Alter
Die Vorsorge für den Ernstfall
Schicksalsschläge wie Unfälle oder Krankheiten, die zum Verlust der Urteilsfähigkeit führen, lassen sich nicht verhindern. Was sich aber verhindern lässt, ist eine medizinische Behandlung, die nicht den eigenen Wünschen und Vorstellungen entspricht. Für diese Fälle gibt es die Patientenverfügung.
4. März 2025 — Dagmar Schräder
Es gibt Situationen im Leben, vor denen sich wohl alle fürchten. Dazu gehört das Szenario, aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls urteilsunfähig zu werden und auf die Unterstützung, Pflege und auch die Entscheidungen des Umfelds, von Angehörigen, der Ärzteschaft und Pflegeverantwortlichen angewiesen zu sein.
Wie kann man sich sicher sein, dass diese im eigenen Interesse entscheiden? Wie lässt sich verhindern, dass medizinische Massnahmen getroffen werden, die man selbst ablehnen würde? Oder drastischer formuliert: Wer entscheidet für Betroffene, wie lange deren Leben noch lebenswert ist, wenn dramatische Schicksalsschläge eintreten?
Für viele sind diese Vorstellungen zwar furchteinflössend, liegen aber noch in weiter Ferne. Gerne werden die Sorgen ignoriert und die Beschäftigung damit auf später verschoben, bedeutet sie doch auch eine explizite Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und dem Tod. Gleichzeitig haben die meisten Menschen jedoch klare Vorstellungen davon, welche Massnahmen sie für sich am Lebensende befürworten oder ablehnen würden.
Konkrete Wünsche festlegen
Damit aber diese Vorstellungen und Wünsche im Falle einer Urteilsunfähigkeit auch tatsächlich vom Fachpersonal berücksichtigt werden können, müssen sie schriftlich festgehalten werden – und dies bereits vor dem Eintritt einer Urteilsunfähigkeit. Auch den Angehörigen erleichtert es den Umgang mit bestimmten Situationen, wenn schriftliche Wünsche formuliert sind. Für diesen Zweck ist es möglich, eine Patientenverfügung aufzusetzen. Sie dient als Instrument, welches die medizinischen Fragen im Interesse der betroffenen Person regelt.
Konkret beinhaltet die Verfügung mehrere Punkte: So wird hier zunächst festgehalten, wer nach dem Gesetz und dem Willen der verfassenden Person vertretungsberechtigt wird. Auch die grundsätzlichen Einstellungen zum Leben und zum Tod werden thematisiert. Schliesslich werden die konkreten Behandlungsziele und medizinischen Massnahmen betrachtet: Die verfügende Person entscheidet, in welchen Situationen – wenn überhaupt – bei ihr eine Reanimation durchgeführt werden soll und erklärt, in welchem Rahmen lebenserhaltende oder lebensverlängernde Massnahmen durchgeführt oder unterlassen werden sollen.
Und wenn es keine Verfügung gibt?
Die Patientenverfügung tritt dann in Kraft, wenn die Urteilsunfähigkeit vorübergehend oder dauerhaft eingetreten ist und medizinische Massnahmen unternommen werden müssen. Für die Feststellung der Urteilsunfähigkeit ist ein Arzt zuständig.
Falls keine explizite Verfügung vorhanden ist, kommt das Erwachsenenschutzrecht (Artikel 378, ZGB) zum Tragen.
Dieses bestimmt der Reihe nach Personengruppen, welche Entscheidungsgewalt erhalten: Beistände, falls diese ein Vertretungsrecht bei medizinischen Massnahmen haben, Ehepartnerinnen, eingetragene Partnerinnen, Konkubinatspartnerinnen, Personen, die im selben Haushalt wohnen, Nachkommen, Eltern und Geschwister. Alle jedoch nur, wenn sie sich «regelmässig und persönlich kümmern und Beistand leisten». Ist von diesen Personengruppen niemand verfügbar oder bereit zu entscheiden, handelt das medizinische Personal «gemäss dem mutmasslichen Patientenwillen».
