Das 1x1 des Ablebens
Braucht Anton eine Patientenverfügung?
Patientenverfügungen gibt es schon lange, doch erst seit 2013 sind sie rechtlich klar bindend. Doch braucht man überhaupt eine? Was steht da drinnen und was passiert, wenn keine Patientenverfügung ausgefüllt wurde? Fragen über Fragen, die Anton beantwortet haben will.
29. August 2018 — Fredy Haffner
Der Mensch unterscheidet sich vom Tier mitunter dadurch, dass er sich seiner Endlichkeit bewusst ist. Natürlich, irgendwann sterben wir alle, so viel ist klar – doch mit dieser «Erkenntnis» ist es in der Regel auch schon getan, denn wer setzt sich schon ohne aktuellen Anlass gerne mit dem eigenen Tod auseinander? Und dabei ist der Tod ja nur das Finale, von dem man sich erhofft, er möge möglichst spät und dann schnell und schmerzfrei eintreten, am besten im Schlaf. Verdrängt wird dabei gerne der Gedanke an eine mögliche Leidenszeit vor dem eigentlichen Tod, eine Zeit, in der man infolge einer Erkrankung oder eines Unfalls nicht mehr in der Lage ist, selbst darüber zu entscheiden, ob und wie man überhaupt behandelt werden möchte. Seit Anfang Januar 2013 das neue Erwachsenenschutzrecht in Kraft trat, ist im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) der Umgang mit Patientenverfügungen geregelt. Auch für den in diesem Fokus-Thema erfundenen Anton.
Was ist eine Patientenverfügung?
In einer Patientenverfügung wird festgehalten, welchen medizinischen Behandlungen man im Fall einer künftigen Situation zustimmen möchte, in der man nicht mehr in der Lage ist, diesen Willen selbst zu äussern. Solange man also noch urteilsfähig ist und seinen eigenen Willen direkt mitteilen kann, entfalten Patientenverfügungen keine Wirkung.
In Patientenverfügungen werden in erster Linie Behandlungsmassnahmen definiert, die man nicht möchte. Da aber wird es bereits komplizierter: Einfach festzuhalten, man wolle «keine Schläuche» – wie es Anton im Gespräch am Familientisch und unter Freunden so leicht definiert – ist keine differenzierte Meinung, denn schon ein einfacher Blasenkatheter ist auch ein «Schlauch». Oder wenn Anton sagt, er wolle sicher keine Schmerzen leiden, muss er sich klar darüber sein, dass eine hohe Schmerzmedikation sein Bewusstsein trübt, er also so sediert sein kann, dass er seine Umgebung nicht mehr wahrnimmt.
In zweiter Linie definiert man, welche Behandlungsmethoden man im Fall der Fälle möchte. Dies besonders im palliativen Bereich, jenem Teil der Medizin, in dem es darum geht, Patient*innen mit einer fortgeschrittenen Erkrankung oder begrenzter Lebenserwartung nur noch auf ihr Wohlbefinden hin zu behandeln, also zum Beispiel Schmerzen und andere Beschwerden zu behandeln. Die Krankheit wird dabei nicht mehr ursächlich behandelt.
Als Anton sich die verschiedenen Patientenverfügungen ansieht (auf die in der Infobox zu diesem Artikel verwiesen wird), sieht er schnell ein, dass er, der kein breites medizinisches Vorwissen hat, seine Patientenverfügung mit seinem Hausarzt besprechen sollte.
Soll Anton eine Patientenverfügung ausfüllen?
Laut ZGB ist jede urteilsfähige Person berechtigt, eine Patientenverfügung auszufüllen, also «jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störungen, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln». Anton darf also.
Gemäss einer im Auftrag von Pro Senectute Schweiz vom Forschungsinstitut GFS 2017 verfassten Studie haben bislang jedoch erst 22 Prozent der Bevölkerung eine Patientenverfügung ausgefüllt (Details siehe Artikel zum KESR). Auch Anton nicht.
Nebst den einleitend genannten Gründen hat ihn die vermeintliche Komplexität des Themas bisher abgeschreckt. Er ist nicht alleine: Schon die Unterscheidung von Patientenverfügung und Vorsorgeauftrag gelingt nicht immer, wie eine Veranstaltung der Reformierten Kirche Höngg vor überwiegend älterem Publikum diesen März zeigte. Und dann noch das Formale, das eingehalten werden muss, damit das Verfasste dann auch gültig ist. Ganz zu schweigen davon, dass man sich mit medizinischen Begriffen und Behandlungsmethoden vertraut machen muss und das Thema auch mit den engsten Bezugspersonen besprechen sollte.
