Abgestorbene Seitentriebe

Wer sich jemals mit dem anderen Geschlecht abgab – und wer sich nur mit dem eigenen Geschlecht eingelassen hat wohl auch – kennt inhaltlich 95 Prozent der Dialoge der neuen SRF Miniserie «Seitentriebe». Ob dies nun dem persönlichen Erfahrungsschatz von Autorin Güzin Kar zu verdanken ist oder das Ergebnis einer Teamleistung war, ist Nebensache. Der Realitätsbezug ist jedenfalls gegeben, was ja für solche Serien bereits eine nette Abwechslung darstellt. Doch dann der Tiefschlag. Die schauspielerische Interpretation findet dort statt, wo die Serie selbst versucht, inhaltlich etwas zu thematisieren: Unter der Gürtellinie, und zwar so tief unten, dass sie die erogenen Zonen bereits wieder verlassen hat. Ausser jene der Käsefussfetischisten. Abgesehen von Leonardo Nigro, der den Heinz spielt, artikulieren und agieren alle Figuren dermassen blutleer, dass eine Episode «Seitentriebe» reicht, um ins Koma zu fallen. Die potenziell potenzstarken Dialoge werden vorgetragen, dass es an Zuschauermisshandlung grenzt. Können die das nicht lebendiger oder wurden sie ihrerseits von der Regie dazu gezwungen? Was muss man Schauspielern androhen, damit sie so spielen und sprechen? Berufsverbot? Hölzernen und verknorzter geht es allenfalls im verstopften Pelleteinlass einer Holzschnitzelheizung zu und her und jeder Eierwärmer am Frühstücksbüffet einer drittklassigen Pension in einem verlassenen Innerschweizer Seitental wirkt weniger aufgesetzt. Und wenn Nele und Gianni das nächste Mal in ihren Ölfässern baden, dann schwöre ich, ich renne hin und kippe je einen Sack Betonfertigmischung hinzu. Nebst Heinz gab höchstens Clara (Sunnyi Melles) noch Grund zur Hoffnung. Doch dann stirbt die einzige wenigstens im Ansatz spannende Figur in der dritten Folge einfach so weg. Der alten Nymphomanin wäre wenigstens der postkoitale Absprung zu gönnen gewesen. Aber ein banaler, zudem nur akustisch wahrnehmbarer Fahrradunfall? Mein Gott, was hätte wohl Drehbuchautor und Regisseur Guy Ritchie (Snatch) aus dieser Szene gemacht! «Seitentriebe»? Tatsächlich, es trieb mich nun sechs Folgen lang auch zur Seite. Und zwar in die Liegeposition – ein unaufhaltsames Wegdämmern auf dem Sofa, die TV-Fernbedienung unter mir begrabend. Mit dem Narrenbein traf ich die Ausschalttaste. Der Schmerz bleibt zurück als die erste ungekünstelte Erinnerung an «Seitentriebe». Und damit ist nun Sendeschluss.

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