Der Donnerstag gehört nur ihnen

Der Kirchenkreis sechs bietet mit der «Drehscheibe Demenz» ein breites Angebot für Demenzbetroffene und ihre Angehörigen. Im «Dunnschtigs-Club» etwa verbringen Angehörige und Betroffene den Nachmittag gemeinsam. Ein Beitrag der Serie «Wertvolle Jahre».

Symbolbild Freepik.

An diesem Donnerstagmittag trifft sich die Gruppe im Kirchgemeindehaus Oberstrass. Bereits kurz nach elf Uhr treffen die ersten Gäste ein. Karin Sommer, Demenzfachperson und Leiterin des «Dunnschtigs-Clubs» sowie Monika Hänggi, Sozialdiakonin und Co-Projektleiterin, empfangen die Besucherinnen herzlich. Man kennt sich, begrüsst sich, tauscht Neuigkeiten aus.

Nach und nach tröpfeln auch die anderen Teilnehmenden herein. Sie kommen nicht nur aus der näheren Umgebung, sondern reisen aus der ganzen Stadt an. Manche werden von ihren Angehörigen hierher begleitet, andere kommen mit dem Taxi, einige bewältigen die Anreise alleine mit dem öV.

Tagesstruktur bieten

Die Runde ist nun komplett, acht Personen zählt der «Dunnschtigs-Club» heute. Seit August 2021 existiert das Angebot, entstanden ist er aus dem Sing-Café, das im Rahmen des «Drehscheibe Demenz»- Angebots ebenfalls im Kirchenkreis durchgeführt wird. Seither treffen sich von Demenz Betroffene und Angehörige jeden Donnerstag im Kirchenkreis sechs, von 11.30 bis 17 Uhr.

Das Angebot dient einerseits als Entlastung für pflegende Angehörige, andererseits aber auch als Möglichkeit, ungezwungen Zeit miteinander zu verbringen – in einem sicheren und betreuten Rahmen. Zunächst wird gemeinsam gegessen, anschliessend wird ein Programm geboten – Spiele, Spaziergänge, auch Ausflüge werden zusammen unternommen.

Dabei wechselt die Lokalität zwischen den Kirchgemeindehäusern Ober- und Unterstrass. Teilnehmen können alle, das Angebot ist kostenlos, zu bezahlen ist jeweils nur das Mittagessen. Begleitet wird es von Karin Sommer sowie Pfarrer Daniel J. Frei.

Entlastung und Gemeinschaft

Heute fällt das Essen ein wenig einfacher aus als gewohnt, weil die Köchin im Kirchgemeindehaus Unterstrass krank ist. Deshalb bleibt die Gruppe hier. Im Foyer ist ein langer Tisch gedeckt, Salat und Wähen werden serviert. Beim Essen wird geplaudert: Die Organisatorinnen erkundigen sich bei E., wie es ihm und seiner Frau geht.

Er ist einer der Teilnehmenden, die den «Dunnschtigs-Club» schon seit Beginn regelmässig besuchen. Seit Kurzem wohnt er gemeinsam mit seiner Frau in einer Pflegeeinrichtung. Nun reist er donnerstags jeweils alleine an, seine Frau ist nicht mehr so mobil und kann mittlerweile an den Angeboten nicht mehr teilnehmen.

Er aber ist sehr gerne dabei: «Ich finde es super, dass die Kirche dieses Angebot bietet und Karin und Daniel uns hier jeden Donnerstag empfangen und betreuen», erläutert er seine Motivation. Es mangelt ihm aber auch nicht an Ideen, wie das Programm noch erweitert werden könnte: Noch mehr Bewegung, Turnen, oder besser noch Tanzen, das würde er sich wünschen.

Auch R. und ihr Partner H. sind praktisch jeden Donnerstag dabei. Sie sind beide bereits über 90, wohnen noch zusammen in der gemeinsamen Wohnung. Er ist Demenzbetroffener, sie pflegt ihn zu Hause. «Manchmal komme ich da schon ein wenig ans Limit», gesteht sie. Deshalb schätze sie auch das Angebot des «Dunnschtigs-Clubs» so sehr, erklärt sie. Als Entlastung, aber auch als gemeinsames Freizeitangebot.

Manchmal bleibt sie nur zum Mittagessen und holt ihn dann am Ende der Veranstaltung wieder ab, manchmal geniesst sie es aber auch, den ganzen Nachmittag mit ihm hier zu verbringen. Gerne hilft sie auch den beiden Organisatorinnen, wenn Unterstützung notwendig ist.

