Biodiversität ist Reichtum für Zürich und Höngg

Biodiversität ist im Internationalen Jahr der Biodiversität zwar in aller Munde, doch noch lange nicht in allen Köpfen. Und weil der Kopf sagen sollte, was die Hand zu tun hat, fehlt es vielerorts an Taten.

Was in Zürich alles zu entdecken ist, fasziniert selbst Fachleute immer wieder.

Zürich ist voll pulsierendem Leben, nicht nur von menschlichem. Denn selbst aus den kleinsten Ritzen wächst Grün und Tag wie Nacht herrscht tierischer Hochbetrieb: Pulsierendes Leben mitten in der Stadt, in all seinen verschiedenen Formen, Farben, Tönen und Düften. Das ist Biodiversität – und Zürich hat dafür eine Strategie entwickelt, in deren Zentrum die Erhaltung dieser Vielfalt steht. Warum aber ist die Förderung von Biodiversität in dieser Stadt noch keine Volksbewegung geworden? «Weil es der breiten Bevölkerung schlicht zu wenig klar ist, was Biodiversität für jeden Einzelnen wirklich bedeutet», meint der Höngger Biologe Dr. Hans-Peter B. Stutz und fügt an, dass die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten innerhalb der Stadt eben gar nicht erst erkannt werde. In der Freizeit heisst es dann: «Hinaus in die Natur» – in den nächsten Wald oder auf eine ferne Insel. «Ab auf die Insel» könnte aber auch ein Stadtrundgang sein, denn in Zürich kennt man 205 verschiedene Lebensraumtypen – also «biologische Inseln» – mit speziellem Mikroklima und darum mit einer eigenen Tier- und Pflanzenwelt. Auf Stadtgebiet gedeihen mehr als 1’200 Pflanzenarten und von den augenfälligsten Tieren kennt man 182 Arten. Hinzu kommen Insekten und Tausende von kleinsten Organismen. Fachleute schätzen, dass in der Stadt Zürich bis zu 16 000 Tierarten leben. Der «Höngger» hat dazu Max Ruckstuhl, Biologe und Leiter der Fachstelle Naturschutz bei Grün Stadt Zürich, näher befragt.

Max Ruckstuhl, ist Zürich im Städtevergleich besonders artenreich?

«Sicherlich ist das Wissen über die Stadtzürcher Tierwelt einmalig gut dokumentiert. Ich bin aber überzeugt, dass die Vielfalt in anderen Städten ebenfalls hoch ist, doch mit seinen Seen und Fliessgewässern, den bewaldeten Hügelzügen, den Parkanlagen, Baumalleen und Familiengärten weist Zürich eine grosse Lebensraumvielfalt auf.»

Gibt es Tiere, die mittlerweile in der Stadt häufi ger anzutreffen sind als in ihrem herkömmlichen Lebensraum?

«Als ich Anfang der 1990er Jahre Meldungen von Igeln mitten im Siedlungsgebiet erhielt, habe ich damals schon etwas gestaunt. ‹Das müssen sicher grosse Ausnahmen sein›, habe ich mir gedacht. Erst eine umfangreiche Studie während mehreren Jahren hat ergeben, dass in gut durchgrünten Wohnsiedlungen erstaunlich viele Igel ihre nächtlichen Streifzüge machen. Wir schätzen, dass die Igeldichte in der Stadt mit bis zu 5000 Igeln zwei- bis dreimal grösser ist als im Umland!»

Sind Sie manchmal selber überrascht, welche Tiere in der Stadt anzutreffen sind?

«Mittlerweile erstaunt mich gar nichts mehr. Aber wenn ich dann nachts unterwegs bin und auf einmal einem Fuchs, Dachs, Igel oder Marder begegne oder Fledermäuse um die Strassenlampe flattern sehe, habe ich immer riesig Freude und finde es schade, dass ich den Fotoapparat nicht dabei habe.» 