«Jeder Mensch sollte eine Patientenverfügung verfassen, damit er sich alles mal überlegt und damit seinen Nächsten klar ist, wer ihn vertreten soll. Dafür reicht selbst die einfachste Variante völlig», macht Dr. von Rechenberg dem zweifelnden Anton Mut. Als Hausarzt sei er froh, wenn seine Patient*innen sich dem gestellt haben, fügt er an. Auch wenn es längst selbstverständlich sei, dass die behandelnden Ärzte, vermehrt auch im Spital, Behandlungspläne mit den Angehörigen von Urteilunfähigen besprechen und gemeinsam festlegen, wie in welchen Situationen zu verfahren ist. Spitalärzte würden auch den Hausarzt konsultieren, um patientengerecht entscheiden und dem mutmasslichen Patientenwillen entsprechen zu können.
Doch man soll sich auch keine Illusionen machen: Selbst die detaillierteste Patientenverfügung lässt Spielraum für Interpretationen. Nie lasse sich alles ein- oder ausschliessen. «Die Auseinandersetzung mit der Patientenverfügung und der Einbezug der Angehörigen, das ist der notwendige Prozess der Bewusstwerdung. In meiner Praxis mit meist betagten Menschen wird oft eine kurze, an die Situation älterer Menschen angepasste Version, gewählt», sagt der erfahrene Hausarzt.
Handschriftlich? Bitte nicht!
Eine erste Annäherung an das Thema findet Anton im Internet. Aus dem unglaublichen Dschungel an Angeboten und Informationen sticht ihm die Dokumentation «Patientenverfügungen in der deutschsprachigen Schweiz» hervor, die Dr. Heinz Rüegger vom Institut Neumünster im Auftrag von Curaviva Schweiz erstellt hat. Dort sind sehr übersichtlich von «A» wie «Anthrosana» bis «T» wie «Tertianum Stiftung» 47 Institutionen aufgelistet, welche Patientenverfügungen anbieten (siehe Infobox). Damit hat sich eine von Antons Grundsatzfrage bereits geklärt: Er muss seine Patientenverfügung, abgesehen von der eigenhändigen Unterschrift, nicht handschriftlich verfassen. Im Gegenteil: Da Handschriften unterschiedlich gut lesbar sind, würde dies allenfalls nur für Unklarheiten sorgen. Selbst eine Beglaubigung der Unterschrift ist nicht nötig.
Wichtige Grundsatzangaben…
Anton ist also gut beraten, wenn er sich eine der zahlreichen Vorlagen am Bildschirm aufruft und Punkt für Punkt ausfüllt, ausdruckt und unterzeichnet.
Allen relevanten Patientenverfügungen gemein ist, dass Antons Personalien ausführlich aufgeführt sind, er seine eigene Urteilsfähigkeit erklärt und vertretungsberechtigte Bezugspersonen klar benennt: Wer soll verständigt werden? Wem gegenüber wird die Ärzteschaft vom Berufsgeheimnis entbunden und wer darf gegebenenfalls stellvertretend für Anton verbindlich entscheiden?
Weiter wird festgehalten, in welcher Situation Antons Verfügung zum Tragen kommen soll, wie er zu den Themen Schmerzlinderung, Sedierung, lebensverlängernde Massnahmen und Organspende steht. Mit Aussagen zu diesen Themen ist seine Patientenverfügung bereits sehr aussagekräftig.
… und weitergehende Fragen
Ausführliche Vorlagen widmen sich jedoch nicht ohne Grund auch Themen wie der religiösen Begleitung oder was nach dem Tod geschehen soll: Darf man obduziert werden? Wer darf Einsicht in die Krankengeschichte haben? Wie will man bestattet werden und, als Gesamteindruck des eigenen Willens, wie definiert man seine persönliche Werthaltung in allgemeinen Fragen zu Leben und Tod, zu Gesundheit und Krankheit, Lebenssinn und -qualität?
