Vereine
100 Jahre Sport und Freundschaften fürs Leben
Die Damen- und Frauenriege des Turnvereins Höngg feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Was heute selbstverständlich ist – das Frauen sich sportlich betätigen – war anfangs ein mutiger Befreiungsschlag.
11. April 2018 — Patricia Senn
Bereits 1909 und 1913 gab es erste Vorstösse, den bereits existierenden Turnverein Höngg durch eine Damenriege zu erweitern. Die weltpolitische Lage lenkte den Blick jedoch vorerst auf dringendere Anliegen. Kaum war jedoch der Krieg vorbei, wurden die Damen, allen voran die spätere erste Präsidentin Berta «Berti» Grossmann, mit grosser Unterstützung des Präsidenten der Männerriege, Heinrich Guggenbühl, tätig. Just im 50. Jubiläumsjahr des Turnvereins – 1918 –
war der günstige Moment gekommen, den Berti Grossmann vorhergesehen hatte. «Es zeigte sich unter den Töchtern eine merkliche Strömung nach Leibesübungen», schreibt sie im Gründungsprotokoll vom 12. Juni 1918. «Aufgemuntert durch die schönen Erfolge der Sektion Höngg an den Wettkämpfen in Zürich, erliess Präsident Guggenbühl ein Rundschreiben und lud zu einer Versammlung ein», steht dort weiter. 26 «Fräuleins» trafen sich schliesslich im alkoholfreien Restaurant zur Sonnegg, um den Grundstein für die neue Damenriege zu legen. Der Monatsbeitrag lag bei 50 Cent. Der Vorsitzende Guggenbühl liess es sich nicht nehmen, die Damen darauf hinzuweisen, dass auch von ihnen «wohldiszipliniertes Verhalten» erwartet werde. Zu dieser Zeit waren turnende und sich sportlich betätigende Damen in manchen Bevölkerungskreisen höchst suspekt. Der Präsident ermahnte sie deshalb zu «streng korrektem Verhalten, ohne aber die Fröhlichkeit einzubüssen», wie aus dem Gründungsprotokoll hervorgeht.
Gegen alle Widerstände
Im Oktober 1918 hatte die Damenriege anlässlich des Kantonalen Kunstturnertag auf der «Pünternwiese» ihren ersten öffentlichen Auftritt. Von Oktober bis Dezember konnten elf Turnabende in der Bläsi-Turnhalle abgehalten werden, sechsmal mussten die Stunden infolge eines «Turnverbots wegen Grippegefahr» ausfallen. Den Schwerpunkt bildeten damals Haltungs- und Marschübungen, aufgelockert durch Geräteübungen und Spiele. 1939 kam der Turnbetrieb auch für die Männer kurzzeitig zum Erliegen, da die Turnhalle vom Militär beansprucht wurde. In dieser Zeit wurde der «Höngger Turner» geboren, das Mitteilungsblatt des Turnvereins. Dieses wurde den Soldaten im Feld zusammen mit einer Kleinigkeit zum Knabbern und von der Damenriege gestrickten «warmen Sachen» zugeschickt und hielt sie auch in der Ferne auf dem Laufenden. Doch ganz ohne Bewegung kamen manche nicht aus: Während der Kriegsjahre machten sich die ganz angefressenen Turnerinnen auf den Weg nach Wipkingen, um in der Turnhalle Rosengarten dennoch zu ihrer Ration Sport zu kommen.
Viele Riegen kommen dazu
Die Zeiten änderten sich, die Damenriege bekam immer mehr Zuwachs und die Mitglieder gesetzteren Alters wünschten sich eine eigene Turngruppe und einen eigenen Turnabend. Da nur eine Halle zur Verfügung stand, turnte die 1948 gegründete Frauenriege zeitweise im Saal des Restaurants zur Mühlehalde, bis sie 1953 in die Turnhalle Lachenzelg einziehen durfte, wo übrigens auch heute noch geturnt wird. Im selben Jahr kam eine Mädchenriege dazu und 1960 schliesslich eine Töchterriege. Pia Woringer, geboren 1924, erinnert sich gut daran, wie sie 1954 als dreifache Mutter beschloss, dass es an der Zeit sei, der Damenriege beizutreten. «Damals gab es auf dem Hönggerberg erst eine Hütte», erzählt sie, «dort waren alle Geräte hineingepfercht, es gab keine Garderoben. Für den Turnabend zog man sich im Bläsi um und stieg dann auf den Berg». Von 1964 bis 1969 amtierte Woringer als Präsidentin der Damen- und Frauenriege. In diese Zeit fiel auch das 50-Jahre-Jubiläum, das sie mit grosser Freude organisierte. 190 «Turnfreunde» – darunter auch Männer – fuhren mit einem festlich beflaggten Schiff nach Erlenbach, mit dabei auch 16 Turnerinnen der ersten Stunde. Nach einem festlichen Zmittag im Erlibacherhof führten die Riegen ihre Aufführungen vor. Im November folgte dann das Jubiläumschränzli in Höngg. Die Freundschaften aus diesen Jahren währen noch bis heute. Auch die Freude an der Bewegung ist Pia Woringer geblieben: Im Altersheim Riedhof, wo sie heute lebt, besucht sie jeden Montag eine Turnstunde und benützt wann immer möglich die Treppen. Die körperliche Betätigung sei ihre Medizin gegen Dummheit und gäbe ihr mehr Geduld, meint die freundliche Frau mit Schalk in den Augen.
