«Auf dem Flohmi hat jedes Stück seine Geschichte»

Yvonne Behrendt und Marion Kuster haben einen besonderen Draht zu alten Dingen. Sie verkaufen auf Floh- und Antiquitätenmärkten alles: Von der Tasse bis zum antiken Stuhl findet sich für jeden Artikel ein Liebhaber – früher oder später.

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Marion Kuster (links) und Yvonne Behrendt freuen sich oft über ausgefallene Einzelstücke, sei es ein Geweih oder auch ein altes Bild.

Yvonne Behrendt ist ein alter Hase in der Flohmarktszene: Vor mehr als 30 Jahren stellte sie zum ersten Mal ihren Stand am Flohmarkt Bürkliplatz auf und seit genau 20 Jahren ist sie Präsidentin der Vereinigung Zürcher Flohmarkt und kümmert sich in diesem Amt um die Anliegen der Marktteilnehmer am Flohmarkt Bürkliplatz. «Früher arbeitete ich als Hauspflegevermittlerin und wurde deshalb oft von den Angehörigen der Betagten angefragt, ob ich den Hausrat ihrer Eltern übernehmen würde, wenn diese ins Alters- oder ins Pflegeheim mussten oder gar gestorben waren», erzählt die 73-Jährige. So kamen immer wieder grosse Mengen an Haushaltsgegenständen, Bettwäsche, Nippes und Büchern zusammen. Zu Beginn half ihr eine ältere Freundin, die Sachen zu sichten: «Sie ging ebenfalls regelmässig auf den Flohmarkt und erklärte mir, auf was ich achten musste, damit ich die Dinge auch verkaufen würde.» Vor drei Jahrzehnten war die Schweiz noch eine andere: Bettwäsche und Koffer waren ein rares, gesuchtes Gut, vor allem von den Saisonniers, welche auf diese Weise günstig an hochwertige Ware kamen. «Koffer verkaufte ich für fünf Franken, Bettwäsche für zwei Personen kostete zwanzig Franken», erinnert sich Yvonne Behrendt, die seit bald 30 Jahren in Höngg wohnt.

Der eine will es loswerden, der andere sucht es seit Jahren

Heute verkaufe sie schönes Besteck, elegante Gläser und Schmuck gut, erzählt sie. «Bettwäsche will heute eher der Kindergarten zum Basteln.» Doch die «Flohmi-Tante», wie sich Yvonne Behrendt selbst nennt, kann ihr Sortiment nicht abschliessend aufzählen: «Ich verkaufe alles, was die Leute nicht mehr wollen. Jemand anderer hat vielleicht genau dieses Stück schon lange gesucht.» Ausserdem spiele der Recycling-Gedanke eine nicht unerhebliche Rolle. Was ist die Faszination am Hobby Flohmarkt? «Sicher nicht das Geld, der Aufwand dafür ist zu gross. Ich spreche fünf Sprachen und liebe die sozialen Kontakte mit anderen Standinhabern und mit Kunden aus der ganzen Welt. Zudem entdecke ich immer wieder viele neue Sachen.» In ihrem Flohmi-Lager stapeln sich um die hundert Bananenkisten, und wenn die Saison, wie heuer am 5. Mai, auf dem Bürkliplatz anfängt, entscheidet sie sich spontan für einen Stapel. «Ich weiss selbst nie, was drin ist – somit ist es für mich wie für die Kunden eine Überraschung.» Ehrensache, dass sie jedes Mal einen anderen Bananenschachtel-Stapel in ihren VW-Bus lädt und so immer ein «neues» Angebot parat hat.

Flohmarkt als Geschäft

Marion Kuster, deren Vater bereits in Höngg zur Schule ging, ist ebenfalls eine «Flohmi-Tante», jedoch mit anderem Hintergrund. Die 45-Jährige lebt seit 20 Jahren von den Dingen, die andere entsorgen wollen. «Bei mir ist der Recycling-Gedanke ganz stark.» Heute werde so schnell alles weggeworfen, obwohl es noch tadellos in Ordnung sei. Dies sei doch schade, es werde nur unnötiger Abfall produziert, und zudem finde man gerade bei alten Möbeln eine hohe Qualität. «Ich führe zusammen mit meinem Mann Haushaltsräumungen durch, und zwar bis und mit dem letzten Nagel. Alles, was man noch brauchen kann, behalte ich, um es zu verkaufen. Aber es entsteht auch viel Abfall, denn gerade ältere Menschen können ihre Wohnung oder ihr Haus kräftehalber nicht mehr in Schuss halten.» Da komme jeweils einiges zum Entsorgen zusammen, Berührungsängste dürfe man keine haben. Regelmässig inseriert die Geschäftsfrau im «Höngger». Mit dem Slogan «Räume, Hole, Kaufe» sucht sie Flohmarkt-Sachen und Antiquitäten. Sie bietet zudem einen kompletten Service an, der Zügeln, Räumen und Putzen mit Wohnungsübergabe beinhaltet. «Manchmal helfen wir sogar beim Packen und Einrichten der neuen Wohnung. Oft haben Angehörige, falls es überhaupt welche gibt, für solche Räumungsaktionen keine Zeit. Da sind wir für ältere Menschen dann wie ein Rettungsanker», erzählt Marion Kuster.

Schöne Stücke daheim ausstellen

Schon als Kind besuchte sie Flohmärkte, kaufte sich Micky-Maus-Heftchen und Kleider, darunter ein blaues Sennenkutteli, «welches ich jahrelang getragen habe». Nachdem sie in der Versicherungsbranche gearbeitet hatte, wollte sie sich selbständig machen – und kam zum Handel mit gebrauchten Sachen. «Ich verkaufe nicht nur Flohmarkt-Artikel, sondern handle auch mit Antiquitäten. Schöne Stücke stehen aber schon mal bei uns daheim, damit ich mich daran erfreuen kann.» Nebst der Betreuung ihres Geschäftes an der Ottenbergstrasse 11b tingelt sie das ganze Jahr mit ihrem VW-Bus, dem perfekten Gefährt für «Flohmärtler», durch die Schweiz. Die beiden Frauen kennen sich seit Jahrzehnten und konkurrenzieren sich nicht, da es so viele Sachen zum Entsorgen gibt. Verbindend ist die Liebe zu Menschen und alten Dingen.

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