Patientenverfügungen sind rechtlich bindend. Was jedoch, falls ihr nicht entsprochen wird? Dann ist jede Anton nahestehende Person berechtigt, die KESB darüber zu informieren. Die KESB muss daraufhin behördliche Massnahmen prüfen (siehe Artikel zum KESR). Überdies kann ein Arzt von den Anweisungen in Antons Patientenverfügung abweichen, zum Beispiel wenn begründete Zweifel bestehen, dass sie dem freien oder dem noch mutmasslichen Willen von Anton nicht entsprechen. Doch solche Abweichungen müssen in Antons Patientendossier begründet und festgehalten werden.
Und ohne Patientenverfügung?
Aktuell fragt sich Anton jedoch mehr, wer für ihn stellvertretend entscheiden würde, bis er seine Patientenverfügung ausgefüllt und unterzeichnet hat? Fehlt nebst der Patientenverfügung auch ein Vorsorgeauftrag mit entsprechender Aufgabe, wäre da gemäss Artikel 378 ZGB zuerst der Beistand, falls Anton verbeiständet wäre. Was er aber nicht ist. Also entscheiden – immer unter der Voraussetzung, dass sie mit Anton im gemeinsamen Haushalt leben oder ihm regelmässig persönlichen Beistand leisten – der Reihe nach zuerst die Ehepartner*innen oder eingetragenen Partner*innen, dann sonstige Personen, die mit Anton einen gemeinsamen Haushalt führen: in erster Linie Konkubinatspartner*innen, aber auch andere Personen, wenn eine entsprechend enge Verbindung besteht. Erst dann Antons Nachkommen, danach seine Eltern und zuletzt seine Geschwister. Voraussetzung ist aber auch bei diesen Verwandten, dass sie Anton regelmässig und persönlich Beistand leisten.
Nun weiss Anton, was Sache ist. Und macht sich gerade deshalb daran, seine Patientenverfügung aufzusetzen, den nichts wäre ihm unangenehmer als nicht so behandelt zu werden, wie er sich das wünscht – ausser vielleicht, seine Nächsten müssten unangenehme Entscheide fällen, bloss weil er sich selbst nie damit befasst hatte.
Wichtig
Ärztinnen und Ärzte sowie gesundheitliche Fachpersonen haben gemäss Gesetz eine Pflicht zur Hilfeleistung in einer Notfallsituation. Ist in einer solchen der Wille des Patienten nicht bekannt und kann er aus zeitlichen Gründen nicht erfragt werden, wird in den meisten Fällen eine Reanimation durchgeführt. Mit anderen Worten: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Reanimationsversuche durchgeführt werden, zum Beispiel auf einer Unfallstelle oder bei einem Herzinfarkt. Bei Eintritt ins Spital wird dann geprüft, ob eine Patientenverfügung vorliegt und anschliessend entsprechend gehandelt. (Quelle: Schweizerisches Rotes Kreuz)
In Kürze:
Patientenverfügung
• Die Patientenverfügung (folgend «PV») ist in der ganzen Schweiz seit Januar 2013 für Ärzteschaft und Behandlungsteams rechtsverbindlich. Ausnahmen gelten nur in dringlichen Situationen (siehe Infobox «Wichtig»).
• Jede urteilsfähige Person kann eine PV verfassen. Selbst Jugendliche unter 18 Jahren, sofern ihnen die Tragweite der Entscheide bewusst ist.
• Die PV muss nicht handschriftlich verfasst sein, sie muss aber das Erstellungsdatum enthalten und von Hand unterzeichnet sein.
• Die PV ist vom Gesetz her unbeschränkt gültig. Empfohlen wird jedoch, sie alle zwei Jahre neu zu datieren und zu unterzeichnen, schliesslich können sich Lebenssituationen und Gesundheitszustand ändern, was Auswirkungen auf den Behandlungswillen haben kann. Wenn Inhalte angepasst werden, sollte die PV ganz neu aufgesetzt werden.
• Kopien der PV sollten dem Hausarzt und der oder den Vertretungspersonen übergeben werden.
• Eine Karte mit Hinweisen zur Vertrauensperson und dem Aufbewahrungsort der PV gehört ins Portemonnaie.
• Bei einigen Organisationen kann die PV hinterlegt werden (z.B. beim SRK) oder auf der persönlichen Krankenversichertenkarte kann auf Wunsch der versicherten Person durch die Krankenkasse nebst anderen Informationen auch ein Hinweis zum Vorhandensein einer PV eingetragen werden.
• Hier anklicken, und es geht zur im Text erwähnten Übersicht der Patientenverfügungen
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