Es gab in Höngg mehr als «nur» Weinbauern

Wer in Höngg nach historischen Quellen zur Landwirtschaft sucht, stösst fast ausschliesslich auf Rebbauern. Andere Landwirte scheinen die Historiker nicht interessiert zu haben. Dabei nahm deren Zahl und Betriebsgrösse ab 1886 zu. Der «Höngger» hat nachgelesen und etwas «oral History» betrieben.

Bei der Heuet in Höngg, undatiert.
Der Hof der Familie Gugolz, undatiert, aber sicher nach 1903, damals noch «Im Neuhaus», heute Singlistrasse.
Mit dem «Bührer» beim Mülldeponieren auf dem Hönggerberg. Undatierte Aufnahme.
Auf dem Feld, wo heute das Schulhaus Lachenzelg steht. Undatierte Aufnahme.
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Der Ruf von Höngg als Rebbaugemeinde mit der gegen Ende des 19. Jahrhunderts drittgrössten Anbaufläche des ganzen Kantons scheint so übermächtig zu sein, dass man die anderen Landwirte in Aufzeichnungen kaum je erwähnte. So heisst es bereits in den Mitteilungen Nr. 7 der Ortsgeschichtlichen Kommission (siehe Quellenangaben) lediglich, dass anno 1634 nebst Pfarrer und Lehrer nur noch ein Metzger, Schmied, Müller und drei nicht näher bezeichnete als Meister erwähnt worden seien und «die ganze übrige Einwohnerschaft gehörte wohl ausschliesslich der Landwirtschaft an und dürfte sich hauptsächlich dem damals schon ausgedehnten Weinbau gewidmet haben, neben dem Ackerbau und Viehhaltung nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben». Untergeordnet? Wikipedia nennt für 1860 noch 95 Landwirte auf Höngger Gemeindegebiet. Doch hier wurden einfach alle Kleinbauern mitgezählt, die kleine Rebparzellen besassen oder sich als Taglöhner in den Rebbergen verdingten. Um das eigene kleine Heimwesen pflanzte man an, was man zur Selbstversorgung brauchte, und im Stall hielt man allenfalls eine Sau und ein paar Geissen, welchen das zwischen den Reben geschnittene Gras und das ausgebrochene Laub verfüttert wurde. Im Höngg des 19. Jahrhunderts wurden so viele Ziegen gehalten, dass «Geissen» gar zum Übernahmen der Höngger wurde. Auch Heinrich Rusterholz bestätigt 1963 in den Mitteilungen Nr. 21 bezugnehmend auf das Jahr 1860, dass es sich bei den bäuerlichen Heimwesen um mittlere bis kleinere Betriebe gehandelt habe. Die grösseren Betriebe hätten sich in der Peripherie der Gemeinde befunden (zu der 1963 noch der Berg, Talchern, Bombach, Frankental, Riedhof und Rütihof zählten. Anm. d. Red.), «aber auch sie waren nicht auf Rosen gebettet», so Rusterholz. Detaillierter zeichnete Rudolf Grossmann-Steffen 1942 in den Mitteilungen Nr. 28 die Jahre 1880 bis 1900 nach. Persönlich erinnerte er sich: «Es war eine harte Arbeit. Nur wer Wiesen und Äcker zwischen dem Neuhaus (heute Singlistrasse) und dem Riedhof besass, hatte es etwas einfacher. Die meisten Wiesen und Äcker aber lagen am Berghang oder auf dem Berg». Die ganze Bewirtschaftung geschah mit Pferden- und Ochsenfuhrwerken. Gras, Heu, Weizen, Gerste und Hafer wurde mit der Sense geschnitten. «Für uns Buben waren die Sensen zu gross», schreibt Grossmann, «und beim Heuen ging es vor der Taghelle hinauf auf den Berg. Bis sechs Uhr musste ausgehalten werden, dann durften wir heim zum Morgenessen und danach in die Schule». Dort habe dann der Sohn von Heinrich Appenzeller, dem Halter des Höngger Ziegenbockes, viel zu leiden gehabt, «denn er trug den Geruch des Bockes ständig mit sich». Doch auch die Erwachsenen hatten es nicht immer einfach und mussten auch andere Arbeiten annehmen. Zum Beispiel zog der «Metzger-Heiri», Heinrich Grossmann, im Herbst und Winter als Bauernmetzger «von Hofstatt zu Hofstatt, um die offenen Kamine wieder mit Schinken, Speckseiten, Würsten und Gnagi zu füllen».