Vielzahl von Anbietern
Wer sich mit einer Verfügung absichern möchte, findet im Internet eine Vielzahl an Vorlagen und Dokumenten von den unterschiedlichsten Organisationen. So bieten etwa Pro Senectute, das Rote Kreuz, Exit, aber auch der Dachverband der Ärzteschaft FMH jeweils eigene Verfügungen an. Spezifischere Verfügungen, die sich auch auf konkrete Krankheiten beziehen, bieten Organisationen wie die Krebsliga oder Alzheimer Schweiz an.
Grundsätzlich gibt es in der Schweiz, wie eine Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft festhält, anders als in den Nachbarländern Österreich und Deutschland, kein standardisiertes Formular, sondern jeder Anbieter verfügt über ein eigenes. Deswegen unterscheiden sich die verschiedenen Verfügungen auch in ihrer Ausführlichkeit und der Detailliertheit der Angaben, welche die Menschen bezüglich ihres Willens machen können.
Ergänzt werden können die Verfügungen zudem durch Aussagen zu gewünschten Organspenden, zu Autopsie nach dem Tod oder zu Bestattung. Allgemein wird empfohlen, die Verfügung alle zwei Jahre anhand der aktuellen Vorstellungen und Wünsche zu aktualisieren und zu erneuern.
Auch für finanzielle Fragen kann vorgesorgt werden
Neben den medizinischen Fragen müssen im Falle einer Urteilsunfähigkeit natürlich noch eine Vielzahl weiterer Entscheidungen delegiert werden. Für finanzielle, persönliche und rechtliche Vertretung kann mit einem sogenannten Vorsorgeauftrag Abhilfe geschaffen werden. Hier wird genau geregelt, wer im Interesse der betroffenen Person handeln darf. Dabei kann es sich sowohl um eine natürliche Person als auch eine juristische Person, wie etwa eine Institution, handeln.
Wie die Patientenverfügung tritt auch der Vorsorgeauftrag bei Urteilsunfähigkeit des Betroffenen in Kraft, allerdings nur, wenn er, ähnlich wie ein Testament, von Anfang bis Ende handgeschrieben oder notariell beurkundet und durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) validiert wurde. Liegt kein Vorsorgeauftrag vor, sind lediglich Ehepartnerinnen oder eingetragene Partner*innen entscheidungsbevollmächtigt. Dies gilt jedoch nur für Alltagsgeschäfte. In allen anderen Fällen bestimmt die Behörde die Beistandschaft für den urteilsunfähig gewordenen Menschen.
Wer setzt eine Verfügung auf – und wer nicht?
Das Ziel der beiden Vorsorgeinstrumente Patientenverfügung und Vorsorgeauftrag ist die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts in der Schweiz. Mit dem im Januar 2013 in Kraft getretenen neuen Erwachsenenschutzgesetz wurde dieses auch gesetzlich verankert.
Und dennoch ist die Vorsorge noch lange nicht für alle ein Thema: Wie eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Pro Senectute aus dem Jahr 2022 ergab, liegt der Anteil der Bevölkerung, der eine Patientenverfügung verfasst hat, bei 24 Prozent der rund 1200 befragten Personen, 18 Prozent waren im Besitz eines Vorsorgeauftrags.
Dabei sind nicht nur in den verschiedenen Altersgruppen Unterschiede auszumachen – bei den über 65-Jährigen liegt der Anteil derjenigen, die eine Patientenverfügung aufweisen können, bei 53 Prozent – sondern auch regionale: In der Deutschschweiz sind die Vorsorgeinstrumente offensichtlich besser bekannt als in der Westschweiz und im Tessin.
Wie setze ich eine Patientenverfügung auf?
Hubert Kausch, Verantwortlicher für Patientenverfügungen beim Schweizerischen Roten Kreuz Kanton Zürich, beantwortet praktische Fragen.
Im Fokus: Wertvolle Jahre
Der «Höngger» veröffentlicht in diesem Jahr erneut die Reihe «Wertvolle Jahre», die sich der Lebensrealität von betagten Menschen widmet
Diese Artikel entstehen mit freundlicher Unterstützung der Luise Beerli Stiftung, die sich für solche Menschen stark macht.
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