Alle Versicherten unter Generalverdacht?

Ginge es nach dem Parlament, sollen Krankenkassen, die Invalidenversicherung und die Suva im Namen der Missbrauchsbekämpfung Versicherte durch Detektive überwachen können. Sie sollen dabei mehr Mittel erhalten, als die Polizei zur Ermittlung von Straftätern hat. Das zeigt: Das Parlament hat kräftig übers Ziel hinausgeschossen.

Michael Kraft, Gemeinderat SP

Mit dem revidierten Gesetz hätten alle Sozialversicherungen die Möglichkeit, ohne richterliche Genehmigung weitgehende Überwachungsmassnahmen zu beschliessen. Die Versicherungen würden private Detektive mit diesen Observationen beauftragen – ein Beruf, für den es in der Schweiz nicht einmal eine reglementierte Ausbildung gibt.

Unverhältnismässige Kompetenzen

Erschreckend ist, dass die Versicherungsspione ohne richterliche Genehmigung Personen auf ihrem Balkon, in ihrem Garten oder, von der Strasse aus, sogar in ihrer Wohnung fotografieren oder filmen können. Damit erhalten sie umfassendere Kompetenzen als die Polizei zur Aufklärung eines Verbrechens. Nur bei technischen Instrumenten zur Ortung der Versicherten braucht es eine richterliche Bewilligung – dann könnten sie beispielsweise auch Drohnen zur Hilfe nehmen. Die Polizei hingegen darf nicht einmal Angehörige terroristischer Organisationen ohne richterlichen Beschluss überwachen. Genauso fragwürdig ist, dass die Versicherungen solche Observationen gleich selbst anordnen dürfen. Die Kompetenz, dass eine Überwachung ausgeführt wird, erhalten die Direktionsmitglieder der Versicherungen – also diejenigen mit dem grössten Eigeninteresse an einer Überwachung.

Hier zeigen sich wichtige Unterschiede zur Überwachung im Bereich der Sozialhilfe, welche der Stadtzürcher Gemeinderat dieses Jahr verabschiedet hat. Dort wird die Überwachung von einem verwaltungsinternen, demokratisch kontrollierten Inspektorat ausgeführt, und die gesamte Observation muss durch die Sozialbehörde bewilligt werden. «Spielereien» wie Drohnen oder Tonaufnahmen sind in der städtischen Verordnung explizit ausgeschlossen – und durch ein Fenster darf ebenfalls niemand beobachtet werden.

Grundrechte werden ausgehöhlt

Diese Gesetzesvorlage hingegen ist ein Angriff auf die Grundrechte und insbesondere die Privatsphäre von uns allen. Mangelnde Kontrolle, grosser Handlungsspielraum und fehlende Verhältnismässigkeit bilden die perfekte Grundlage für ungerechtfertigte, missbräuchliche Überwachungen. Das ist gefährlich – und geht nicht nur auf Kosten der Schwächsten, sondern auf Kosten der Rechte von uns allen.

Michael Kraft, Gemeinderat SP10

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