Lachen tut gut

Die Mägen sind nun angenehm gefüllt, die anwesenden Raucherinnen haben draussen gemeinsam ihre Rauchpause eingelegt, es wird Zeit für den zweiten Teil des Programms. Die Gruppe begibt sich ins Untergeschoss, in die Pellikan-stube. Zwei junge Lernende der Spitex, die hier im Haus ihre Ausbildungslokalität haben, kommen hinzu, sie begleiten das Nachmittagsprogramm.

Für die Lernenden ist es Teil ihrer Ausbildung, für die Organisator*innen eine zusätzliche Unterstützung: «Die Hilfe durch die Spitex-Lernenden ist für uns sehr wichtig, insbesondere an den Tagen, an denen wir draussen mit der Gruppe unterwegs sind», erklärt Pfarrer Frei. Und an Tagen wie diesem, wo die Gruppe im Haus bleibt, stelle der Besuch der Lernenden eine wertvolle Ergänzung dar, so Frei weiter.

Er erzählt den Teilnehmenden jetzt eine Geschichte, ein Kinderbuch, mit vielen Bildern illustriert. Es ist kurz vor Ostern, deswegen handelt die Geschichte sinnigerweise vom Küken, das unbedingt an Ostern ausschlüpfen wollte. Und deshalb drei Dinge beachten muss, um den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen. Das gibt der Gruppe die Gelegenheit, ihr Wissen aufzufrischen. Wann findet Ostern statt? Wovon ist der Zeitpunkt abhängig? Ein angeregtes Gespräch entsteht, der Pfarrer ist mit seinem Fachwissen gefragt.

Danach übernimmt Karin Sommer. Sie hat ein Spiel vorbereitet. Sie hat Kärtchen gedruckt, auf denen jeweils vier Begriffe stehen. Nun gilt es, herauszufinden, welcher der vier Begriffe nicht so recht zu den anderen passt. Klingt einfach, ist aber gar nicht so banal, die Begriffe sind komplex. Zum Beispiel «Krokus – Dahlie – Hyazinthe – Tulpe». Was passt nicht hinein? Die Teilnehmenden bilden Dreiergruppen und beginnen zu diskutieren.

Ohne Berührungsängste mischen sich die Gruppen, auch die beiden jungen Frauen von der Spitex und Pfarrer Frei spielen mit. Es wird eifrig diskutiert und herzlich gelacht. Und es gibt auch nicht nur eine richtige Lösung, alle Antworten werden angehört und akzeptiert.

Wohltuend anders

Das Angebot des «Dunnschtigs-Clubs» sei anders als die meisten anderen, findet D. Vielleicht ein wenig Normalität in einem Alltag, der tagtäglich schwieriger wird. Auch sie ist an Demenz erkrankt. Bis vor Kurzem lebte sie noch alleine, jüngst ist aber eine Freundin bei ihr eingezogen, die sie nun etwas unterstützt.

D. schätzt das Angebot aus verschiedenen Gründen: «Ich finde es sehr schön, wie wir hier gemeinsam Zeit verbringen, den Nachmittag geniessen können. Es treffen hier sehr unterschiedliche Personen aufeinander, die sich aber auf einem ähnlichen Niveau begegnen und die Möglichkeit erhalten, unterhaltsame Dinge miteinander zu erleben – so, wie es die Gesundheit erlaubt. Wir werden betreut, aber nicht überbehütet, es herrscht keine Spital- oder Heimatmosphäre, sondern ein lockeres und ungezwungenes Beisammensein.»

Das Angebot beinhalte eine schöne Mischung an unterschiedlichen Aktivitäten, sie fühle sich richtiggehend verwöhnt, ergänzt sie. Und sie ist sich ihrer Situation durchaus bewusst: «Ich weiss, dass ich immer mehr Unterstützung brauchen werde. Deswegen geniesse ich es hier im «Dunnschtigs-Club», solange es noch geht. Das ist viel besser als zu Hause rumzuhocken.»

Ein selbstverständlicher Platz

Das Angebot der «Drehscheibe Demenz» umfasst jedoch noch weit mehr als nur den «Dunnschtigs-Club». Die reformierte Kirchgemeinde Zürich hat es sich zum Ziel gesetzt, zur «demenzsensiblen» Kirchgemeinde zu werden. Das beinhaltet Veranstaltungen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen wie Hirntraining, Bewegungsangebote, Tanz- und Sing-Cafés, aber auch Infoveranstaltungen, Beratungen, Filmnachmittage und sogar gemeinsame Ferien.