Zeichnet sich Höngg durch einzigartige Vorkommen aus oder sind die Vorkommen «gutbürgerlicher Durchschnitt»?

«Höngg ist alles andere als durchschnittlich, alleine schon weil von der Limmat bis auf den Hönggerberg weit über 100 Höhenmeter überwunden werden müssen. Auch schätzen viele Tiere die Südhanglage. An der Limmat brüten der Eisvogel und die Wasseramsel und die vielen Fledermausarten beim Werdhölzli sind legendär. Am Limmatufer trifft man auf Schritt und Tritt auf Mauereidechsen. Die ehemals weitverbreitete Zauneidechse kann man dagegen nur noch selten sehen, vermutlich haben Hauskatzen massiv abgeräumt. Hangaufwärts brüten an verschiedenen Häusern Mehlschwalben und im Höngger Wald kann man sich auf verschiedene Spechtarten freuen. Dies sind nur ein paar wenige Arten. Diese Vielfalt ist auch dem grossartigen Einsatz des Natur- und Vogelschutzvereins Höngg zu verdanken.»

Sie sind in Ihrer täglichen Arbeit mit Naturschutzfragen konfrontiert, speziell im Zusammenhang mit Grossbauprojekten und Naturschutzgebieten. Wie aber können Einzelpersonen zu einem Erhalt dieser reichhaltigen Artenvielfalt beitragen?

«In einer Mietwohnung etwas für die Artenvielfalt zu tun, beschränkt sich in der Regel auf ein vielfältig bepflanztes Balkonkistchen. Aber auch solche Massnahmen sind wichtig, denn ein reiches Blütenangebot nützt vielen Insekten. Wenn man noch Wildbienennisthilfen anbringt, finden diese kleinen Nützlinge schon wieder eine dringend gesuchte Wohnung. In einem Garten kann man nektarreiche Stauden pflanzen und auf den Einsatz von Insektiziden verzichten. Hausbesitzer können Nisthilfen für Mehlschwalben am Unterdach anbringen und Genossenschaften können die naturnahe Bewirtschaftung und Bepflanzung umsetzen. Grün Stadt Zürich wirkt gerne unterstützend, soweit es uns möglich ist.»

Stadträtin Ruth Genner schreibt im Geleitwort zu Ihrem Buch «Stadtfauna» (siehe Kasten): «Natur und Stadt gehören zusammen». Wie sieht die pragmatische Umsetzung dieses Leitsatzes aus?

In der täglichen Arbeit müssen immer wieder Kompromisse geschlossen werden. Gerade bei Umgebungsgestaltungen oder Artenschutzmassnahmen. Die Beratung von Bauherrschaften und Architekten gehört zu unserem täglichen Auftrag. Das «Grünbuch der Stadt Zürich» zeigt in zehn strategischen Schwerpunkten auf, wie eine nachhaltige Grünwirkung erzielt werden kann. In Konzepten schlagen wir konkrete Wege zur Umsetzung ein. Aber wir sind nicht die einzigen Player in diesem grossen Entwicklungsspiel.»

 

Es ist Zeit zum HandelnIn der Stadt Zürich wird für die Förderung der Biodiversität bereits viel getan, gerade von Grün Stadt Zürich, wie auch Dr. Hans-Peter B. Stutz bestätigt. «Aber es könnte noch mehr getan werden», sagt er: «Das Schicksal des privaten Grüns liegt in der Hand von uns allen.» Und über Höngg und Zürich hinausblickend meint er: «Biodiversität wird auch gefördert, wenn man bereits beim Einkauf gezielt eine bunte Vielfalt von ökologisch produzierten Produkten bevorzugt.»Buchinformationen «Stadtfauna», 600 Tierarten der Stadt Zürich 446 Seiten, ca. 600 Farbfotos und 600 Karten, Einband kartoniert, 69 Franken, ISBN-Nr.: 978-3-258-07561-7.