Eine Stadt ohne Menschen

In der Politik ist es so, dass man auch die Argumente der anderen, vor allem aber der gegnerischen Parteien kennen muss. Also habe ich das Sieben-Punkte-Programm der bürgerlichen Stadtratskandidatin und den Stadtratskandidaten gelesen, die gemeinsam unter dem Slogan «Top5» angetreten sind. Abgesehen von vielen Wiederholungen, fiel mir zuallererst einmal die Sprache auf. Diese ist sehr technokratisch, gestelzt und ziemlich blutleer.

Judith Stofer

Die Inhalte sind leider nicht viel lebendiger. Damit die Stadt Zürich weiterhin spitze bleibe, müsse sie ihre staatlichen Tätigkeiten auf die «wesentlichen Kernaufgaben» konzentrieren. Das heisst, sie müsse dafür sorgen, dass Private auf dem Carparkplatz hinter dem Hauptbahnhof ein Kongresshaus bauen können. Die Stadt müsse sich zudem für möglichst viele Direktflüge ab Flughafen Zürich für die Wirtschaft einsetzen. Eine weitere Kernaufgabe der Stadt sei es, die Unternehmen administrativ zu entlasten. Bei Quartier-Neugestaltungen müsse die Stadt die KMU und die Wirtschaft möglichst frühzeitig miteinbeziehen. Weiter müsse die Stadt für «ausreichende Strassenkapazitäten zwischen den städtischen Subzentren» sorgen und sich dafür einsetzen, dass auf den Hauptachsen keine Tempo-30-Zonen eingeführt werden. Im Betreuungsbereich müsse die Stadt auf private Angebote setzen, bei den Alters- und Pflegeeinrichtungen müsse sie dafür sorgen, dass die Trägerschaften in private Hände übergehen. Und sie müsse dafür sorgen, dass private Investoren genügend Wohnraum durch private Investoren erstellen können. Versteckt zwischen den PR-Sätzen findet sich der Hinweis, dass die Kulturausgaben nicht weiterwachsen dürfen – obwohl die Bevölkerungszahl seit Jahren steigt.

Dieses Programm auf den kurzen Nenner gebracht, heisst nicht mehr und nicht weniger, als dass die Stadt die prioritäre Aufgabe hat, den Privaten den roten Teppich auszurollen. Menschen kommen im Sieben-Punkte-Programm nicht vor. Eine Stadt ohne Menschen mit ihren Wünschen, Anliegen, Träumen, Ansprüchen und Mängeln lässt sich viel besser, effizienter und wirtschaftlicher verwalten. Ist es das, was den bürgerlichen Stadtratskandidaten und der Stadtratskandidatin vorschwebt? Die Stadt – eine Cash-Maschine für private Investoren, Firmen und Unternehmen – und ohne Menschen?

Die Stadt ist ein öffentlicher Raum, der Leben für unterschiedlichste Menschen ermöglichen muss. Die Balance zwischen allen Ansprüchen zu finden, ist nicht ganz einfach. Die rot-grüne Stadtregierung macht es sehr gut – auch wenn es Verbesserungspotential gibt.

Judith Stofer, Kantonsrätin AL, Kreis 6 & 10

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