Von der Stadt über die Hard nach Höngg

Es war in dieser Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts, als die Familie Gugolz nach Höngg übersiedelte. Heiri Gugolz, geboren 1932, sitzt in seiner Wohnung mit Blick auf den stattlichen Bauernhof an der Singlistrasse und erzählt, wie es dazu kam. Von 1809 bis 1837 bewirtschaftete die Familie, auf dem Grund des heutigen Hauptbahnhofs, das grosse städtische «Spitalachergut». Als die Stadt Zürich das Gut verkaufte, zog man westwärts in die Hard auf den Betrieb «Eichbühl» und blieb dort bis 1894 – noch heute erinnert die Gugolzstrasse im Kreis 4 daran. Doch auch dort wurde man durch das Wachstum der Stadt und den Ausbau der Eisenbahn verdrängt. Ein Vorgang, der sich bis in die heutige Zeit weitererzählen liesse. Damals aber zogen Gugolzens nach Höngg und kauften den Hof «Im Neuhaus», der heutigen Singlistrasse. Die Brüder Heinrich und Arnold Gugolz zogen mit ihren Familien, Knechten und Mägden ein. 1886 begann für die Höngger Weinbauern eine schlimme Zeit: Der falsche Mehltau und vor allem die Reblaus rafften die Reben grossflächig dahin. Der Schädling befiel die Wurzeln, liess die Reben absterben und zerstörte die Lebensgrundlage vieler kleiner Winzer. Überschuldetes Land kam auf den Markt, und die Höngger Landwirte konnten Stück um Stück Land hinzukaufen. Heiri Gugolz zählt die damals erworbenen Grundstücke mit Flurnamen und Verkäufern auf – Namen, die längst in Vergessenheit geraten sind oder allenfalls noch als Strassennamen bekannt sind. 15 Hektaren bewirtschafteten die beiden Brüder schlussendlich. Trotzdem reichte es nicht immer, um alle zu ernähren. Und so kam es, dass man – nachdem ein Verwandter, für den man gebürgt hatte und der in finanzielle Schwierigkeiten geraten war – in Höngg die Kehrichtabfuhr übernahm. «Damals wurde noch aller Abfall dem Müll übergeben, mit Pferdefuhrwerken auf den Hönggerberg gebracht und hinter dem Schützenwall* in der Grube versenkt, bis sie voll war», erzählt Gugolz, während er im Fotoalbum blättert.

Die Bauern waren gut vernetzt

Noch bevor die Brüder Gugolz nach Höngg gezogen waren, wurde am 26. Januar 1882 von 27 Personen der «Landwirtschaftliche Verein Höngg und Umgebung» gegründet. Der Verein bezweckte, «die Landwirtschaft in der hiesigen Gemeinde zu fördern, den Landwirten Gelegenheit zur Ausbildung, Belehrung und vorteilhafter Anschaffung von Artikeln» zu bieten. Bereits im Gründungsjahr wurde gemeinsam Kunstdünger eingekauft. Ab 1886 war der Verein dann für die Beschaffung und den Vertrieb des Spritzmittels Kupfervitriol zuständig, das obligatorisch gegen den falschen Mehltau eingesetzt werden musste. 1901, als der Mehltau besonders schlimm wütete, musste man 70 Zentner davon beziehen. Das Vitriol wurde mit Kalk zu sogenanntem «Bordeaux-Pulver» gemischt, in Wasser aufgelöst und in den Reben ausgebracht.Der gemeinsame Warenbezug liess den Verein bis 1917 auf 118 Mitglieder anwachsen. Doch die Besucherzahlen der Mitgliederversammlungen liessen – wie heute bei vielen Vereinen auch – zu wünschen übrig, worauf der Verein eine Weile lang jedem Anwesenden einen halben Liter Wein gratis ausschenkte. Zur Geselligkeit zählten Ausflüge durch die ganze Schweiz, meistens um dabei etwas zu lernen. Wie 1893, als 67 Mitglieder nach Wädenswil zur dortigen Obst- und Weinbauschule reisten. Andere Aktivitäten brachten wiederum Höngg viel Besuch: Im Herbst 1905 stellten 50 Vereinsmitglieder ihre Produkte in der Wartau aus, 1500 Besucher liessen sich das nicht entgehen. Der Verein wurde erst 2011 aufgelöst.

