Quartierleben
Ein halbes Jahrhundert in Höngg aktiv
Seit 50 Jahren führen die Brüder Erich und Louis Egli die Druckerei AG Höngg. 35 Jahre waren sie auch Verleger und Redakteure des «Hönggers», den sie damals vor dem «Aus» retteten. Ans Aufhören denken sie noch lange nicht.
11. Oktober 2017 — Patricia Senn
Es war just 40 Jahre und ein Tag nach dem Erscheinen des allerersten «Hönggers» – damals noch «Korrespondenzblatt», später «Der Höngger», als die Zwillingsbrüder Egli aus Reiden, Luzern, am 2. Oktober 1967 in Höngg die Druckerei von Zeitungs- und Zunftgründer Anton Moos, der zwei Jahre zuvor verstorben war, an der Ackersteinstrasse 157 übernahmen. «Der Buchdruckbetrieb war in einem desolaten Zustand», erinnert sich Louis Egli an seine erste Besichtigung. «Die Maschinen waren veraltet und <Der Höngger> auf magere zwei Seiten geschrumpft». Mit dem Ausscheiden des langjährigen Mitarbeiters Willy Lehmann, der den Betrieb mit der Witwe Gertrude Moos weitergeführt hatte, waren der Druckerei mangels Arbeitskräften auch die Kunden verloren gegangen. Die Höngger Bevölkerung sorgte sich um den Verbleib ihres Quartierblatts. Ursprünglich suchte die Witwe Moos einen Geschäftsführer, Louis schlug stattdessen vor, ihr das Geschäft mit seinem Bruder zusammen abzukaufen. Das Handwerk war ihnen von ihrem Vater bereits in die Wiege gelegt worden, später hatten sich beide ausbilden lassen: Erich beim «Oltner Tagblatt» zum Drucker, Louis zum Schriftsetzer bei Ringier, Zofingen. Und so geschah es: Am 2. Oktober eröffneten die beiden Neuzuzüger mit grosser Unterstützung ihrer Ehefrauen Rita und Pia, sowie der Mutter Hedwig Egli, die gerade 60 geworden war, die Druckerei AG Höngg. Die Mutter, Seele des Betriebs, arbeitete bis ins hohe Alter mit und lebte bis zum Schluss im Hochhaus an der Riedhofstrasse. Erichs Ehegattin kümmerte sich um die Kinder, Louis’ Frau half im Büro mit. Eine Wohnung fanden die beiden Familien übrigens nie in Höngg, stattdessen wohnten sie gemeinsam in Dielsdorf.
Leben heisst arbeiten
Der Vater Alfred Egli war seit 1934 Geschäftsführer der Luzerner Nachrichten AG gewesen und hatte das liberale Volksblatt durch die schwierige Krisen- und Kriegszeit gebracht. Später fanden die Brüder heraus, dass er Anton Moos persönlich gekannt hatte, sie hatten gegenseitig ihren «Gautschbrief», das Gesellenzeugnis der Drucker und Setzer, unterzeichnet. «Wir vermuten allerdings, dass die beiden das Heu nicht auf derselben Bühne hatten», erzählt Louis. «Anton war wohl schon immer ein Lebemann, unser Vater eher das Gegenteil davon, vielleicht hat er darum nie über ihn gesprochen». Früh hiess es für die Zwillinge, die unterschiedlicher nicht sein könnten, mitanpacken: Als Kinder halfen sie der Mutter nach der Schule im Garten, später dann dem Vater in der Druckerei. «Wir kannten es nichts anders. Unser <Ätti> arbeitete täglich bis Mitternacht. Wenn wir um fünf Uhr nach Hause kamen, wartete er schon an der Tür und sagte, <ich habe noch Arbeit für Euch>». Eine Kleinbetrieb-Mentalität, die im heutigen Gewerbe fast verschwunden ist. Als er 1959 verstarb, trat Louis mit nur 22 Jahren in seine Fussstapfen, und auch Erich arbeitete nach Feierabend kräftig mit. Was nicht schon früher am Mittagstisch verhandelt worden war, lernte Louis in den acht Jahren, in denen sie die Zeitung herausgaben, und «Erich hatte ohnehin schon in der Lehre wie ein ausgelernter Drucker gearbeitet». Nachträglich ein Glücksfall für den «Höngger», denn so verstanden die beiden Brüder nicht nur etwas vom Drucken, sondern auch vom Blattmachen. Anfänglich reagierten die bürgerlich geprägten Höngger jedoch etwas skeptisch auf die Neuankömmlinge aus dem «Schwarz-Katholischen» Luzernischen. «Sie hatten alleweil das Gefühl, wir seien Parteimitglieder der KK, der Katholisch-Konservativen. Dabei gab es schon zu dieser Zeit eine liberale Partei im Kanton Luzern», erinnert sich Louis. Dank Willy Lehmann, der bei den ehemaligen Mitarbeiterinnen von der Druckerei A. Moos ein gutes Wort für die beiden einlegte, fanden sie Personal auf dem damals ausgetrockneten Arbeitsmarkt und schliesslich rasch den Anschluss im Quartier. Die Zunft Höngg war von Anfang an ein guter Kunde der Druckerei AG Höngg und ist es, neben anderen treuen Firmen, heute noch.
