahr schrieb sie Tagebuch und füllte 30 Bücher mit ihren Erlebnissen. «Im Jahr 2001 veröffentlichte ich meine ersten Kurzgeschichten, später folgte meine Krimireihe mit der Ermittlerin Nora Tabani, an der ich noch immer arbeite.» Der fünfte Band der Serie ˂Der Blutsfeind˃ wurde mit dem Zürcher Krimipreis ausgezeichnet. Die Aufzählung aller erschienenen Bücher und Kurzgeschichten würde den Rahmen im «Höngger» sprengen, ist schreiben doch nicht alles, was Mitra Devi macht: Sie malt Bilder – farbgewaltig, detailgetreu und realistisch – die sie jeweils ausstellt und gut verkauft.
Um bewegte Bilder dreht es sich beim Filmen: Sie produzierte die Dokumentarfilme «Vier Frauen und der Tod», in welchem die Berufe einer Totengräberin, einer Pathologin, einer Palliativ-Pflegerin und eines Mediums beleuchtet werden. «Long Time Love» ist ein Dokumentarfilm über fünf langjährige Frauenpaare und für einmal kein dunkles, abgründiges Thema. «Crime» beleuchtet ihre Recherche zu ihrem Krimi «Der Blutsfeind». Ganz neu ist «Gothic», der die Schweizer Gothic-Szene, die sich in schwarze Kleider hüllt, Rüschen, Nieten, Ketten und Springerstiefel trägt, einem breiten Publikum zugänglich macht. Strassenumfragen zum Thema, unter anderem mit Dodo Hug, Filippo Leutenegger oder Stadtpräsidentin Corine Mauch, geben unverfälschte Kommentare im Film wieder.
Dokumentarfilm ist real, Krimi ist fiktiv
Was fasziniert Mitra Devi am Dokumentarfilm? «Einerseits hat es einen ganz pragmatischen Grund: Diese Filme kann man mit einem relativ geringen Budget realisieren. Andererseits gefällt mir, dass alles real und nur wenig planbar ist, die portraitierten Menschen sind, wie sie sind – Spielfilme hingegen, die mich auch reizen, sind rein fiktiv. Wichtig ist mir, dass ich alleine entscheiden kann.» Wenn es irgendwann einmal einen Spielfilm von Mitra Devi geben soll, dann wird er im Krimi- und Thrillerbereich angesiedelt sein: «Wer weiss, vielleicht finde ich einen Produzenten, der mir die kreative Freiheit lässt, die ich brauche», überlegt die Filmemacherin.
Beim aktuellen Film «Gothic» hat sie die Erfahrung gemacht, dass die schwarze Szene sehr offen ist und man sich gerne zeigt. Weshalb ein Film über die Gothic-Szene und nicht über, beispielsweise, die Hip Hop-Szene? «Im Jahr 2007 war ich als ˂Krimi-Stadtschreiberin˃ ein halbes Jahr in Leipzig und erlebte so das legendäre Wave-Gothic-Treffen mit über 20 000 Besuchern per Zufall mit. Diese schwarzgekleidete Welle an Menschen, die in die Stadt wogte, faszinierte mich sehr. Die Menschen waren sehr friedlich, hinterliessen keinen Abfallberg wie alljährlich an der hiesigen Street Parade – und fielen mit ihrem wohl überlegten, sehr extremen Äusseren auf. Da ein Gothic-Buchverlag mein in Leipzig entstandenes Buch ˂Der Spinner von Leipzig˃ verlegen wollte, hatte ich auch viele Lesungen in dieser Stadt – sie waren komplett anders als sonst.» Normalerweise würden zu 90 Prozent Frauen zwischen 40 und 60 Jahren ihre Lesungen besuchen, an den Leipziger Lesungen in Gothic- und Heavy-Metal-Treffpunkten seien die Besucher, darunter auch viele Männer, um die 20 Jahre alt gewesen: «Ich hätte deren Mutter sein können. Sie tranken Bier und plauderten auch mal während der Lesungen, waren aber allesamt äusserst freundlich, interessiert und hilfsbereit.»
Mit der Kamera in einen richtigen Rausch geraten
In den folgenden Jahren besuchte sie die Leipziger Buchmesse und das Wave-Gothic-Treffen noch zweimal, und zusammen mit ihrer Partnerin Bea Huwiler, einer Fotografin, entschied sie 2013, mit der Videokamera an dieses weltgrösste Treffen zu gehen. «Wie im Rausch filmten wir die vielen gestylten Leute. Wieder zurück in Zürich, druckte ich Flyer und verteilte diese im Club ˂X-TRA˃ an der regelmässig stattfindenden Gothic-Party ˂More than mode˃ – so wollte ich Protagonisten für meinen Film finden.» Dies gelang über diesen Weg genauso wie über persönliche Kontakte.
«Wichtig war mir, dass die Portraitierten den Gothic-Stil in ihrem Alltag ebenfalls leben, nicht nur am Wochenende, und dass sie aus künstlerischen, aber auch aus ganz normalen Berufen kommen.» Die beiden Frauen haben die neun portraitierten Personen jeweils für rund vier Tage begleitet – auch an das Wave Gothic Treffen 2014. Das ergab insgesamt 50 Drehtage mit 130 Stunden Filmmaterial: «Viel länger, als ein Spielfilm dauert! Danach war ich drei Monate nur mit dem Filmeschneiden beschäftigt – ich suchte die richtigen Sekundenbruchteile, die passende Musik dazu, tippte 100 Seiten Interviewgespräche vom ganzen Filmmaterial ab, damit ich die Interviews an der richtigen Stelle schneiden konnte… Es war unglaublich viel Arbeit.»
Beim nächsten Dokumentarfilm, den es sicher geben wird, ist Mitra Devi nun gewappnet für den riesigen Berg, der je nach Projekt auf sie zukommen kann. «Doch die Selbstbestimmung ist mir diesen Aufwand wert. Die Finanzierung kommt von mir, von Sponsoren und Mäzenen – aber trotzdem ist immer zu wenig Geld für das jeweilige Filmprojekt da. So fand ich es etwa sehr schön, dass alle am ˂Gothic˃-Film beteiligten Musiker mir gegenüber so grosszügig mit ihren Werken waren.»
Wer den Film sehen möchte, erfährt über Mitra Devis Website, in welchen Kinos er läuft, zudem gibt es ihn auch als DVD zu kaufen. «Wenn er irgendwann im Fernsehen erscheinen würde, gäbe das der Bevölkerung einen spannenden Einblick in die schwarze Szene, die in überraschend vielen Facetten schillert und in der sich auch ganz ˂normale˃ Menschen tummeln.»
Weitere Infos zur bekannten Autorin Mitra Devi und dem knapp 90-minütigen Dokumentarfilm «Gothic»: www.mitradevi.ch, https://gothic.mitradevi.ch
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