Organisierte Milchwirtschaft

Zusammengeschlossen waren die Bauern auch in Milchwirtschaftsorganisationen, aber erst ab 1916. Früher hatte jeder Höngger Bauer seinen eigenen Kundenkreis, den er täglich mit Milch und anderen Produkten belieferte. Doch die Milchrationierung im 1. Weltkrieg machte es zur Pflicht, alle Milch dem Konsum zuzuführen, statt Überschüsse selber zu verarbeiten oder zu verfüttern. So gründeten Jakob Bosshard, Arnold Gugolz und Jakob Hausheer 1916 die «Milchproduzenten-Genossenschaft Höngg», deren Aufgabe es war, die Milch an eine Sammelstelle zu leiten und dort an die Konsumenten abzugeben. «Immerhin», so heisst es in den Mitteilungen 14, «behielten sich einige Bauern an der Peripherie das Recht vor, ihre Milch weiterhin direkt an die Kunden zu verteilen». So wurde die Milch an der Regensdorferstrasse und der Imbisbühlstrasse der Kundschaft direkt in die Milchkessel ausgeschenkt. Auf der Ausmessliste von damals, die Heiri Gugolz dem «Höngger» zeigt, sind feinsäuberlich Namen und Mengen der Haushalte aufgeführt. Mit der Rationierung im 2. Weltkrieg war es damit dann aber endgültig vorbei: «Der Staat konnte die Bauern nicht kontrollieren und verbot ihnen deshalb das eigene Abmessen, also das Ausschenken der Milch», erzählt er. Also wurde 1943 als Untersektion der Milchproduzenten-Genossenschaft Höngg die «Milchproduzenten-Vereinigung Höngg» gegründet, die dem Staat gegenüber Rechenschaft schuldig war. An viele Mitglieder dieser Vereinigung erinnert sich Gugolz gut und die Namen, die er aufzählt und wo diese Bauern ihre Höfe hatten, ist lang. Heusser, Schäfer, Hasler, Wüest, Bosshard, Beerli, Grossmann, Brunner, Rapold und Matthys, sie alle waren in der Vereinigung. Doch es gab noch eine zweite, die «Milchgenossenschaft Rütihof», in der sich die Geschlechter Wegmann, Hubacher, Geering, Meier, Schellenberg, Elliker, Rieder und Huggenberger zusammengetan hatten. Sie lieferten an die Milchhändler Häusler und Schöni. Häusler betrieb die Molkerei im Riegelhaus an der Ecke Gsteig- und Regensdorferstrasse. Mit dem imaginären Rundgang durch das damalige Höngg tauchen weitere Namen auf, Spielmann, Deon, Schütz, Marolf, Brunnschwiler und so fort – geblieben sind deren drei.

Von allen blieben noch drei

«Bauern sind der Stadtentwicklung doch im Weg», sagt Heiri Gugolz auf die naive Frage nach dem Grund. Das habe schon damals begonnen, als man Land für neun Franken den Quadratmeter für den Bau des 1953 eingeweihten Schulhauses Lachenzelg abtreten musste. Natürlich, fügt er an, seien neben den Bautätigkeiten oftmals auch fehlende Nachfolger oder Erbteilungen Gründe gewesen. Bei einer Erbteilung war das als Bauland eingezonte Land kaum bezahlbar und als Landwirtschaftsfläche genutzt nicht mehr rentabel. Zudem musste an jede Strasse, an die das Land grenzte, Baukosten bezahlt werde. So verkaufte man Stück um Stück bis die Fläche letztlich zu klein war. Bauern wird oft vorgeworfen, sie seien durch die Einzonungen reich geworden, hätten ihre Arbeit aufgegeben und dafür Wohnhäuser gebaut. Das mag stimmen, aber ob es nicht manchem Bauer lieber gewesen wäre, weiter sein Feld zu bestellen, anstatt Häuser zu verwalten, ist eine andere Frage. Heiri Gugolz jedenfalls verkaufte 2002 die letzten Kühe. Die Sanierung des Stalls nach neuen Vorschriften lohnte sich nicht mehr, eine Erbteilung stand an und, was nicht zu unterschätzen ist, das Bauern mitten im Wohnquartier wurde immer schwieriger: Obstplantagen, die gespritzt werden müssen, sowie Kühe und Misthaufen wurden und werden immer weniger toleriert. An der Peripherie ist das heute noch eher möglich: Bei den drei letzten Höngger Bauern, Markus Willi auf dem Hönggerberg, Alfred Meier im Rütihof und Daniel Wegmann im Frankental – solange ihre Höfe noch als «in der Peripherie gelegen» gelten.

* Gemeint ist der 1900 erstellte 400-Meter-Schützenwall. Er lag am heutigen Waldrand, dort wo heute Sitzbänke stehen, hundert Meter hinter dem noch bestehenden Wall. Als die Anlage nicht mehr gebraucht wurde, trug man den oberen Teil des Walls ab und bedeckte damit die seit 1927 hinter ihm betriebene Kehricht-Deponie.

 

Quellen:
«Ortsgeschichte Höngg», Georg Sibler 1998
Mitteilungen der Ortsgeschichtlichen Kommission des Verschönerungsvereins Höngg:
Nr. 14, «Geschichte der Vereine Höngg», R. Stahel 1950, vergriffen
Nr. 28, «Erinnerungen aus dem alten Höngg», Rudolf Grossmann-Steffen 1942 / Georg Sibler 1980
Nr. 49, «Der Rütihof bei Höngg», Georg Sibler 2009
Nr. 52, «Höngger Geissen und Häusergruppe Orsini», Georg Sibler 2014
Alle nicht vergriffenen Bände erhältlich im Infozentrum des «Hönggers» am Meierhofplatz 2.

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