Eigenwillig, aber respektiert
Reinreden liessen sich die Brüder nie, sondern gaben bezüglich Zeitungsinhalt den Tarif klar durch: Politische Artikel, die zum Ziel hatten, einzelne Personen zu diffamieren, wurden klar zurückgewiesen. Dabei liessen sie sich auch von den Machtkämpfen gewisser Höngger Politiker nicht einschüchtern. Alle Parteien und Akteure des Quartiers waren eingeladen, Texte einzureichen, immer vorausgesetzt, dass es sich um lokal relevante Themen handelte. «Uns war schon damals klar, dass eine Quartierzeitung nur überleben konnte, wenn sie wirklich lokal blieb. Grosse Zeitungen haben versucht, diesen Bereich abzudecken, aber dies ist nun mal nicht ihr Gebiet», meint Louis mit Blick auf den heutigen Zeitungsmarkt. Selbst die SP, die erst Abstand vom «Höngger» genommen hatte, schickte bald regelmässig ihre Beiträge ein. Rolf Kuhn, ehemaliger SP Gemeinderat, lobte in der letzten Ausgabe der Egli Brüder im Dezember 2002, dass sie den Höngger «als echtes Quartierforum» betrieben hätten, «indem sie das gesamte Meinungsspektrum zu Wort kommen liessen». Louis Egli hatte sich mit seiner direkten und bestimmten Art Anerkennung von allen Seiten erarbeitet.
Goldene Jahre
Die Druckerei erholte sich unter der neuen Führung erstaunlich schnell: Schon Mitte November 1967 konnten sie Buchdrucker Giuseppe Covello einstellen. Kurz davor war eine grosse Bestellung für Neujahrskarten reingekommen, und gleichzeitig erteilte Walter Baumann, damals Leiter der Elco Region Ostschweiz an der Limmattalstrasse in Höngg, einen umfassenden Auftrag für Couverts, Briefbögen, Visitenkarten, und, und, und – «wir waren buchstäblich im Elend», erinnert sich Erich an diese Anfangszeit. «Auf einem grossen Tisch stapelten sich die Neujahrskarten mit dem Handsatz und dem Auftrag. Covello, der arme Kerl, musste jeden Tag ein Stück dieses Berges abbauen». Die Arbeitsbelastung war scheinbar so hoch, dass sich der Mitarbeiter im Jahresgespräch bereits für die Kündigung wappnete, weil in seiner Anfangszeit kaum jemand ein Wort mit ihm gewechselt hatte. «Dabei hatten wir schlicht keine Zeit dafür, das war der einzige Grund, er arbeitete hervorragend», lacht Louis rückblickend. Dieser erste Angestellte blieb ihnen denn auch bis zu seiner Pensionierung erhalten. Die Konjunktur tat das ihre, die Umsätze stiegen. Der «Höngger» hatte stets einen Umsatzanteil von 40 bis 45 Prozent. Die erste Ausgabe unter der neuen Redaktion war bereits zehn Seiten dick – und mit einer Schnellpresse aus dem Jahr 1920 gedruckt, die mit Handanlage bedient wurde. «Sie schaffte in der Stunde vielleicht 800 Blatt», erklärt Erich, «das bedeutet, Anton Moos musste früher Tag und Nacht gearbeitet haben, wenn er eine Weihnachtsausgabe für alle Haushaltungen – damals 7500 Exemplare – druckte». Zum Glück umfasste die erste Ausgabe nur 1300 Stück. Nach zwei Seiten ging jedoch das Satzmaterial aus, um die restlichen Seiten zu setzen. Danach bestellten die Brüder sofort tonnenweise – und das ist wörtlich zu verstehen – Blindmaterial. «Wir hatten auch noch einen «Typograph» übernommen, eine veraltete Zeilensetzmaschine aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg», erinnert sich Louis kopfschüttelnd. Schon im Sommer 1967 konnte eine 2-Magazin-Intertype von der NZZ montiert werden, weitere Maschinen kamen dazu. Bald war es zu eng an der Ackersteinstrasse. Irgendwann wäre wohl auch der Boden unter dem Gewicht der schweren Maschinen durchgebrochen. Bevor es soweit kam, zog das Unternehmen im April 1972 an die Pfingstweidstrasse 6, wo es sich zu Beginn auf 400 Quadratmetern weiterentwickeln konnte. Hier liefen zwei 4-Magazin-Setzmaschinen und zwei Buchdruckmaschinen 52×72, um den inzwischen angestiegenen Umfang des «Hönggers» setzen und drucken zu können. Ende 1977 wurde die erste 1-Farben-Offsetmaschine installiert und ab 1978 wurde der Höngger im Bogenoffset gedruckt. Der Offsetmaschinenpark wurde ständig erweitert.
