Quartierleben
Den Einstieg in die Arbeitswelt finden
Die Espas-Stiftung feiert diesen Samstag ihren 30. Geburtstag. Das Sozialunternehmen ist seit 1990 im Rütihof ansässig und bietet Menschen mit körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen Unterstützung, um den Schritt ins Erwerbsleben zu schaffen.
28. Juni 2012 — Redaktion Höngger
Marcel Fluri, Geschäftsführer der Espas-Stiftung, ist stolz auf «seine» Leute: Verteilt auf vier Etagen arbeiten im Gebäude an der Naglerwiesenstrasse 4 rund 400 Menschen. Davon sind etwa 320 entweder körperlich oder psychisch behindert. «Diese 320 Menschen arbeiten bei uns wie in einem normalen Betrieb, einfach etwas langsamer – das heisst, es braucht mehr Leute, um eine Arbeit genauso speditiv auszuführen wie im Arbeitsmarkt ‹draussen›». Festhalten möchte der engagierte Geschäftsführer, welcher seit 22 Jahren bei der Espas arbeitet, dass sein Betrieb keine «geschützte Werkstätte» sei: «Wir bieten Dienstleistungen für Firmen – seien dies administrative Arbeiten wie Korrespondenz und Bestellungsabwicklung oder IT-Services.» Diese Aufzählung ist bei weitem nicht abschliessend: Buchhaltung, elektronisches Datenmanagement, Telefonservice und industrielle Dienstleistungen wie ein Lager samt Versandabteilung und eine Wäscherei gehören ebenso dazu.
Den Staub abgeschüttelt
Früher seien Organisationen, welche sich in den Dienst Behinderter stellten, oft etwas verstaubt daher gekommen, so Marcel Fluri. «Espas hat sich den Staub abgeschüttelt und ist seit vielen Jahren dynamisch und voller Leben. Der Name Espas kommt übrigens vom französischen ‹Raum› und soll zeigen, dass wir Räume für Menschen schaffen, in denen sie arbeiten können.» Wohnen kann man bei der Stiftung indes nicht, die meisten der Angestellten wohnen alleine oder in Wohngemeinschaften.
Wer arbeitet bei der Espas-Stiftung?
«Zu uns kommt man, wenn man zum Beispiel durch einen Unfall behindert geworden oder dies von Geburt an ist, oder wenn man wegen psychischen Problemen nicht mehr arbeiten kann», erklärt der Geschäftsführer. Das Bundesamt für Sozialversicherungen arbeitet eng mit der Stiftung zusammen, denn oft können so zumindest teilweise die Ausgaben für IV-Renten eingespart werden. «Die Invaliditätsversicherung, kurz IV, meldet die Leute bei uns an, und wir klären dann deren Eingliederungsfähigkeit ab.»
Wie viele Prozente kann gearbeitet werden?
Mittels Belastbarkeits- und Aufbautrainings, Abklärungen und Arbeitstrainings finden alle Beteiligten heraus, wie viele Prozente die handicapierte Person noch arbeiten kann. «Bei den Arbeitsplätzen, die die Espas selbst bietet – sie werden Integrationsplätze genannt – müssen die Leute mindestens vier Stunden pro Tag arbeiten können. Dies gibt ihnen auch eine wichtige Struktur im Leben», unterstreicht Marcel Fluri. Für viele seiner Angestellten sei schon bloss das Aufstehen, unter die Leute gehen und sich auf etwas zu konzentrieren eine grosse Anstrengung. Doch wenn es einmal ‹intus› sei, dann blühten die Frauen und Männer im Alter von 16 bis etwa 55 Jahren richtig auf: «Sie merken, dass sie gebraucht werden und geben ihr Bestes.» Zudem verdienen sie so ihr eigenes Geld, und die IV bezahlt weniger Rente aus. Da heute laut Marcel Fluri viele junge Menschen psychische Probleme haben, bietet das Unternehmen auch 30 Ausbildungsplätze an, die sich mit einer Berufslehre vergleichen lassen. Immer gefragt sind Praktika bei externen Firmen, da sie einen Einblick in den Arbeitsalltag «draussen» bieten. Solche Praktika dauern drei bis sechs Monate. Der Betrieb muss dem Praktikanten keinen Lohn bezahlen und erhält Unterstützung von Espas, da der Umgang mit Handicapierten für die meisten Betriebe neu ist.
Gleiche Wertschätzung erfahren
Übrigens wolle so gut wie niemand ein IV-Fall werden: «Das ist auch heute noch eine Zwei, die man auf dem Rücken trägt. Der IV-Missbrauch beträgt gemäss Studien bloss etwa ein bis zwei Prozent», klärt Marcel Fluri auf. In den letzten Jahren hätten die psychischen Erkrankungen massiv zugenommen: Nur etwa 20 Prozent der Beschäftigten bei Espas sind körperlich behindert, 80 Prozent machen die psychisch behinderten Angestellten aus. Unter psychisch behindert versteht man Krankheiten wie Depressionen, Angststörungen, Zwangshandlungen oder Schizophrenien, die allesamt chronisch geworden sind. Geistig Behinderte gibt es bei Espas übrigens nicht, für sie sind andere Institutionen zuständig. Was ist für Marcel Fluri auch nach 22 Jahren noch Anreiz, all seine Energie in die Espas zu stecken? «Es ist eine Herausforderung, das Soziale mit dem Wirtschaftlichen zu verbinden. Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen mit sozialem Auftrag geworden, und das ist gut so. Ich möchte, dass die Menschen hier die gleiche Wertschätzung für ihre Arbeit erhalten wie die Menschen im realen Arbeitsalltag. Das ist mein Ziel.»
Weitere Infos: www.espas.ch. Espas, Naglerwiesenstrasse 4, Bushaltestelle «Heizenholz».
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