Kultur
Der unsichtbare Autor
An einem Sonntagnachmittag trugen sich in einem Keller in Höngg höchst rätselhafte Dinge zu. Und das Forum Höngg schuf ganz nebenbei eine neue Performance-Disziplin.
7. Februar 2018 — Patricia Senn
Es war ein ungewöhnlich warmer Januartag, die Sonne hatte viele Spaziergänger an die Limmat gelockt, bald war es Zeit für den Apéro, der den gemütlichen Sonntagabend einläuten würde. Im Kulturkeller des GZ Höngg hatten sich rund zwanzig Menschen auf lose verteilten Stühlen niedergelassen, ein Hauch von Nervosität lag in der Luft, fast nicht bemerkbar. Routiniert servierte der Barkeeper seine Drinks, während der Techniker an einer letzten Lampe schraubte. Alles war bereit für den Auftritt des Autors Michael Theurillat. Der gebürtige Basler und ehemalige Banker hatte im letzten Jahr den Zürcher Krimipreis für seinen fünften Kriminalroman «Wetterschmöcker» verliehen bekommen und sollte dem Höngger Publikum nun daraus vorlesen. Um fünf vor vier fehlte jedoch noch jede Spur von ihm. Fragende Blicke bei den Gästen, stählerne Nerven beim Team des Forum Hönggs. Leise besprach es sich, lange durfte man die Leute nicht warten lassen. Der Zeiger rückte auf vier Uhr vor, Theurillat blieb abwesend. War er etwa selber Opfer eines Kriminalverbrechens geworden? War er als Rheinschwimmer unterwegs in die eiskalte Limmat gefallen und lag jetzt unterkühlt im Waidspital? Oder war er an der langen Rot-Periode am Meierhofplatz verzweifelt und umgekehrt? Man wird es wohl nie erfahren. Eine talentiertere Autorin könnte aus dem Stoff vielleicht selber einen Kriminalroman verfassen.
Impro-Lesung
In dieser brenzligen Situation nun zeigte sich die Stärke der Gruppe des Forum Hönggs: Improvisationstalent. Eine Dame, die Theurillat zum ersten Mal live erleben wollte, hatte drei Bücher des Krimipreisträgers mitgenommen, um diese nach der Lesung signieren zu lassen. Darunter auch den aktuellen Roman «Wetterschmöcker». Spontan und auch mutig bot sie an, ein paar Seiten daraus vorzulesen, damit das Publikum nicht ganz umsonst angereist sein würde. Als grosser Fan des Autors wusste sie auch einiges über seinen persönlichen Hintergrund und die Vorgängerromane zu berichten. Und sie pickte sich just das Kapitel heraus, das Theurillat auch an der Preisverleihung des Zürcher Krimipreises vorgelesen hatte. Damit nicht genug: An einer Stelle fragt der Hauptprotagonist Kommissar Eschenbach den «Wetterschmöcker», ob es auch sein könnte, dass seine – vermisste – Nichte den Termin einfach vergessen habe. Oh, so viele Koinzidenzen, war das noch Zufall? Oder steckte mehr dahinter? Nun, auch nachdem die Frau des Barkeepers ein Kapitel in schönstem Bühnendeutsch vorgetragen hatte, lies sich das Rätsel um den verschwundenen Autor nicht lösen. Die beliebten «Fragen und Antworten» konnte die Impro-Lesung leider doch nicht ersetzen. Aber die Gelassenheit und «eiskalte» Reaktion der Organisatoren war durchaus krimireif.
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