Irgendwann weigerte sich die Post, einmal im Monat Streuaufträge – das heisst, eine Grossauflage in alle Briefkästen – zu verteilen, worauf die Druckerei AG Höngg zur Direct Mail Company wechselte und anfing, die Zeitung wöchentlich in alle Haushalte zuzustellen, was eigentlich vom Zeitungsverlegerverband verboten war. Da zeigte sich einmal mehr der sture Steinbock-Kopf der Eglis.
Um- und Weitsichtig
«Viermal hätten wir den <Höngger> in den 35 Jahren verkaufen können, einmal für 200’000 Franken, das war damals eine Menge Geld», erzählt Louis und blättert in einem dicken Bundesordner. Überzeugt habe ihn aber keines der Angebote. Beim ersten Mal habe er dem Bieter nur geantwortet, sie hätten gerade erst angefangen, jetzt wolle er erst einmal sehen, wohin das führe. Auch beim Maschinenkauf wurde nichts überhastet: «Wir haben konservativ eingekauft: Erst wenn ein Gerät auf dem Markt bestanden hatte, haben wir es in Betracht gezogen, darum sind wir erst relativ spät, im Jahr 1988, auf die Fotosatztechnik umgestiegen». Sie evaluierten die Technologie so lange und gründlich, dass der Verkäufer am Ende der Telefonleitung sekundenlang sprachlos blieb, als sie schliesslich bestellen wollten – er hätte wetten können, dass die Eglis niemals kaufen würden. Später kam auch Bernhard Gravenkamp zum Team – heute noch treuer Layouter beim «Höngger». Nachdem die Fotosatzanlage einmal in der Druckerei installiert war, wurde der Bleisatz innerhalb von drei Monaten ausgemustert. Verschrottet wurde aber nichts – «das wäre ja, als würde man ein altes Dampfschiff auf dem Vierwaldstättersee verschrotten», meint Erich –sondern eingelagert bei Dachdecker Hansruedi Frehner in Oberhasli. Die gut erhaltenen Buchdruckmaschinen kamen fortan für Stanzen, Prägen, Perforieren und weitere Arbeiten zum Zug, alles, was die Offset-Maschinen nicht leisten können. «Alles, was keine Verwendung mehr fand, wurde 2014 nach Hochdorf transportiert», erzählt er. «Dort haben wir mit Gleichgesinnten eine Buchdruckwerkstatt eingerichtet, in der wir dem Gutenberg’schen Handwerk frönen». Kein Museum sei es, sondern tatsächlich eine Druckerei, in der auch Events angeboten würden, inklusive Papierschöpfen, nachzulesen im «Höngger» Bericht vom neuen Hansheiri-Zweifel-Stübli in der Offizin zu Hochdorf, vom 29. September 2016.
Kein Ende in Sicht
2002 schliesslich erschien nach 35 ereignisreichen, schönen und hektischen Jahren die letzte Ausgabe der Höngger Quartierzeitung unter der Leitung der Egli-Brüder. Mit der Abgabe der Quartierzeitung wurde auch die Druckerei reduziert: Viele der Mitarbeitenden waren selbst im Pensionierungsalter und darüber. Seit 2003 führen Erich und Louis Egli den Druckereibetrieb als Zwei-Mann-Unternehmung mit Aushilfen. Dank der Initiative des mittlerweile verstorbenen alt Nationalrats Ernst Cincera gelang es, eine Nachfolgegesellschaft zur gründen und somit den Erhalt der Quartierzeitung zu sichern. Seither sind der Stiftungsrat und die Quartierzeitung Höngg GmbH für die Herausgabe des «Hönggers» verantwortlich. Reich im monetären Sinne seien sie nicht, sagen Erich und Louis, sie fahren keine teuren Autos, machen keine Luxusferien, dafür hat sie ihre bescheidene Vergangenheit zu stark geprägt. Das Geld sei auch nicht der Anreiz ihrer Arbeitswut. Sie hätten genügend andere Interessen, es würde ihnen bestimmt nicht langweilig werden. Mit der Pensionierung breche auch das berufliche Umfeld weg, zu oft hätten sie beobachtet, wie es dann auch mit der Person bald bachab gehe. «Man kann eine Maschine, die auf Hochtouren läuft, nicht einfach mittendrin abstellen und glauben, dass sie unbeschadet bleibt», meint Louis. Ans Aufhören denken beide nicht, denn auch die Mama hat bis zum vorletzten Tag gearbeitet, ehe sie kurz und schmerzlos niedersank.
Informationen zur Buchdruckwerkstatt unter www.weissundschwarzkunst.ch
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