Dagmar schreibt: Wäschschulden

Unsere Redaktorin Dagmar Schräder schreibt über die grossen und kleinen Dinge des Lebens. Heute über die Krux mit der Wäsche.

Dagmar Schräder liebt es zu schreiben. (Foto: Jina Vracko)

Heute früh ist es mir angesichts des immensen Wäschebergs und des verzweifelten Versuchs meines Sohnes, in diesem Chaos frische Socken zu finden, wie Schuppen von den Augen gefallen: Wäsche ist wie eine Schuldenfalle. Jetzt endlich habe ich das Prinzip verstanden, wie man in eine Schuldenspirale gerät. Und das geht so: Man hat Stress. Keine Zeit. Muss die Wäsche waschen, aber auch zum nächsten Termin eilen. Und abends ist man zu müde und schafft es nicht, noch einen zusätzlichen Waschgang zu starten. Also bleibt etwas liegen. Der Haufen ist nicht ganz weggewaschen. Und bis zum nächsten Waschtag häufen sich wieder die üblichen Verdächtigen dazu. Unerbittlich. Berge von Unterwäsche, T-Shirts und Jeans.

Eine Woche später, wieder Wasch­tag. Nochmals kommt was Doofes dazwischen. Und der Schuldenberg wächst. Bis fast zur Decke. Mittlerweile schaffe ich es jeweils nur noch, die oberste Schicht abzutragen, unten im Wäschekorb schlummern dreckige Kleider, die schon seit Monaten auf die Maschine warten, aber immer vom grad akuten Berg zugedeckt werden. Meine Gläubiger*innen, die Kinder, warten immer länger auf die Beglei­chung der Schulden. Die Lieblingspullover sind verschwunden, passende Socken sind Mangelware. Die Stimmung morgens ist gereizt.

Also reagiere ich und nehme in meiner Verzweiflung einen Wäschekredit auf. Kaufe neue Socken. Damit morgens Ruhe ist. Kurzfristig entspannt sich die Situation tatsächlich. Genau so lange, bis die neuen Socken alle schmutzig sind und auch auf dem Haufen landen.

Und damit wird die Schuld immer grösser. Der Berg wächst unkontrollierbar, die psychische Belastung steigt. Stimmung auf dem Tiefpunkt. Weitere Kredite aufnehmen erscheint verlockend, aber nachhaltig ist das nicht …

Wie soll das nur weitergehen? Jetzt kommt’s: Die Lösung ist nahe. Hier unterscheidet sich das Wäschedesaster nämlich deutlich von der Finanzkrise. Ich als Schuldnerin kann mich aus eigener Kraft aus der Krise befreien – indem ich meine Gläubiger*innen auffordere, die Schulden selbst zu begleichen. Ich versammle also meine bemitleidenswerten Kinder um mich, von denen keines ein passendes Paar Socken trägt, und wage einen Versuch der Entschuldung: «Wascht eure Wäsche selber», rufe ich ihnen zu. Ob’s funktioniert? Keine Ahnung. Im Moment stecke ich noch in der Schuldenfalle.

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