Gewerbe
Der Höngger Figaro
Pino Sette ist seit 37 Jahren Coiffeur mit Leib und Seele und noch kein bisschen müde. Seine Inspirations- und Energiequelle findet er in der Weiterbildung an italienischen Coiffeur-Schulen.
13. Mai 2019 — Patricia Senn
Von aussen lässt das Gebäude nicht erahnen, was einem in seinem Inneren erwartet. Der Coiffeur Da Pino hat seinen Salon vor 27 Jahren an der Limmattalstrasse 252 eingerichtet, und wer den langgezogenen Raum betritt, den umhüllt sogleich einen Hauch von Glamour und Geschichte. Die grossen, golden gerahmten Spiegel an den Wänden, jedes ein Einzelstück, sollen den Gästen ein einzigartiges Erlebnis bescheren, so hat es Pino Sette, Coiffeur mit Leib und Seele, vorgesehen. Er ist ein «Figaro» der alten Schule. Wobei nichts an seinem Arbeitsstil altmodisch, und die Schule für den 56-Jährigen noch lange nicht aus ist. Im Gegenteil. Weiterbildung ist sein Lebenselixier, mit dem er das Feuer für seinen Beruf immer noch am Brennen hält. Mehrmals im Jahr reist Sette nach Italien. In den Weltstädten Bologna, Florenz und Milano lässt er sich in den neuesten Schnitttechniken, Trends, Materialien und Einrichtungen weiterbilden. «Ich höre mir die Vorträge gerne an, aber ich möchte das Gelernte auch gleich selber ausprobieren», erzählt der gebürtige Italiener. Die neuen Technologien, wie eine Farbpalette von Anival, einem italienischen Familienunternehmen, böten heute viel mehr Möglichkeiten, wirklich auf die verschiedenen Haartypen einzugehen. «Da kann ich mit Ein-Gramm Mengen arbeiten, solche feinen Nuancen waren früher nicht möglich». So werde das Friseurhandwerk noch einmal richtig herausgefordert, ein Umdenken müsse stattfinden. Eine Hirnübung, die Sette Spass zu machen scheint.
Immer besser werden
Sein Wissensdurst zeigte sich schon früh. Im zweiten Lehrjahr bei Rudolf Haene, seinerzeit selber ein Pionier in der Branche, spürte Sette erstmals, dass ihm das Gelernte nicht reichte. Nach seinem Abschluss und zwei Jahren bei Zülle Coiffure, sammelte er bei einem Coiffeur in Dübendorf die nötige Erfahrung in Betriebsführung, bevor er schliesslich mit 24 Jahren den Sprung in die Selbstständigkeit wagte. Im Kreis 4 bot sich eine Gelegenheit, einen Betrieb mit drei Angestellten zu übernehmen. Fast gleichzeitig lernte er die Schule in Florenz kennen, ein Augenöffner für den jungen Mann. «Obwohl ich die Lehre bei einem renommierten Friseur gemacht hatte, realisierte ich plötzlich, dass ich eigentlich nur die Basis des Haareschneidens begriffen hatte», erzählt er rückblickend. Den ersten Kurs, den er in Italien besuchte, musste er wiederholen, «nach zwei Tagen Weiterbildung sagte ich zum Leiter: <Es tut mir leid, ich arbeite zwar schon seit sechs Jahren auf diesem Beruf, aber ich habe nichts von dem verstanden, was Sie mir vermitteln wollen>». Daraufhin durfte er mit den Erstlehrjahrstiften mitlaufen, um die Grundlagen zu lernen. «Da hat es bei mir Klick gemacht», sagt Sette, und seine Augen leuchten. Er lernte, das Verhalten von Haarwirbeln zu verstehen, «der Wirbel muss sich füllen, muss sich den eigenen Weg suchen, mit Bürsten kann man die Form suchen», darauf baute er auf. Er schneidet selbst Männer zu 97 Prozent mit der Schere, nicht mit der Maschine, obwohl er damit schneller wäre und mehr Kunden bedienen könnte. «Es stimmt, im Endeffekt brauche ich bestimmt mehr Zeit als andere Coiffeure, aber das interessiert mich nicht». Er hat hohe Ansprüche an sich und seine Arbeit, will es immer besser machen, selbst wenn nicht alle einen Unterschied erkennen mögen. «Aber meine Kund*innen schätzen mein Handwerk, dafür kommen sie auch von weit her».
Die Schönheit herausarbeiten
Ein Haarschnitt ist mehr als nur ein Haarschnitt. Pino Sette betrachtet unauffällig die ganze Person, ihre Proportionen, ihren Stil, ihre Gestik und Haltung. Je mehr die Frisur der Persönlichkeit entspricht, desto authentischer wirkt sie. «Jede Person hat ausserdem eine andere Schädelform, eine andere Gesichtsform, deshalb sieht dieselbe Frisur bei jedem anders aus». Es störe ihn nicht, wenn Kund*innen mit Fotos zu ihm kommen, denn zwischen der eigenen Vorstellung, dem Beschreiben und der Vorstellung, die im Kopf des Zuhörers entsteht, liege viel Raum für Missverständnisse. So könne er immerhin abschätzen, was sich die Person wünscht, auch wenn sich die Bilder teilweise sogar widersprächen. «Meine Aufgabe als Coiffeur ist es dann, aufzuzeigen, was wieso funktioniert – und was eben nicht», erklärt Sette. Und herauszufinden, welche Alternative für die Kund*in passend wäre. Ohne Vorstellungkraft geht das nicht. Und manchmal brauche es auch Überzeugungsarbeit: «Für manche ist es zum Beispiel ungewohnt, dass ich ihr Gesicht herausarbeiten, es betonen möchte», sagt Sette, «die meisten möchten sich instinktiv eher verstecken». Wenn sie sich trauen und dann glücklich sind damit, ist es für ihn die grösste Bestätigung. Seinen jüngeren Kollegen kann er nur ans Herz legen, sich frühzeitig weiterzubilden, um immer auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben. «Ich bin überzeugt, dass die Leidenschaft für unseren spannenden, aber auch strengen Beruf dadurch länger anhält – bei mir ist das jedenfalls noch immer der Fall».
0 Kommentare