Zudem stehen den Betroffenen niederschwellige Beratungen und Seelsorge sowie ein Vernetzungsangebot mit Personen und Institutionen, die in denselben Bereichen tätig sind, zur Verfügung. Mit ihrer Arbeit, so das Credo der Projektverantwortlichen, wollen sie sich dafür einsetzen, das Thema Demenz zu enttabuisieren und Betroffenen ihren «selbstverständlichen Platz in der Kirche und der Gesellschaft» zuzugestehen.

Denn, so lautet der erste Leitsatz der «Drehscheibe Demenz»: «Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar und ist nicht abhängig von dessen Fähigkeiten und Leistungen. Deshalb darf der Lebenswert demenzerkrankter Menschen und ihrer Angehörigen nicht infrage gestellt werden.»

Der «Dunnschtigs-Club», das wird an diesem Nachmittag deutlich spürbar, wird diesem Leitspruch bestens gerecht.

Drehscheibe Demenz

Neben dem «Dunnschtigs-Club» bietet die «Drehscheibe Demenz» im Kirchenkreis sechs ein umfassendes Angebot für Demenzbetroffene und Angehörige, darunter das Sing-Café, Bewegung im Sitzen, Tanz-Café, aber auch Informationsanlässe und Angehörigentreffpunkte.

Quelle und Kontakt:
Kirchenkreis sechs, www.reformiert-zuerich.ch/sechs

Weitere Angebote für Menschen mit Demenz

Auf der städtischen Website werden 20 Anlaufstellen gelistet. Hier eine Auswahl:

Alzheimer Zürich
Das Angebot von Alzheimer Zürich (ALZ), eine Sektion von Alzheimer Schweiz, umfasst laut der Website Beratung, Unterstützung, Begleitung und Schulung von Menschen mit Demenz, deren Angehörigen und deren Umfeld. Unter den Angeboten ist das «ALZ-Gipfeltreffen», das im Pfarreizentrum Guthirt in Wipkingen stattfindet. Die inhaltliche Gestaltung richtet sich nach den Interessen und Ressourcen der Teilnehmenden.
Quelle und Kontakt:
www.alzheimer-schweiz.ch/de/zuerich

Städtische Tageszentren
Im Tageszentrum vom Gesundheitszentrum für das Alter Bombach in Höngg, aber auch in den Zentren Entlisberg, Mattenhof und Riesbach, können gemäss der Website pflegebedürftige Menschen den Tag verbringen, regelmässig übernachten oder Ferien geniessen.
Quelle und Kontakt:
www.stadt-zuerich.ch/gesundheitszentren

Verein Treffpunkt Demenz und Kultur
Mit diesem Angebot werden Menschen mit einer Demenz angesprochen, die zu Hause leben und am öffentlichen Leben teilnehmen wollen, wie es auf der Website der Stadt Zürich heisst. Dazu gehören das «Atelier Mobile», das mit Malmaterialien unterwegs ist, und «Uf is Grüene» mit Ausflügen.
Quelle und Kontakt:
www.demenz-kultur.ch

Pro Senectute
Die private und gemeinnützige Stiftung setzt sich seit über 100 Jahren für das Wohl älterer Menschen ein, wie sie auf ihrer Website schreibt. Sie bietet Beratung, Dienstleistungen, Kurse und Veranstaltungen an. Ein wichtiger Pfeiler ist etwa Beratung zur Vorsorgeregelung, die sich an Personen richtet, die selbstbestimmt vorsorgen möchten – auch im Falle einer Urteilsunfähigkeit.
Quelle und Kontakt: www.pszh.ch

Selbsthilfe Zürich
Selbsthilfe Zürich ist die Informations- und Beratungsstelle rund um das Thema gemeinschaftliche Selbsthilfe und Selbsthilfegruppen in der Stadt Zürich und umliegenden Regionen, wie auf der Website nachzulesen ist. Es sind auch Gruppen zum Thema Demenz zu finden, etwa Treffen für Angehörige oder Treffen für Betroffene und Angehörige.
Quelle und Kontakt:
www.selbsthilfezuerich.ch

Im Fokus: Wertvolle Jahre

Der «Höngger» veröffentlicht verschiedene Artikel, die sich der Lebensrealität von Betagten und Menschen mit Behinderung widmen. Diese Reihe entsteht mit freundlicher Unterstützung der Luise Beerli Stiftung, die sich für solche Menschen stark macht.

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