So viele Erinnerungen
Die verschiedenen Wettkämpfe und Veranstaltungen, Chränzli, Bergturnfahrten und Turnfeste aufzuzählen, würde eine ganze Höngger Zeitung füllen. Um nur einige wenige herauszupicken: 1982 richtete die Damenriege unter OK-Präsidentin Emerita Seiler, die später auch Präsidentin der Damenriege wurde, den Mädchenriegentag Höngg aus, an dem sich 800 Mädchen aus den umliegenden Gemeinden in Leichtathletik, Geräteturnen und Minitrampolin massen. Nur ein Verein, nämlich Schwamendingen, wagte sich damals an die Disziplin Barren. Auch 1982 fand die Gymnaestrada, das Weltturnfest ohne Wertung, in Zürich statt. Die Turnhalle Lachenzelg diente als Unterkunft für internationale Gäste, und die Höngger Turnerinnen und Turner «bewachten» den Zutritt. 1994 fand das Glatt- und Limmattal Verbandsturnfest auf dem Hönggerberg statt, das der TV Höngg mit dem TV Zürich-Affoltern zusammen organisierte. Mittlerweile war das Turnerhaus ausgebaut worden. Im November 1993 feierten fast 200 Teilnehmerinnen das 75-Jahre-Jubiläum auf dem Uetliberg unter dem Motto «Zirkuszauber». Die damalige Präsidentin Ursi Iten blickte in ihrer Rede zurück auf ein Vereinsleben «in dem die Emanzipation der Frau auch zum Tragen von Verantwortung animierte und das Wahrnehmen und Äussern der eigenen Meinung und Bedürfnisse in der Vereinsgemeinschaft gelernt werden konnte». Wie Vreni Noli damals im «Höngger» berichtete, sah man sich stets fortschrittlich und zeitgemäss, wurde doch Volleyball gespielt und an Gruppenwettkämpfen im Geräteturnen und in Gymnastik teilgenommen.
Turnen verbindet
Und nun sind es also 100 Jahre geworden. Am vergangenen Samstag versammelten sich beim Turnerhaus auf dem Hönggerberg unter strahlend blauem Himmel viele Besucherinnen und Besucher aus dem Turnverein und die geladenen Gäste aus Höngg und Umgebung, um mit der Damen- und Frauenriege auf ihren Geburtstag anzustossen. Die OK-Präsidentin Vreni Noli lobte die Mithilfe der Männerriege, die sie zur Feier des Tages im Service, hinter dem Grill und beim Zeltaufrichten unterstützten. Die Frauen, unter der Leitung von Laura Bork, hatten einen herrlichen «Apéro riche» vorbereitet. Das sei ein schöner Auftakt des gemeinsamen Anpackens für das 150-Jahre-Jubiläum, das der Gesamtverein nächstes Jahr feiern wird, meinte Noli. Sie selbst ist immer noch sehr aktiv – nächstes Jahr will sie zum elften Mal wieder an der Gymnaestrada teilnehmen, die alle vier Jahre vom Weltgymnastikverband (FIG) organisiert wird und 2019 in Dornbirn ausgetragen wird. Seit 1969 war sie jedes Mal an diesem gigantischen Weltturnfest mit unterdessen 20‘000 Teilnehmern dabei. Ein weiteres persönliches Highlight für die lebhafte Frau, die auch Wettkämpfe nicht scheut, ist es, dass sich die Männer und Frauen des Turnvereins zusammengetan haben, um an den zahlreichen eidgenössischen, kantonalen und regionalen Turnfesten teilzunehmen. «Der Sport verbindet uns, und es entstehen immer neue Freundschaften», sagt Noli. «Ich habe beim Turnen so viele verschiedene Menschen kennengelernt, die ich sonst bestimmt nie getroffen hätte».
Blick nach vorne
Die Präsidentin ad interim Carolin Hauer machte sich in ihrer kurzen Ansprache Gedanken zur Zukunft. Zwar habe das mit der Glaskugel nicht so gut funktioniert, aber ein paar Wünsche habe sie dennoch für die Damen- und Frauenriege des TV Höngg. Zum Beispiel weiterhin viele gesunde und motivierte Turnerinnen und Leiterinnen zu haben, die auch Lust haben, an Turnfesten und anderen Anlässen teilzunehmen. «Auftritte wie letztes Jahr am kantonalen Showabend des Zürcher Turnverbands GymROCK im Hallenstadion sind unvergesslich», erzählte sie strahlend. «Es ist einfach ein unbeschreibliches Gefühl, vor so vielen Leuten aufzutreten». Das Bild vom Vereinsleben möge alt und verstaubt sein, und könne ein «Facelifting» oder ein «Reload» durchaus gebrauchen, dachte Hauer in ihrer Rede laut nach, doch ein Verein sei mehr als eine Zweckgemeinschaft. Wer könne in der heutigen Zeit nicht durchaus ein wenig Konstanz und Verbundenheit brauchen? Und Momente, die mehr seien, als nur gemeinsam Sport zu treiben, sondern richtige Freundschaften hervorbrächten? Dies sei auch der Grund dafür, dass das Wörtchen «Kameradschaft» noch nicht von ihrer Homepage verschwunden sei. «Für die Zukunft werden wir weiterhin an der Balance zwischen Zeitgeist und Beständigkeit arbeiten», schloss sie. Auf weitere 100 Jahre, liebe Damen- und Frauenriege!
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